Ressorts unter verschiedenen Gesichtspunkten aufgestellt. Die hier folgenden An¬ gaben werden aber das heutige Bild im allgemeinen richtig wiedergeben.
Noch heute darf das Gouvernement als ein rein landwirtschaftliches mit großer Waldwirtschaft bezeichnet werden. Die industrielle Gütererzeugung wird sieben Millionen Mark kaum übersteigen, die Zahl der industriellen Arbeiter wird nicht wesentlich höher wie 2500 sein. Die Industrie verarbeitet aus¬ schließlich einheimische landwirtschaftliche Erzeugnisse. Eine gewisse Rolle spielt im nördlichen Teil die Bürstenbinderei und Lederverarbeitung. Eisen- und Maschinenindustrie, über Schlosserei hinansgeheno, beschränkt sich auf die un¬ bedeutenden Eisenbahnwerkstätten. Von der rund 1115000 Hektar großen Gesamtfläche des Gouvernements befinden sich 630000 Hektar in bäuerlichen, 260000 Hektar in sonstigem Privatbesitz; 225000 Hektar sind Staatseigentum. Zieht man in Betracht, daß von diesem Staatseigentum im Jahre 1907 allein 945221 Rubel, oder rund 2 Millionen Mark, auf Einnahmen aus Forstwirt¬ schaft entfielen, aber nur 29708 Rubel aus "sonstige", so wird man folgern dürfen, daß der Staatsbesitz vorwiegend aus Wald- und Sumpfland besteht. Die Landwirtschaft wird den Bauern sehr erschwert, einmal durch Mangel guter Weiden, was sie hindert, Vieh und Pferde zu züchten, und dem Großgrundbesitz durch das Vorhandensein der Servitutenplage, die den Bauern die Möglichkeit gibt, die Wälder zu verwüsten. Schließlich hat der letzte Handels¬ vertrag mit Deutschland mit seinem Einfuhrscheinsystem den Getreidebau recht wenig rentabel gemacht.
Die Städte sind kläglich. Es gibt ihrer zehn. Sie hatten noch 1901 zusammen ein Ausgabenbudget von 118653 Rubel, darunter die Hauptstadt Ssuwalki -- übrigens eine der in sanitärer Beziehung höchst stehenden Städte des Weichselgebiets -- mit 43244 Rubel I Sollte die Summe sich im Laufe der Jahre bis heute wirklich verdoppelt haben, so wäre das außerordentlich. Die wenigen Zahlen lehren, wie gering das wirtschaftliche Leben und die Selbst¬ verwaltung in Ssuwalki entwickelt ist, wie alles Leben unter einem unsichtbaren Druck zu stehen scheint, -- sie lassen aber auch ahnen, wieviel der neue Ver¬ walter dieser Provinz wird leisten müssen, um das Leben hier zu er¬ wecken. Im Hinblick auf die Rührigkeit und Opferfreudigkeit der Juden wird in den Städten manches leichter gehen, als es auf den ersten Blick möglich er¬ scheint, sobald nur die Verkehrswege ausgebaut sind.
Unvergleichlich viel mannigfaltiger, wie die Wirtschaft vermuten läßt, ist die Zusammensetzung der Bevölkerung nach Nationalitäten und Glaubensbekennt¬ nissen. Den Stock bilden die 400000 Litauer, die etwa fünf Sechstel des Gouvernements, begrenzt im Süden durch die Schwarze Haraza, besetzt halten, während die Polen mit 165 000 Seelen vorwiegend das südliche Sechstel bewohnen. Die Städte und Flecken beherbergen gegen 125000 Juden. Außerdem gibt es noch etwa 40 000 Deutsche, die vorwiegend in den mittleren Kreisen Mariampol und Kalvaria wohnen (in der Stadt Ssuwalki,
Das Gouvernement Ssuwalki
Ressorts unter verschiedenen Gesichtspunkten aufgestellt. Die hier folgenden An¬ gaben werden aber das heutige Bild im allgemeinen richtig wiedergeben.
Noch heute darf das Gouvernement als ein rein landwirtschaftliches mit großer Waldwirtschaft bezeichnet werden. Die industrielle Gütererzeugung wird sieben Millionen Mark kaum übersteigen, die Zahl der industriellen Arbeiter wird nicht wesentlich höher wie 2500 sein. Die Industrie verarbeitet aus¬ schließlich einheimische landwirtschaftliche Erzeugnisse. Eine gewisse Rolle spielt im nördlichen Teil die Bürstenbinderei und Lederverarbeitung. Eisen- und Maschinenindustrie, über Schlosserei hinansgeheno, beschränkt sich auf die un¬ bedeutenden Eisenbahnwerkstätten. Von der rund 1115000 Hektar großen Gesamtfläche des Gouvernements befinden sich 630000 Hektar in bäuerlichen, 260000 Hektar in sonstigem Privatbesitz; 225000 Hektar sind Staatseigentum. Zieht man in Betracht, daß von diesem Staatseigentum im Jahre 1907 allein 945221 Rubel, oder rund 2 Millionen Mark, auf Einnahmen aus Forstwirt¬ schaft entfielen, aber nur 29708 Rubel aus „sonstige", so wird man folgern dürfen, daß der Staatsbesitz vorwiegend aus Wald- und Sumpfland besteht. Die Landwirtschaft wird den Bauern sehr erschwert, einmal durch Mangel guter Weiden, was sie hindert, Vieh und Pferde zu züchten, und dem Großgrundbesitz durch das Vorhandensein der Servitutenplage, die den Bauern die Möglichkeit gibt, die Wälder zu verwüsten. Schließlich hat der letzte Handels¬ vertrag mit Deutschland mit seinem Einfuhrscheinsystem den Getreidebau recht wenig rentabel gemacht.
