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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Das slawische Uultnrproblem

Germanen nach und verfallen dabei noch in den Fehler, uns selbst für geistige
Romanen zu halten. Diese Auffassung wird hauptsächlich von den Polen,
Serben und Bulgaren, die Schüler der Franzosen sind, geteilt und auch von
uns Kroaten, besonders von dalmatinischen Kroaten, Schülern der Italiener.
Die Tschechen, die sich nicht mit Theorien begnügen durften, verfielen nicht dem
Irrtum, im romanischen Vorbild Stärkung für ihre nationale Individualität zu
suchen, sie hatten sogar Kühnheit genug, der Gefahr offen ins Auge zu sehen,
sie haben auf den slawischen Stamm germanische Kulturvorzüge gepfropft und
sich eben dadurch vor dem Verlust ihrer nationalen Eigenart gerettet, der
ihnen gerade wegen der großen Ähnlichkeit ihres Charakters mit dem germa¬
nischen drohte.

Beachtenswert ist folgendes: die Franzosen halten uns nie für ihnen
nahestehend und vermengen uns mit den Deutschen. Ich spreche nicht von der
französischen Politik, sondern vom französischen Nationalgefühl. Der Deutsche
ist für den Franzosen "une tete cgrröe", ein viereckiger Schädel. Wenn ihm
schon der deutsche Kopf viereckig erscheint, wie mag ihm da der tschechische,
polnische, russische, slowenische erscheinen? Von unserem Kopfe spreche ich nicht,
der ist schon zu südländisch, länglich, orientalisch und wirkt daher "romanisch".
Kein einziger Franzose war erfreut zu hören, daß ich Slawe sei, das ist ihm
soviel wie ein Deutscher, etwas Entgegengesetztes und Unbekanntes.

Alphonse Daudet schrieb einen Roman, "I^s prince poZont?me", in dem
er einen Russen als Vertreter des Pariser Fremdenviertels hinstellte, -- er zeichnete
ihn als eine Bestie. Es gibt nur ein fremdes Volk, das der Franzose achten
und manchmal auch lieben kann, das ist das englische. Der Franzose hat heute
aus dem Engländer sein Ideal gemacht. Der Amerikanismus hat in Paris
den Kavalier und Salonmenschen umgebracht. Der Franzose gleitet nicht mehr
mit diplomatischem Lächeln umher wie seine ruhmreichen Altväter, sondern er
bahnt sich auch manchmal mit dem Ellbogen den Weg. Taine, Guyau, Ribot
haben den Kult des Engländers in die französische Kulturlehre eingeführt.
Engländer und Franzosen halten sich für eine von der deutsch-slawischen
getrennte Welt. So sondern sie sich in Bädern, in diplomatischen Angelegen¬
heiten, in der Kolonialpolitik, in der Wissenschaft, in der Ästhetik, der Kunst,
kurz in allem ab. Und in dieser Sonderung liegt eine große historische
Gerechtigkeit.

Es ist eine Hauptaufgabe deutscher und slawischer Forscher und Dichter,
diese Gerechtigkeit einzusehen und zu behandeln. Die vergleichende Sprachlehre
beweist unzweifelhaft die einheitliche Wurzel des deutschen und des slawischen
Idioms. Die Somatologen haben keinerlei Merkmale gefunden, denen zufolge
Deutsche und Slawen zu trennen wären, die vergleichende Volkskunde findet
analoge Motive in den Sitten, der Ornamentik, der Volksdichtung, und die
slawisch-nationale Renaissance ist nichts anderes als ein Widerhall der deutschen
Romantik. Aber der politische Kampf zerstört jede Möglichkeit, sich gegenseitig


Das slawische Uultnrproblem

Germanen nach und verfallen dabei noch in den Fehler, uns selbst für geistige
Romanen zu halten. Diese Auffassung wird hauptsächlich von den Polen,
Serben und Bulgaren, die Schüler der Franzosen sind, geteilt und auch von
uns Kroaten, besonders von dalmatinischen Kroaten, Schülern der Italiener.
Die Tschechen, die sich nicht mit Theorien begnügen durften, verfielen nicht dem
Irrtum, im romanischen Vorbild Stärkung für ihre nationale Individualität zu
suchen, sie hatten sogar Kühnheit genug, der Gefahr offen ins Auge zu sehen,
sie haben auf den slawischen Stamm germanische Kulturvorzüge gepfropft und
sich eben dadurch vor dem Verlust ihrer nationalen Eigenart gerettet, der
ihnen gerade wegen der großen Ähnlichkeit ihres Charakters mit dem germa¬
nischen drohte.

Beachtenswert ist folgendes: die Franzosen halten uns nie für ihnen
nahestehend und vermengen uns mit den Deutschen. Ich spreche nicht von der
französischen Politik, sondern vom französischen Nationalgefühl. Der Deutsche
ist für den Franzosen „une tete cgrröe", ein viereckiger Schädel. Wenn ihm
schon der deutsche Kopf viereckig erscheint, wie mag ihm da der tschechische,
polnische, russische, slowenische erscheinen? Von unserem Kopfe spreche ich nicht,
der ist schon zu südländisch, länglich, orientalisch und wirkt daher „romanisch".
Kein einziger Franzose war erfreut zu hören, daß ich Slawe sei, das ist ihm
soviel wie ein Deutscher, etwas Entgegengesetztes und Unbekanntes.

