Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.Die Niederlage des Aesthetizismus kann ebenso ungeheuerliche Folgen nach sich ziehen, wie falsch geleitete, sich Die wahrhaft tüchtigen Arbeiter des Geistes sind nicht überflüssig geworden. Die Niederlage des Aesthetizismus kann ebenso ungeheuerliche Folgen nach sich ziehen, wie falsch geleitete, sich Die wahrhaft tüchtigen Arbeiter des Geistes sind nicht überflüssig geworden. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0450" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329184"/> <fw type="header" place="top"> Die Niederlage des Aesthetizismus</fw><lb/> <p xml:id="ID_1501" prev="#ID_1500"> kann ebenso ungeheuerliche Folgen nach sich ziehen, wie falsch geleitete, sich<lb/> vorschnell hinzudrängende Begeisterung. Und eben, wo diese Erkenntnis, daß alle<lb/> wahrhaft große und nützliche Tätigkeit nicht aus der Theorie, nicht aus rasch<lb/> durch Worte entflammten Enthusiasmus, fondern aus dem realen Wesen der<lb/> Dinge organisch erwachsen muß, wo diese Erkenntnis sich einwurzelt, da wird<lb/> man sich nach dem Kriege noch sehr besinnen, ob man einer romantisch ver¬<lb/> träumten oder individuell verzerrenden lebensfremden Kunst, einer volkswirt¬<lb/> schaftlich verschwenderischen und demoralisierenden Wohltätigkeit, einer auf Kosten<lb/> der Volksgesundheit üppig wuchernden Pseudobildung noch Lebensberechtigung zu¬<lb/> erkennen wird. Vielmehr kann man sehr wohl erwarten, daß wie man die Ethik nicht<lb/> mehr von lebensfremden theoretischen, wenn auch vielleicht irgendwie wünschens¬<lb/> werten Grundsätzen ausgehen lassen wird, sondern von der sich kräftig wehrenden<lb/> und lebendig wachsenden Menschennatur, wie man die Schaffung neuer Arbeits¬<lb/> gelegenheit höher bewerten wird als verweichlichendes Almosengeben, man auch<lb/> die Schaffung von menschenwürdigen Existenzbedingungen, von solider Wohnung<lb/> und Nahrung abseits der sinnlosen Menschenaufspeicherung in ungesunden<lb/> Großstädten einer wurzellosen Bildung, einem unechten Luxus vorziehen wird<lb/> und die gute, ehrliche Befriedigung realer Kunstbedürfnisse einer nur ihr eigenes<lb/> Selbst unfruchtbar wiederkäuenden formalistischen Kunst.</p><lb/> <p xml:id="ID_1502" next="#ID_1503"> Die wahrhaft tüchtigen Arbeiter des Geistes sind nicht überflüssig geworden.<lb/> Ihre Aufgabe ist es im Gegenteil, das Wertvolle und Lebensfähige des Alten<lb/> und das gerade im kräftigen Entstehen Begriffene zu erhalten und uns auf allen<lb/> Gebieten des öffentlichen Lebens vor einer Wiederkehr des Gründerjahrefiaskos zu<lb/> bewahren, indem sie wachsam und zäh alle schädlichen Auswüchse, alles unnütze<lb/> Phrasentum, das sich um die neue Bewegung legen wird wie an alles Große,<lb/> nach Möglichkeit fernhalten. Es gilt, nicht sich in den Schmollwinkel zu setzen<lb/> und den Krieg trotzig oder greinend zu verneinen, sondern ihn zu bejahen und<lb/> die vielen neuen und guten Triebkräfte, die er befreit hat und weiter befreien<lb/> wird, zu pflegen und zu lenken. Wer aber hierbei keinen Platz findet oder ihn<lb/> eigenwillig verschmäht, um den wird es nicht weiter schade sein, wenn er vom<lb/> Brausen dieses reinigenden Kriegsgewitters hinweggeweht wird wie die Spreu<lb/> vom Winde.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0450]
Die Niederlage des Aesthetizismus
kann ebenso ungeheuerliche Folgen nach sich ziehen, wie falsch geleitete, sich
vorschnell hinzudrängende Begeisterung. Und eben, wo diese Erkenntnis, daß alle
wahrhaft große und nützliche Tätigkeit nicht aus der Theorie, nicht aus rasch
durch Worte entflammten Enthusiasmus, fondern aus dem realen Wesen der
Dinge organisch erwachsen muß, wo diese Erkenntnis sich einwurzelt, da wird
man sich nach dem Kriege noch sehr besinnen, ob man einer romantisch ver¬
träumten oder individuell verzerrenden lebensfremden Kunst, einer volkswirt¬
schaftlich verschwenderischen und demoralisierenden Wohltätigkeit, einer auf Kosten
der Volksgesundheit üppig wuchernden Pseudobildung noch Lebensberechtigung zu¬
erkennen wird. Vielmehr kann man sehr wohl erwarten, daß wie man die Ethik nicht
mehr von lebensfremden theoretischen, wenn auch vielleicht irgendwie wünschens¬
werten Grundsätzen ausgehen lassen wird, sondern von der sich kräftig wehrenden
und lebendig wachsenden Menschennatur, wie man die Schaffung neuer Arbeits¬
gelegenheit höher bewerten wird als verweichlichendes Almosengeben, man auch
die Schaffung von menschenwürdigen Existenzbedingungen, von solider Wohnung
und Nahrung abseits der sinnlosen Menschenaufspeicherung in ungesunden
Großstädten einer wurzellosen Bildung, einem unechten Luxus vorziehen wird
und die gute, ehrliche Befriedigung realer Kunstbedürfnisse einer nur ihr eigenes
Selbst unfruchtbar wiederkäuenden formalistischen Kunst.
Die wahrhaft tüchtigen Arbeiter des Geistes sind nicht überflüssig geworden.
Ihre Aufgabe ist es im Gegenteil, das Wertvolle und Lebensfähige des Alten
und das gerade im kräftigen Entstehen Begriffene zu erhalten und uns auf allen
Gebieten des öffentlichen Lebens vor einer Wiederkehr des Gründerjahrefiaskos zu
bewahren, indem sie wachsam und zäh alle schädlichen Auswüchse, alles unnütze
Phrasentum, das sich um die neue Bewegung legen wird wie an alles Große,
nach Möglichkeit fernhalten. Es gilt, nicht sich in den Schmollwinkel zu setzen
und den Krieg trotzig oder greinend zu verneinen, sondern ihn zu bejahen und
die vielen neuen und guten Triebkräfte, die er befreit hat und weiter befreien
wird, zu pflegen und zu lenken. Wer aber hierbei keinen Platz findet oder ihn
eigenwillig verschmäht, um den wird es nicht weiter schade sein, wenn er vom
Brausen dieses reinigenden Kriegsgewitters hinweggeweht wird wie die Spreu
vom Winde.
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