Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus den Anfängen des Großherzogtunis Baden

Bei der Unschlüssigkeit des Großherzogs Karl führte die Verfassungsbewegung
erst nach mehrfachen erfolglosen Anläufen zum Ziel. Der Reichsfreiherr vom
Stein, der von Marschall über die Zerfahrenheit der badischen Verhältnisse unter¬
richtet war, bestimmte den Kaiser Alexander auf Großherzog Karl, seinen Schwager,
einen Druck in verfassungsfreundlichem Sinne auszuüben. Karl ließ sich durch
dieses Vorgehen gegen Ende des Jahres 1814 den Entschluß abringen, seinem
Lande eine ständische Verfassung zu gewähren, und betraute im Januar 1815
einen Ausschuß mit dem Entwurf einer Verfassung; doch geriet das Verfassungs¬
werk ins Stocken, als nach Napoleons Rückkehr von Elba der Krieg wieder
aufflammte. Am 16. März 1816 verkündete der Herzog im Regierungsblatt,
daß jetzt nach Wiederherstellung der Ruhe und Ordnung in Europa der Zeit¬
punkt für die Einführung einer landständischen Verfassung gekommen sei und
daß auf 1. August 1816 die erste Ständeversammlung zusammentreten solle.
Am 29. Juli 1816 erklärte jedoch Karl im Regierungsblatt, daß er die bereits
vollendete Verfassungsurkunde für jetzt noch nicht verkünde, denn die Fragen der
deutschen Bundesverfassung, mit denen er die besondere Landesverfassung in
Einklang habe bringen wollen, seien noch nicht unter sämtlichen hohen Bundes¬
gliedern geklärt. Die Enttäuschung und Verstimmung über diesen Erlaß war
groß, weil man die angegebenen Gründe als leere Ausflucht durchschaute. Allein
schließlich brachten dynastische Gründe den Stein ins Rollen. Im Vertrag vom
20. November 1813. durch den Baden sich den Verbündeten anschloß, hatte
sich der Großherzog verpflichten müssen, dereinst die Abtretungen zu machen,
welche die künftigen Einrichtungen Deutschlands gebieten würden. Bayern
erhob Ansprüche auf die badische Pfalz und Österreich schielte nach dem Breisgau.
Die Begehrlichkeit dieser Mächte wurde begünstigt durch die badischen Thronfolge¬
verhältnisse. Die beiden Söhne Großherzog Karls waren in frühester Kindheit
gestorben. Markgraf Ludwig, der letzte männliche Nachkomme aus Karl Friedrichs
erster Ehe, war un vermählt. Den Söhnen Karl Friedrichs ans seiner zweiten
Ehe mit der Gräfin Hochberg bestritt Bayern das Thronfolgerecht. Baden
schwebte in höchster Gefahr, durch namhafte Gebietsverluste wieder zum Klein¬
staat herabzusinken. Als Antwort auf die bayerischen Ansprüche erging am
4. Oktober 1817 ein großherzoglichss Hausgesetz, welches das Großherzogtum
als ein für alle Zeiten unteilbares Ganzes erklärte, das schon von Karl Friedrich
ausgesprochene Nachfolgerecht der Grafen von Hochberg bestätigte und sie zu
Prinzen von Baden erhob. Gleichzeitig bemühte sich die badische Regierung
bei den Großmächten um die Anerkennung der Bestimmungen des Hausgesetzes.
