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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Das slawische Anlturproblem

ähnlicher sind als dem deutschen, weil sie katholisch blieben, nimmt Bruckner
eine Art kongenialer Verwandtschaft zwischen Franzosen und Polen an. Während
Deutschland sich von poetischem Tand und Zierrat abwandte, blieben Frank¬
reich und Polen -- sagt Bruckner -- ihm treu. Die deutsche Literatur, geo¬
graphisch der polnischen so viel näher, blieb dieser ferner als jede andere. An
Frankreich hing Polen mit tausend Fäden.

Aber die nationale Wiedererhebung vollzog sich in Polen unter deutschem
Einfluß. Auch Bruckner betont dies, hebt aber hervor, die Polen seien vom
Franzosentum so sehr beherrscht gewesen, daß sie, deutschen Schulen und Ämtern
zum Trotz, von der deutschen Romantik zuerst aus dem französischen Buch der
Madame de Staöl erfuhren. Der große Nationaldichter mußte von der
Peripherie des Landes kommen, und nicht aus den zentral gelegenen Teilen,
die vom französischen Einfluß durchtränkt waren und einem Pseudoklassizismus
huldigten. Adam Mickiewicz kam aus Litauen. In ihm mischten sich polnische
mit litauischen Eigentümlichkeiten, das polnische Gemüt war in ihm "temperiert".
In Mickiewicz war die litauische Zähigkeit, Innerlichkeit und Abkehr von eitlem Flitter
und Tand, tiefer, schwermütiger Ernst mit dem polnischen Elan, polnischer Offenheit
und Beweglichkeit, Phantasie und Leidenschaftlichkeit gepaart, eineMischung scheinbar
widersprechender Eigenschaften, welcher Religiosität, ein liebevolles Herz, große Fähig¬
keit zur Selbstaufopferung und Entsagung sowie starkes Pflichtgefühl zugrunde lagen.

Einen rein polnischen Charakter sehen wir in Marijan Zdziechowski und
einigen anderen Krakauer Schriftstellern, besonders in Arthur Gürski ver¬
körpert. Diese Dichter-Philosophen haben nicht aufgehört, im polnischen Volk
den Träger ethischer und messioniftischer Ideen zu sehen. Das Buch Arthur
Görskis: Monsalwat, fand starken Widerhall bei der polnischen Jugend und
diese schloß sich aufs neue dem philaretischen Neigen der ethisch-religiös¬
nationalen Verbindung an. Hierin war besonders der Exdozent der Philosophie,
Vincenz Lutoslawski ihr Führer. Für M. Zdziechowski steht der Glaube im
Mittelpunkt. Der polnische Messionismus ist sür ihn durch die Schlußworte
des Gebetes Krasinskis formuliert: "Gib Herr, daß wir uns selbst durch heilige
Taten auferwecken." Auch Zdziechowski ist, wie Masarnk, dem nationalen
Chauvinismus abhold, besonders dem zeitgenössischen Nationalismus, er spricht
ihm jeden Sinn ab. Aber von Masaryk unterscheidet sich Zdziechowski durch seine
Art zu glauben. Zdziechowski ist Katholik und vertritt die Religion "heiliger
Handlungen", Masarnk hingegen die Religion der Arbeit. Der Heilige und
der Arbeiter, der Katholik und der Huhn sind zwei entgegengesetzte Vertreter
des religiösen Gedankens, sie bekämpfen sich wie Metaphysik und Positivismus,
Wunder und Wirklichkeit, Herz und Verstand. Zdziechowski wendet sich von
jeder Politik ab, er rechnet auch nicht mit ihr, sondern einzig mit dem großen
polnischen Herzen im Moment großer Aktionen, mit dem Pathos des Willens.
Zdziechowski) betrachtet auch heute den Messionismus als das Wesen des
polnischen Volkes, als sein Ideal und Gesetz.


Das slawische Anlturproblem

ähnlicher sind als dem deutschen, weil sie katholisch blieben, nimmt Bruckner
eine Art kongenialer Verwandtschaft zwischen Franzosen und Polen an. Während
Deutschland sich von poetischem Tand und Zierrat abwandte, blieben Frank¬
reich und Polen — sagt Bruckner — ihm treu. Die deutsche Literatur, geo¬
graphisch der polnischen so viel näher, blieb dieser ferner als jede andere. An
Frankreich hing Polen mit tausend Fäden.

Aber die nationale Wiedererhebung vollzog sich in Polen unter deutschem
Einfluß. Auch Bruckner betont dies, hebt aber hervor, die Polen seien vom
Franzosentum so sehr beherrscht gewesen, daß sie, deutschen Schulen und Ämtern
zum Trotz, von der deutschen Romantik zuerst aus dem französischen Buch der
Madame de Staöl erfuhren. Der große Nationaldichter mußte von der
Peripherie des Landes kommen, und nicht aus den zentral gelegenen Teilen,
die vom französischen Einfluß durchtränkt waren und einem Pseudoklassizismus
huldigten. Adam Mickiewicz kam aus Litauen. In ihm mischten sich polnische
mit litauischen Eigentümlichkeiten, das polnische Gemüt war in ihm „temperiert".
In Mickiewicz war die litauische Zähigkeit, Innerlichkeit und Abkehr von eitlem Flitter
und Tand, tiefer, schwermütiger Ernst mit dem polnischen Elan, polnischer Offenheit
und Beweglichkeit, Phantasie und Leidenschaftlichkeit gepaart, eineMischung scheinbar
widersprechender Eigenschaften, welcher Religiosität, ein liebevolles Herz, große Fähig¬
keit zur Selbstaufopferung und Entsagung sowie starkes Pflichtgefühl zugrunde lagen.

Einen rein polnischen Charakter sehen wir in Marijan Zdziechowski und
einigen anderen Krakauer Schriftstellern, besonders in Arthur Gürski ver¬
körpert. Diese Dichter-Philosophen haben nicht aufgehört, im polnischen Volk
den Träger ethischer und messioniftischer Ideen zu sehen. Das Buch Arthur
Görskis: Monsalwat, fand starken Widerhall bei der polnischen Jugend und
diese schloß sich aufs neue dem philaretischen Neigen der ethisch-religiös¬
nationalen Verbindung an. Hierin war besonders der Exdozent der Philosophie,
Vincenz Lutoslawski ihr Führer. Für M. Zdziechowski steht der Glaube im
Mittelpunkt. Der polnische Messionismus ist sür ihn durch die Schlußworte
des Gebetes Krasinskis formuliert: „Gib Herr, daß wir uns selbst durch heilige
Taten auferwecken." Auch Zdziechowski ist, wie Masarnk, dem nationalen
Chauvinismus abhold, besonders dem zeitgenössischen Nationalismus, er spricht
ihm jeden Sinn ab. Aber von Masaryk unterscheidet sich Zdziechowski durch seine
Art zu glauben. Zdziechowski ist Katholik und vertritt die Religion „heiliger
Handlungen", Masarnk hingegen die Religion der Arbeit. Der Heilige und
der Arbeiter, der Katholik und der Huhn sind zwei entgegengesetzte Vertreter
des religiösen Gedankens, sie bekämpfen sich wie Metaphysik und Positivismus,
Wunder und Wirklichkeit, Herz und Verstand. Zdziechowski wendet sich von
jeder Politik ab, er rechnet auch nicht mit ihr, sondern einzig mit dem großen
polnischen Herzen im Moment großer Aktionen, mit dem Pathos des Willens.
Zdziechowski) betrachtet auch heute den Messionismus als das Wesen des
polnischen Volkes, als sein Ideal und Gesetz.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/440>, abgerufen am 28.07.2024.