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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Franz Liszt

und Bearbeitungen niedergelegt zum Zwecke der Erreichung eines letztmöglichen
Ausdrucks des musikalischen Gedankens. Und neben dieser neuen "Jnstrumental-
kunst" eine neue Art der Harmonik und Melodiebildung. Gemeinhin bezeichnet
man diese neuere Musik als wagnerisch: wer Liszts Werke genauer kennt, findet
in ihnen schon viele Motive und Harmonien, wie sie uns seit Wagner geläufig
scheinen, man könnte also die neuere Musik mit dem gleichen Rechte "lisztisch"
nennen.

Was das Klavier sür Liszt bedeutete, hat er einmal in einem Aussatz der
Gazette musicale 1837 ausgesprochen, als an ihn die Anregung für die Oper
oder das Orchester zu schreiben herantrat: "Mein Klavier ist für mich, was
dem Seemann seine Fregatte, dem Araber sein Pferd -- mehr noch, es war
ja bis jetzt mein Ich, meine Sprache, mein Leben," und weiter heißt es darin:
"Im Umfang seiner sieben Oktaven umschließt es den ganzen Umfang eines
Orchesters, ... wir machen gebrochene Akkorde wie die Harfe, langgehaltene
Töne wie die Blasinstrumente, Staccati und tausenderlei Passagen, welche
vormals nur auf diesem oder jenem Instrumente möglich waren. . . Das
Klavier hat einerseits die Fähigkeit der Aneignung, die Fähigkeit das Leben
aller in sich aufzunehmen, anderseits hat es sein eigenes Leben, sein eigenes
Wachstum, seine eigene Entwicklung." Daß er vorwiegend Klavierkomponist
werden mußte, namentlich in der Zeit seines Virtuosentums, erklärt sich aus
diesen Sätzen zur Genüge.

Tatsächlich fällt die Mehrzahl seiner Werke mit jener zusammen.

Soweit es sich nicht um Übertragungen klassischer Orchesterdichtungen
handelt, haben sast alle dichterische oder darstellende Tendenz, sind also Pro-
grammusi!, selbst da, wo der Inhalt des Stückes lediglich auf die Technik
gestellt zu sein scheint. Oft herrscht der Gedanke über die Empfindung, daher
der so häufige etüdenhafte Charakter der Klavierstücke. Wo aber seine Phantasie
auf den Schwingen andachtsvoller Naturstimmung oder religiöser und poetischer
Ideen sich frei erhebt, da entstehen wundersame Tongebilde, tief, weihevoll,
innig, so die schlichten Lor8vlatic>us, die schwärmerischen Liebestraum-
nocturnos, die durch Lamartines Dichtungen angeregten ttarmvnies poetique"
et reli^ieu8e8 mit ihrem reichen Sttmmungsgehalt. unter ihnen das schönste
wohl die Leneäietion. ein hochpoetisches "Waldweben" für das Klavier. Aus
den /nuce8 nie pölerina^e besonders hervorzuheben die Sonetten nach Petrarca,
das feierliche Zy08a1i!?lo (zu dem Gemälde von Raffael), das tiefgründige
grüblerische Volles ä'Obermann (mit vorangesetzten Zitaten aus Sonancourt
und Byrons Childe Harold). Zum Teil also, wie man sieht, eine Poesie des
I'art pour I'art. aber von so großer Schönheit, daß sie auch auf den mit den
Stoffen nicht bekannten Hörer tiefen Eindruck machen muß. Besonderer
Beliebtheit als zündendes Virtuosenstück erfreut sich die "Tarantella" -- unüber¬
trefflich schön spielt sie Conrad Ansorge -- und das zarte etüdenartige
hol-Z ä'uns source. Zu den bedeutendsten Tondichtungen gehört die H-moll-


Franz Liszt

und Bearbeitungen niedergelegt zum Zwecke der Erreichung eines letztmöglichen
Ausdrucks des musikalischen Gedankens. Und neben dieser neuen „Jnstrumental-
kunst" eine neue Art der Harmonik und Melodiebildung. Gemeinhin bezeichnet
man diese neuere Musik als wagnerisch: wer Liszts Werke genauer kennt, findet
in ihnen schon viele Motive und Harmonien, wie sie uns seit Wagner geläufig
scheinen, man könnte also die neuere Musik mit dem gleichen Rechte „lisztisch"
nennen.

Was das Klavier sür Liszt bedeutete, hat er einmal in einem Aussatz der
Gazette musicale 1837 ausgesprochen, als an ihn die Anregung für die Oper
oder das Orchester zu schreiben herantrat: „Mein Klavier ist für mich, was
dem Seemann seine Fregatte, dem Araber sein Pferd — mehr noch, es war
ja bis jetzt mein Ich, meine Sprache, mein Leben," und weiter heißt es darin:
„Im Umfang seiner sieben Oktaven umschließt es den ganzen Umfang eines
Orchesters, ... wir machen gebrochene Akkorde wie die Harfe, langgehaltene
Töne wie die Blasinstrumente, Staccati und tausenderlei Passagen, welche
vormals nur auf diesem oder jenem Instrumente möglich waren. . . Das
Klavier hat einerseits die Fähigkeit der Aneignung, die Fähigkeit das Leben
aller in sich aufzunehmen, anderseits hat es sein eigenes Leben, sein eigenes
Wachstum, seine eigene Entwicklung." Daß er vorwiegend Klavierkomponist
werden mußte, namentlich in der Zeit seines Virtuosentums, erklärt sich aus
diesen Sätzen zur Genüge.