Da drohte Bayern durch die als unmittelbar bevorstehend angekündigte Ein-
führung einer Verfassung dem Großherzogtum in der Gunst der öffentlichen
Meinung und der Großmächte den Rang abzulaufen. Nun galt es zumal bei
dem ungünstigen Gesundheitszustand des Großherzogs rasch zu handeln. Im April
1818 beauftragte Großherzog Karl den Finanzrat Nebenius, einen neuen Ver>
fassungsentwurf auszuarbeiten. Der von Nebenius aufgestellte Entwurf wurde


Aus den Anfängen des Großherzogtunis Baden

Bei der Unschlüssigkeit des Großherzogs Karl führte die Verfassungsbewegung
erst nach mehrfachen erfolglosen Anläufen zum Ziel. Der Reichsfreiherr vom
Stein, der von Marschall über die Zerfahrenheit der badischen Verhältnisse unter¬
richtet war, bestimmte den Kaiser Alexander auf Großherzog Karl, seinen Schwager,
einen Druck in verfassungsfreundlichem Sinne auszuüben. Karl ließ sich durch
dieses Vorgehen gegen Ende des Jahres 1814 den Entschluß abringen, seinem
Lande eine ständische Verfassung zu gewähren, und betraute im Januar 1815
einen Ausschuß mit dem Entwurf einer Verfassung; doch geriet das Verfassungs¬
werk ins Stocken, als nach Napoleons Rückkehr von Elba der Krieg wieder
aufflammte. Am 16. März 1816 verkündete der Herzog im Regierungsblatt,
daß jetzt nach Wiederherstellung der Ruhe und Ordnung in Europa der Zeit¬
punkt für die Einführung einer landständischen Verfassung gekommen sei und
daß auf 1. August 1816 die erste Ständeversammlung zusammentreten solle.
Am 29. Juli 1816 erklärte jedoch Karl im Regierungsblatt, daß er die bereits
vollendete Verfassungsurkunde für jetzt noch nicht verkünde, denn die Fragen der
deutschen Bundesverfassung, mit denen er die besondere Landesverfassung in
Einklang habe bringen wollen, seien noch nicht unter sämtlichen hohen Bundes¬
gliedern geklärt. Die Enttäuschung und Verstimmung über diesen Erlaß war
groß, weil man die angegebenen Gründe als leere Ausflucht durchschaute. Allein
schließlich brachten dynastische Gründe den Stein ins Rollen. Im Vertrag vom
20. November 1813. durch den Baden sich den Verbündeten anschloß, hatte
sich der Großherzog verpflichten müssen, dereinst die Abtretungen zu machen,
welche die künftigen Einrichtungen Deutschlands gebieten würden. Bayern
erhob Ansprüche auf die badische Pfalz und Österreich schielte nach dem Breisgau.
Die Begehrlichkeit dieser Mächte wurde begünstigt durch die badischen Thronfolge¬
verhältnisse. Die beiden Söhne Großherzog Karls waren in frühester Kindheit
gestorben. Markgraf Ludwig, der letzte männliche Nachkomme aus Karl Friedrichs
erster Ehe, war un vermählt. Den Söhnen Karl Friedrichs ans seiner zweiten
Ehe mit der Gräfin Hochberg bestritt Bayern das Thronfolgerecht. Baden
schwebte in höchster Gefahr, durch namhafte Gebietsverluste wieder zum Klein¬
staat herabzusinken. Als Antwort auf die bayerischen Ansprüche erging am
4. Oktober 1817 ein großherzoglichss Hausgesetz, welches das Großherzogtum
als ein für alle Zeiten unteilbares Ganzes erklärte, das schon von Karl Friedrich
ausgesprochene Nachfolgerecht der Grafen von Hochberg bestätigte und sie zu
Prinzen von Baden erhob. Gleichzeitig bemühte sich die badische Regierung
bei den Großmächten um die Anerkennung der Bestimmungen des Hausgesetzes.