Alphonse Daudet schrieb einen Roman, „I^s prince poZont?me", in dem
er einen Russen als Vertreter des Pariser Fremdenviertels hinstellte, — er zeichnete
ihn als eine Bestie. Es gibt nur ein fremdes Volk, das der Franzose achten
und manchmal auch lieben kann, das ist das englische. Der Franzose hat heute
aus dem Engländer sein Ideal gemacht. Der Amerikanismus hat in Paris
den Kavalier und Salonmenschen umgebracht. Der Franzose gleitet nicht mehr
mit diplomatischem Lächeln umher wie seine ruhmreichen Altväter, sondern er
bahnt sich auch manchmal mit dem Ellbogen den Weg. Taine, Guyau, Ribot
haben den Kult des Engländers in die französische Kulturlehre eingeführt.
Engländer und Franzosen halten sich für eine von der deutsch-slawischen
getrennte Welt. So sondern sie sich in Bädern, in diplomatischen Angelegen¬
heiten, in der Kolonialpolitik, in der Wissenschaft, in der Ästhetik, der Kunst,
kurz in allem ab. Und in dieser Sonderung liegt eine große historische
Gerechtigkeit.

Es ist eine Hauptaufgabe deutscher und slawischer Forscher und Dichter,
diese Gerechtigkeit einzusehen und zu behandeln. Die vergleichende Sprachlehre
beweist unzweifelhaft die einheitliche Wurzel des deutschen und des slawischen
Idioms. Die Somatologen haben keinerlei Merkmale gefunden, denen zufolge
Deutsche und Slawen zu trennen wären, die vergleichende Volkskunde findet
analoge Motive in den Sitten, der Ornamentik, der Volksdichtung, und die
slawisch-nationale Renaissance ist nichts anderes als ein Widerhall der deutschen
Romantik. Aber der politische Kampf zerstört jede Möglichkeit, sich gegenseitig


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[0397] Das slawische Uultnrproblem Germanen nach und verfallen dabei noch in den Fehler, uns selbst für geistige Romanen zu halten. Diese Auffassung wird hauptsächlich von den Polen, Serben und Bulgaren, die Schüler der Franzosen sind, geteilt und auch von uns Kroaten, besonders von dalmatinischen Kroaten, Schülern der Italiener. Die Tschechen, die sich nicht mit Theorien begnügen durften, verfielen nicht dem Irrtum, im romanischen Vorbild Stärkung für ihre nationale Individualität zu suchen, sie hatten sogar Kühnheit genug, der Gefahr offen ins Auge zu sehen, sie haben auf den slawischen Stamm germanische Kulturvorzüge gepfropft und sich eben dadurch vor dem Verlust ihrer nationalen Eigenart gerettet, der ihnen gerade wegen der großen Ähnlichkeit ihres Charakters mit dem germa¬ nischen drohte. Beachtenswert ist folgendes: die Franzosen halten uns nie für ihnen nahestehend und vermengen uns mit den Deutschen. Ich spreche nicht von der französischen Politik, sondern vom französischen Nationalgefühl. Der Deutsche ist für den Franzosen „une tete cgrröe", ein viereckiger Schädel. Wenn ihm schon der deutsche Kopf viereckig erscheint, wie mag ihm da der tschechische, polnische, russische, slowenische erscheinen? Von unserem Kopfe spreche ich nicht, der ist schon zu südländisch, länglich, orientalisch und wirkt daher „romanisch". Kein einziger Franzose war erfreut zu hören, daß ich Slawe sei, das ist ihm soviel wie ein Deutscher, etwas Entgegengesetztes und Unbekanntes. Alphonse Daudet schrieb einen Roman, „I^s prince poZont?me", in dem er einen Russen als Vertreter des Pariser Fremdenviertels hinstellte, — er zeichnete ihn als eine Bestie. Es gibt nur ein fremdes Volk, das der Franzose achten und manchmal auch lieben kann, das ist das englische. Der Franzose hat heute aus dem Engländer sein Ideal gemacht. Der Amerikanismus hat in Paris den Kavalier und Salonmenschen umgebracht. Der Franzose gleitet nicht mehr mit diplomatischem Lächeln umher wie seine ruhmreichen Altväter, sondern er bahnt sich auch manchmal mit dem Ellbogen den Weg. Taine, Guyau, Ribot haben den Kult des Engländers in die französische Kulturlehre eingeführt. Engländer und Franzosen halten sich für eine von der deutsch-slawischen getrennte Welt. So sondern sie sich in Bädern, in diplomatischen Angelegen¬ heiten, in der Kolonialpolitik, in der Wissenschaft, in der Ästhetik, der Kunst, kurz in allem ab. Und in dieser Sonderung liegt eine große historische Gerechtigkeit. Es ist eine Hauptaufgabe deutscher und slawischer Forscher und Dichter, diese Gerechtigkeit einzusehen und zu behandeln. Die vergleichende Sprachlehre beweist unzweifelhaft die einheitliche Wurzel des deutschen und des slawischen Idioms. Die Somatologen haben keinerlei Merkmale gefunden, denen zufolge Deutsche und Slawen zu trennen wären, die vergleichende Volkskunde findet analoge Motive in den Sitten, der Ornamentik, der Volksdichtung, und die slawisch-nationale Renaissance ist nichts anderes als ein Widerhall der deutschen Romantik. Aber der politische Kampf zerstört jede Möglichkeit, sich gegenseitig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/397>, abgerufen am 27.07.2024.