Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.Das slawische Kultnrproblem Inzwischen ist die junge Generation, die dank ihm in die religiösen Eine besondere Einseitigkeit dieser Studien liegt in der Nichtbeachtung, daß Eine fatale Tatsache ist es. daß das polnische Volk seine Feinde nur in Es war die Absicht der vorliegenden Ausführungen, diese Grundstimmung Grenzboten III 191430
Das slawische Kultnrproblem Inzwischen ist die junge Generation, die dank ihm in die religiösen Eine besondere Einseitigkeit dieser Studien liegt in der Nichtbeachtung, daß Eine fatale Tatsache ist es. daß das polnische Volk seine Feinde nur in Es war die Absicht der vorliegenden Ausführungen, diese Grundstimmung Grenzboten III 191430
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Das slawische Kultnrproblem
Inzwischen ist die junge Generation, die dank ihm in die religiösen
Probleme der großen polnischen Schriftsteller eingeführt worden war, in Skepsis
verfallen und hat sich vor allem die Frage gestellt: ist der religiöse Gedanke
der polnischen Messionisten Mickiewicz, Slowacki und Krasinski. ein ursprünglich
polnischer Gedanke, oder stammt auch er aus Deutschland, wie die ganze
Romantik? Die Beantwortung dieser Frage versuchte Jan Gwalbert Pawli-
kowski in einem Werk, das auf die heutige polnische Intelligenz stark gewirkt
hat. Es begann sie von der messionistischen Idee zu befreien, indem es ihren
westeuropäischen Ursprung nachwies. Andrerseits bestärkt es sie wieder in
dieser Idee, denn es zeigt, daß das polnische Volk sie mit großem Verständnis
ergriffen hat. Pawlikowski ist nicht in Extreme verfallen und wahrt wissen¬
schaftliche Disziplin. Oft begegnen wir allerdings in seinen Darstellungen
polnischen Auffassungen. „Lassen wir." sagte er. „den Deutschen ihre Theorie,
daß die Religion ein Gefühl absoluter Abhängigkeit ist — vielleicht entspricht
das ihrem Nationalcharakter — eins ist gewiß: in der Religion drückt sich das
Bedürfnis nach einer Bestimmung des Menschen im Weltall aus. Die kalte
Unendlichkeit wirkt auf uns vernichtend. Deshalb nennen fast alle Religionen
Gott ihren Vater. Deshalb hat unsere Voksseele, von Natur gefühlvoller,
empfindsamer, an die Spitze des Kultes nicht den Vater, sondern die dem Herzen
schließlich nähere Mutter in der Person der Muttergottes gestellt." Pawlikowski
sieht in diesem Kult eine nähere Verwandtschaft mit den Franzosen als mit
den Teutschen und Russen.
Eine besondere Einseitigkeit dieser Studien liegt in der Nichtbeachtung, daß
die romantische Religiosität Frankreichs durch die deutsche angeregt wurde und
daß die französische Romantik nur das Medium zwischen der polnischen und der
deutschen ist.
Eine fatale Tatsache ist es. daß das polnische Volk seine Feinde nur in
Nichtkatholiken fand: Protestanten einerseits(Preußen)undRechtgläubige andrerseits
(Rußland). Daher die polnische Ergebenheit im Hinblick auf Wien. In Wien
begegnen die Polen Tschechen und Hussiten, aber dort fällt es ihnen nicht schwer,
unter dem Mantel der Regierung konsequente Katholiken zu bleiben. Diese
Situation gibt polnischem Denken, polnischen Sympathien und Antipathien auf
verschiedenen Gebieten die Richtung.
Es war die Absicht der vorliegenden Ausführungen, diese Grundstimmung
der Polen und der zeitgenössischen polnischen Dichtkunst aufzuzeigen. Die Poesie
Wyspianskis. Kaspronicz' und Zeromskis wirkt visionär, intuitio. — Ein
religiöses Schauen gibt ihren dichterischen Bekenntnissen eine große suggestive
Kraft. Die polnische Poesie steht zweifellos in ihrer lyrischen Note über der
ganzen zeitgenössischen slawischen Dichtkunst. In der Bilanz der polnischen Kultur
ist dies vielleicht der einzige große positive Posten.
Grenzboten III 191430
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