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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Petrograder Kultur

Monats mit Erlaubnis des nordamerikanischen Geschäftsträgers wohnten. Jetzt
hörten wir bereits Axtschläge an der kleinen nach der Morskaja zu gelegenen
Eingangstür. die auch bald nachgab. Während ein Teil der Menge durch den
Gang in den Hof stürmte, vernahmen wir kurz darauf auch das Geheul des
Mohs in der großen Vorhalle. Und nun drangen durch beide Einfallstvre
immer mehr Scharen in das Gebäude ein und zerstreuten sich über sämtliche
Stockwerke, wo sie alles Erreichbare kurz und klein schlugen. Etwa um
V"12 Uhr ebbte der Sturm ab; man hörte nun vereinzelte Schritte durch das
Haus gehen, darunter auch Sporenklirren. Eine Stimme sagte: ,Na hier haben
sie ja gut gearbeitet, nun wollen wir mal sehen, was sie für uns nachgelassen
haben/ Offenbar wurde zwischen den Trümmern nach Wertgegenständen gesucht.

Kurz vor 12 Uhr drangen neue Horden ein und setzten ihr Zerstörungswerk
fort, wobei Einbruchswerkzeuge aller Art zur Verwendung gelangten. Bei diesem
zweiten Ansturm war man auch in unsere Wohnung eingedrungen und hatte
dort bis auf das verschlossene Schlafzimmer, in dem wir unter den Betten lagen,
alles demoliert; dabei war oft die Frage zu hören: .Habt Ihr nichts gefunden?'
und auch: .Habt Ihr niemanden von den verfluchten Deutschen gefunden?'
Das genannte Schlafzimmer war noch verschont geblieben, weil unter den
Fenstern mehrere Weinkisten standen, von denen die Menge ferngehalten wurde,
damit die wenigen .Auserwühlten' sich desto ruhiger daran gütlich tun konnten,
was sie auch unter Hochrufen auf die Deutschen, die ihnen zu trinken nach¬
gelassen hätten, später taten.

Dieser zweite Ansturm wurde gegen ^2 schwächer, um gegen ^2 mit
erneuter Kraft einzusetzen. In der Zwischenpause suchten wieder einzelne
Individuen die Räume nach mitnehmenswerten Sachen ab. Beim dritten An¬
sturm wurde auch unser Zimmer erbrochen und sogleich alle Möbelstücke zertrümmert.
Dabei immer wieder die Frage: .Wo sind denn die verfl. . . . Deutschen?' und
.Habt Ihr nichts gefunden?' In einem Schiebfach fand einer ein 20-Kopeken-
stück. Das muß ein anderer gesehen haben, denn plötzlich stürzte ein Zweiter auf
den Finder los und schrie: .Gleich gib die Hälfte her, sonst schlage ich Dich
tot. Du Hundesohn!'

Bald nach Beginn des dritten Sturms schrieen einzelne Stimmen --
wahrscheinlich die Führer --: .Nun ist's genug, hört aus zu brechen.' Die
Banden waren aber nicht mehr zu halten. Erst als man gegen ^4 Uhr schrie:
-Zieht Euch zurück, jetzt wird es gefährlich', erst da wurde das Getöse schwächer,
bis bald darauf der Ruf ertönte: .Flieht, man verhaftet uns!' Nach 3 Uhr,
als wir hörten, daß nach Menschen gesucht wurde, arbeiteten wir uns unter den
Betten und Trümmern hervor und wurden auf der Straße vom Stadthauptmann,
dem Minister des Innern und anderen höheren Ministerialbeamten in Empfang
genommen.

Die Feuerwehr, die schon am Ende des ersten Ansturms angerückt war,
räumte die auf der Straße liegenden Trümmer hinweg. In dem Gebäude


Petrograder Kultur

Monats mit Erlaubnis des nordamerikanischen Geschäftsträgers wohnten. Jetzt
hörten wir bereits Axtschläge an der kleinen nach der Morskaja zu gelegenen
Eingangstür. die auch bald nachgab. Während ein Teil der Menge durch den
Gang in den Hof stürmte, vernahmen wir kurz darauf auch das Geheul des
Mohs in der großen Vorhalle. Und nun drangen durch beide Einfallstvre
immer mehr Scharen in das Gebäude ein und zerstreuten sich über sämtliche
Stockwerke, wo sie alles Erreichbare kurz und klein schlugen. Etwa um
V«12 Uhr ebbte der Sturm ab; man hörte nun vereinzelte Schritte durch das
Haus gehen, darunter auch Sporenklirren. Eine Stimme sagte: ,Na hier haben
sie ja gut gearbeitet, nun wollen wir mal sehen, was sie für uns nachgelassen
haben/ Offenbar wurde zwischen den Trümmern nach Wertgegenständen gesucht.

Kurz vor 12 Uhr drangen neue Horden ein und setzten ihr Zerstörungswerk
fort, wobei Einbruchswerkzeuge aller Art zur Verwendung gelangten. Bei diesem
zweiten Ansturm war man auch in unsere Wohnung eingedrungen und hatte
dort bis auf das verschlossene Schlafzimmer, in dem wir unter den Betten lagen,
alles demoliert; dabei war oft die Frage zu hören: .Habt Ihr nichts gefunden?'
und auch: .Habt Ihr niemanden von den verfluchten Deutschen gefunden?'
Das genannte Schlafzimmer war noch verschont geblieben, weil unter den
Fenstern mehrere Weinkisten standen, von denen die Menge ferngehalten wurde,
damit die wenigen .Auserwühlten' sich desto ruhiger daran gütlich tun konnten,
was sie auch unter Hochrufen auf die Deutschen, die ihnen zu trinken nach¬
gelassen hätten, später taten.