Die Städte sind kläglich. Es gibt ihrer zehn. Sie hatten noch 1901 zusammen ein Ausgabenbudget von 118653 Rubel, darunter die Hauptstadt Ssuwalki — übrigens eine der in sanitärer Beziehung höchst stehenden Städte des Weichselgebiets — mit 43244 Rubel I Sollte die Summe sich im Laufe der Jahre bis heute wirklich verdoppelt haben, so wäre das außerordentlich. Die wenigen Zahlen lehren, wie gering das wirtschaftliche Leben und die Selbst¬ verwaltung in Ssuwalki entwickelt ist, wie alles Leben unter einem unsichtbaren Druck zu stehen scheint, — sie lassen aber auch ahnen, wieviel der neue Ver¬ walter dieser Provinz wird leisten müssen, um das Leben hier zu er¬ wecken. Im Hinblick auf die Rührigkeit und Opferfreudigkeit der Juden wird in den Städten manches leichter gehen, als es auf den ersten Blick möglich er¬ scheint, sobald nur die Verkehrswege ausgebaut sind.
Unvergleichlich viel mannigfaltiger, wie die Wirtschaft vermuten läßt, ist die Zusammensetzung der Bevölkerung nach Nationalitäten und Glaubensbekennt¬ nissen. Den Stock bilden die 400000 Litauer, die etwa fünf Sechstel des Gouvernements, begrenzt im Süden durch die Schwarze Haraza, besetzt halten, während die Polen mit 165 000 Seelen vorwiegend das südliche Sechstel bewohnen. Die Städte und Flecken beherbergen gegen 125000 Juden. Außerdem gibt es noch etwa 40 000 Deutsche, die vorwiegend in den mittleren Kreisen Mariampol und Kalvaria wohnen (in der Stadt Ssuwalki,
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gaben werden aber das heutige Bild im allgemeinen richtig wiedergeben.
Noch heute darf das Gouvernement als ein rein landwirtschaftliches
mit großer Waldwirtschaft bezeichnet werden. Die industrielle Gütererzeugung
wird sieben Millionen Mark kaum übersteigen, die Zahl der industriellen Arbeiter
wird nicht wesentlich höher wie 2500 sein. Die Industrie verarbeitet aus¬
schließlich einheimische landwirtschaftliche Erzeugnisse. Eine gewisse Rolle spielt
im nördlichen Teil die Bürstenbinderei und Lederverarbeitung. Eisen- und
Maschinenindustrie, über Schlosserei hinansgeheno, beschränkt sich auf die un¬
bedeutenden Eisenbahnwerkstätten. Von der rund 1115000 Hektar großen
Gesamtfläche des Gouvernements befinden sich 630000 Hektar in bäuerlichen,
260000 Hektar in sonstigem Privatbesitz; 225000 Hektar sind Staatseigentum.
Zieht man in Betracht, daß von diesem Staatseigentum im Jahre 1907 allein
945221 Rubel, oder rund 2 Millionen Mark, auf Einnahmen aus Forstwirt¬
schaft entfielen, aber nur 29708 Rubel aus „sonstige", so wird man folgern
dürfen, daß der Staatsbesitz vorwiegend aus Wald- und Sumpfland besteht.
Die Landwirtschaft wird den Bauern sehr erschwert, einmal durch Mangel
guter Weiden, was sie hindert, Vieh und Pferde zu züchten, und dem
Großgrundbesitz durch das Vorhandensein der Servitutenplage, die den Bauern
die Möglichkeit gibt, die Wälder zu verwüsten. Schließlich hat der letzte Handels¬
vertrag mit Deutschland mit seinem Einfuhrscheinsystem den Getreidebau recht
wenig rentabel gemacht.
Die Städte sind kläglich. Es gibt ihrer zehn. Sie hatten noch 1901
zusammen ein Ausgabenbudget von 118653 Rubel, darunter die Hauptstadt
Ssuwalki — übrigens eine der in sanitärer Beziehung höchst stehenden Städte
des Weichselgebiets — mit 43244 Rubel I Sollte die Summe sich im Laufe
der Jahre bis heute wirklich verdoppelt haben, so wäre das außerordentlich.
Die wenigen Zahlen lehren, wie gering das wirtschaftliche Leben und die Selbst¬
verwaltung in Ssuwalki entwickelt ist, wie alles Leben unter einem unsichtbaren
Druck zu stehen scheint, — sie lassen aber auch ahnen, wieviel der neue Ver¬
walter dieser Provinz wird leisten müssen, um das Leben hier zu er¬
wecken. Im Hinblick auf die Rührigkeit und Opferfreudigkeit der Juden wird
in den Städten manches leichter gehen, als es auf den ersten Blick möglich er¬
scheint, sobald nur die Verkehrswege ausgebaut sind.
Unvergleichlich viel mannigfaltiger, wie die Wirtschaft vermuten läßt, ist
die Zusammensetzung der Bevölkerung nach Nationalitäten und Glaubensbekennt¬
nissen. Den Stock bilden die 400000 Litauer, die etwa fünf Sechstel des
Gouvernements, begrenzt im Süden durch die Schwarze Haraza, besetzt halten,
während die Polen mit 165 000 Seelen vorwiegend das südliche Sechstel
bewohnen. Die Städte und Flecken beherbergen gegen 125000 Juden.
Außerdem gibt es noch etwa 40 000 Deutsche, die vorwiegend in den
mittleren Kreisen Mariampol und Kalvaria wohnen (in der Stadt Ssuwalki,
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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/460>, abgerufen am 05.01.2025.
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