Tatsächlich fällt die Mehrzahl seiner Werke mit jener zusammen.

Soweit es sich nicht um Übertragungen klassischer Orchesterdichtungen
handelt, haben sast alle dichterische oder darstellende Tendenz, sind also Pro-
grammusi!, selbst da, wo der Inhalt des Stückes lediglich auf die Technik
gestellt zu sein scheint. Oft herrscht der Gedanke über die Empfindung, daher
der so häufige etüdenhafte Charakter der Klavierstücke. Wo aber seine Phantasie
auf den Schwingen andachtsvoller Naturstimmung oder religiöser und poetischer
Ideen sich frei erhebt, da entstehen wundersame Tongebilde, tief, weihevoll,
innig, so die schlichten Lor8vlatic>us, die schwärmerischen Liebestraum-
nocturnos, die durch Lamartines Dichtungen angeregten ttarmvnies poetique«
et reli^ieu8e8 mit ihrem reichen Sttmmungsgehalt. unter ihnen das schönste
wohl die Leneäietion. ein hochpoetisches „Waldweben" für das Klavier. Aus
den /nuce8 nie pölerina^e besonders hervorzuheben die Sonetten nach Petrarca,
das feierliche Zy08a1i!?lo (zu dem Gemälde von Raffael), das tiefgründige
grüblerische Volles ä'Obermann (mit vorangesetzten Zitaten aus Sonancourt
und Byrons Childe Harold). Zum Teil also, wie man sieht, eine Poesie des
I'art pour I'art. aber von so großer Schönheit, daß sie auch auf den mit den
Stoffen nicht bekannten Hörer tiefen Eindruck machen muß. Besonderer
Beliebtheit als zündendes Virtuosenstück erfreut sich die „Tarantella" — unüber¬
trefflich schön spielt sie Conrad Ansorge — und das zarte etüdenartige
hol-Z ä'uns source. Zu den bedeutendsten Tondichtungen gehört die H-moll-


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[0038] Franz Liszt und Bearbeitungen niedergelegt zum Zwecke der Erreichung eines letztmöglichen Ausdrucks des musikalischen Gedankens. Und neben dieser neuen „Jnstrumental- kunst" eine neue Art der Harmonik und Melodiebildung. Gemeinhin bezeichnet man diese neuere Musik als wagnerisch: wer Liszts Werke genauer kennt, findet in ihnen schon viele Motive und Harmonien, wie sie uns seit Wagner geläufig scheinen, man könnte also die neuere Musik mit dem gleichen Rechte „lisztisch" nennen. Was das Klavier sür Liszt bedeutete, hat er einmal in einem Aussatz der Gazette musicale 1837 ausgesprochen, als an ihn die Anregung für die Oper oder das Orchester zu schreiben herantrat: „Mein Klavier ist für mich, was dem Seemann seine Fregatte, dem Araber sein Pferd — mehr noch, es war ja bis jetzt mein Ich, meine Sprache, mein Leben," und weiter heißt es darin: „Im Umfang seiner sieben Oktaven umschließt es den ganzen Umfang eines Orchesters, ... wir machen gebrochene Akkorde wie die Harfe, langgehaltene Töne wie die Blasinstrumente, Staccati und tausenderlei Passagen, welche vormals nur auf diesem oder jenem Instrumente möglich waren. . . Das Klavier hat einerseits die Fähigkeit der Aneignung, die Fähigkeit das Leben aller in sich aufzunehmen, anderseits hat es sein eigenes Leben, sein eigenes Wachstum, seine eigene Entwicklung." Daß er vorwiegend Klavierkomponist werden mußte, namentlich in der Zeit seines Virtuosentums, erklärt sich aus diesen Sätzen zur Genüge. Tatsächlich fällt die Mehrzahl seiner Werke mit jener zusammen. Soweit es sich nicht um Übertragungen klassischer Orchesterdichtungen handelt, haben sast alle dichterische oder darstellende Tendenz, sind also Pro- grammusi!, selbst da, wo der Inhalt des Stückes lediglich auf die Technik gestellt zu sein scheint. Oft herrscht der Gedanke über die Empfindung, daher der so häufige etüdenhafte Charakter der Klavierstücke. Wo aber seine Phantasie auf den Schwingen andachtsvoller Naturstimmung oder religiöser und poetischer Ideen sich frei erhebt, da entstehen wundersame Tongebilde, tief, weihevoll, innig, so die schlichten Lor8vlatic>us, die schwärmerischen Liebestraum- nocturnos, die durch Lamartines Dichtungen angeregten ttarmvnies poetique« et reli^ieu8e8 mit ihrem reichen Sttmmungsgehalt. unter ihnen das schönste wohl die Leneäietion. ein hochpoetisches „Waldweben" für das Klavier. Aus den /nuce8 nie pölerina^e besonders hervorzuheben die Sonetten nach Petrarca, das feierliche Zy08a1i!?lo (zu dem Gemälde von Raffael), das tiefgründige grüblerische Volles ä'Obermann (mit vorangesetzten Zitaten aus Sonancourt und Byrons Childe Harold). Zum Teil also, wie man sieht, eine Poesie des I'art pour I'art. aber von so großer Schönheit, daß sie auch auf den mit den Stoffen nicht bekannten Hörer tiefen Eindruck machen muß. Besonderer Beliebtheit als zündendes Virtuosenstück erfreut sich die „Tarantella" — unüber¬ trefflich schön spielt sie Conrad Ansorge — und das zarte etüdenartige hol-Z ä'uns source. Zu den bedeutendsten Tondichtungen gehört die H-moll-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/38>, abgerufen am 27.07.2024.