Dieser zweite Ansturm wurde gegen ^2 schwächer, um gegen ^2 mit
erneuter Kraft einzusetzen. In der Zwischenpause suchten wieder einzelne
Individuen die Räume nach mitnehmenswerten Sachen ab. Beim dritten An¬
sturm wurde auch unser Zimmer erbrochen und sogleich alle Möbelstücke zertrümmert.
Dabei immer wieder die Frage: .Wo sind denn die verfl. . . . Deutschen?' und
.Habt Ihr nichts gefunden?' In einem Schiebfach fand einer ein 20-Kopeken-
stück. Das muß ein anderer gesehen haben, denn plötzlich stürzte ein Zweiter auf
den Finder los und schrie: .Gleich gib die Hälfte her, sonst schlage ich Dich
tot. Du Hundesohn!'

Bald nach Beginn des dritten Sturms schrieen einzelne Stimmen —
wahrscheinlich die Führer —: .Nun ist's genug, hört aus zu brechen.' Die
Banden waren aber nicht mehr zu halten. Erst als man gegen ^4 Uhr schrie:
-Zieht Euch zurück, jetzt wird es gefährlich', erst da wurde das Getöse schwächer,
bis bald darauf der Ruf ertönte: .Flieht, man verhaftet uns!' Nach 3 Uhr,
als wir hörten, daß nach Menschen gesucht wurde, arbeiteten wir uns unter den
Betten und Trümmern hervor und wurden auf der Straße vom Stadthauptmann,
dem Minister des Innern und anderen höheren Ministerialbeamten in Empfang
genommen.

Die Feuerwehr, die schon am Ende des ersten Ansturms angerückt war,
räumte die auf der Straße liegenden Trümmer hinweg. In dem Gebäude


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[0415] Petrograder Kultur Monats mit Erlaubnis des nordamerikanischen Geschäftsträgers wohnten. Jetzt hörten wir bereits Axtschläge an der kleinen nach der Morskaja zu gelegenen Eingangstür. die auch bald nachgab. Während ein Teil der Menge durch den Gang in den Hof stürmte, vernahmen wir kurz darauf auch das Geheul des Mohs in der großen Vorhalle. Und nun drangen durch beide Einfallstvre immer mehr Scharen in das Gebäude ein und zerstreuten sich über sämtliche Stockwerke, wo sie alles Erreichbare kurz und klein schlugen. Etwa um V«12 Uhr ebbte der Sturm ab; man hörte nun vereinzelte Schritte durch das Haus gehen, darunter auch Sporenklirren. Eine Stimme sagte: ,Na hier haben sie ja gut gearbeitet, nun wollen wir mal sehen, was sie für uns nachgelassen haben/ Offenbar wurde zwischen den Trümmern nach Wertgegenständen gesucht. Kurz vor 12 Uhr drangen neue Horden ein und setzten ihr Zerstörungswerk fort, wobei Einbruchswerkzeuge aller Art zur Verwendung gelangten. Bei diesem zweiten Ansturm war man auch in unsere Wohnung eingedrungen und hatte dort bis auf das verschlossene Schlafzimmer, in dem wir unter den Betten lagen, alles demoliert; dabei war oft die Frage zu hören: .Habt Ihr nichts gefunden?' und auch: .Habt Ihr niemanden von den verfluchten Deutschen gefunden?' Das genannte Schlafzimmer war noch verschont geblieben, weil unter den Fenstern mehrere Weinkisten standen, von denen die Menge ferngehalten wurde, damit die wenigen .Auserwühlten' sich desto ruhiger daran gütlich tun konnten, was sie auch unter Hochrufen auf die Deutschen, die ihnen zu trinken nach¬ gelassen hätten, später taten. Dieser zweite Ansturm wurde gegen ^2 schwächer, um gegen ^2 mit erneuter Kraft einzusetzen. In der Zwischenpause suchten wieder einzelne Individuen die Räume nach mitnehmenswerten Sachen ab. Beim dritten An¬ sturm wurde auch unser Zimmer erbrochen und sogleich alle Möbelstücke zertrümmert. Dabei immer wieder die Frage: .Wo sind denn die verfl. . . . Deutschen?' und .Habt Ihr nichts gefunden?' In einem Schiebfach fand einer ein 20-Kopeken- stück. Das muß ein anderer gesehen haben, denn plötzlich stürzte ein Zweiter auf den Finder los und schrie: .Gleich gib die Hälfte her, sonst schlage ich Dich tot. Du Hundesohn!' Bald nach Beginn des dritten Sturms schrieen einzelne Stimmen — wahrscheinlich die Führer —: .Nun ist's genug, hört aus zu brechen.' Die Banden waren aber nicht mehr zu halten. Erst als man gegen ^4 Uhr schrie: -Zieht Euch zurück, jetzt wird es gefährlich', erst da wurde das Getöse schwächer, bis bald darauf der Ruf ertönte: .Flieht, man verhaftet uns!' Nach 3 Uhr, als wir hörten, daß nach Menschen gesucht wurde, arbeiteten wir uns unter den Betten und Trümmern hervor und wurden auf der Straße vom Stadthauptmann, dem Minister des Innern und anderen höheren Ministerialbeamten in Empfang genommen. Die Feuerwehr, die schon am Ende des ersten Ansturms angerückt war, räumte die auf der Straße liegenden Trümmer hinweg. In dem Gebäude

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/415>, abgerufen am 28.07.2024.