Da drohte Bayern durch die als unmittelbar bevorstehend angekündigte Ein-
führung einer Verfassung dem Großherzogtum in der Gunst der öffentlichen
Meinung und der Großmächte den Rang abzulaufen. Nun galt es zumal bei
dem ungünstigen Gesundheitszustand des Großherzogs rasch zu handeln. Im April
1818 beauftragte Großherzog Karl den Finanzrat Nebenius, einen neuen Ver>
fassungsentwurf auszuarbeiten. Der von Nebenius aufgestellte Entwurf wurde


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0379" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/329113"/>
          <fw type="header" place="top"> Aus den Anfängen des Großherzogtunis Baden</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1270" next="#ID_1271"> Bei der Unschlüssigkeit des Großherzogs Karl führte die Verfassungsbewegung<lb/>
erst nach mehrfachen erfolglosen Anläufen zum Ziel. Der Reichsfreiherr vom<lb/>
Stein, der von Marschall über die Zerfahrenheit der badischen Verhältnisse unter¬<lb/>
richtet war, bestimmte den Kaiser Alexander auf Großherzog Karl, seinen Schwager,<lb/>
einen Druck in verfassungsfreundlichem Sinne auszuüben. Karl ließ sich durch<lb/>
dieses Vorgehen gegen Ende des Jahres 1814 den Entschluß abringen, seinem<lb/>
Lande eine ständische Verfassung zu gewähren, und betraute im Januar 1815<lb/>
einen Ausschuß mit dem Entwurf einer Verfassung; doch geriet das Verfassungs¬<lb/>
werk ins Stocken, als nach Napoleons Rückkehr von Elba der Krieg wieder<lb/>
aufflammte. Am 16. März 1816 verkündete der Herzog im Regierungsblatt,<lb/>
daß jetzt nach Wiederherstellung der Ruhe und Ordnung in Europa der Zeit¬<lb/>
punkt für die Einführung einer landständischen Verfassung gekommen sei und<lb/>
daß auf 1. August 1816 die erste Ständeversammlung zusammentreten solle.<lb/>
Am 29. Juli 1816 erklärte jedoch Karl im Regierungsblatt, daß er die bereits<lb/>
vollendete Verfassungsurkunde für jetzt noch nicht verkünde, denn die Fragen der<lb/>
deutschen Bundesverfassung, mit denen er die besondere Landesverfassung in<lb/>
Einklang habe bringen wollen, seien noch nicht unter sämtlichen hohen Bundes¬<lb/>
gliedern geklärt. Die Enttäuschung und Verstimmung über diesen Erlaß war<lb/>
groß, weil man die angegebenen Gründe als leere Ausflucht durchschaute. Allein<lb/>
schließlich brachten dynastische Gründe den Stein ins Rollen. Im Vertrag vom<lb/>
20. November 1813. durch den Baden sich den Verbündeten anschloß, hatte<lb/>
sich der Großherzog verpflichten müssen, dereinst die Abtretungen zu machen,<lb/>
welche die künftigen Einrichtungen Deutschlands gebieten würden. Bayern<lb/>
erhob Ansprüche auf die badische Pfalz und Österreich schielte nach dem Breisgau.<lb/>
Die Begehrlichkeit dieser Mächte wurde begünstigt durch die badischen Thronfolge¬<lb/>
verhältnisse. Die beiden Söhne Großherzog Karls waren in frühester Kindheit<lb/>
gestorben. Markgraf Ludwig, der letzte männliche Nachkomme aus Karl Friedrichs<lb/>
erster Ehe, war un vermählt. Den Söhnen Karl Friedrichs ans seiner zweiten<lb/>
Ehe mit der Gräfin Hochberg bestritt Bayern das Thronfolgerecht. Baden<lb/>
schwebte in höchster Gefahr, durch namhafte Gebietsverluste wieder zum Klein¬<lb/>
staat herabzusinken. Als Antwort auf die bayerischen Ansprüche erging am<lb/>
4. Oktober 1817 ein großherzoglichss Hausgesetz, welches das Großherzogtum<lb/>
als ein für alle Zeiten unteilbares Ganzes erklärte, das schon von Karl Friedrich<lb/>
ausgesprochene Nachfolgerecht der Grafen von Hochberg bestätigte und sie zu<lb/>
Prinzen von Baden erhob. Gleichzeitig bemühte sich die badische Regierung<lb/>
bei den Großmächten um die Anerkennung der Bestimmungen des Hausgesetzes.<lb/>
Da drohte Bayern durch die als unmittelbar bevorstehend angekündigte Ein-<lb/>
führung einer Verfassung dem Großherzogtum in der Gunst der öffentlichen<lb/>
Meinung und der Großmächte den Rang abzulaufen. Nun galt es zumal bei<lb/>
dem ungünstigen Gesundheitszustand des Großherzogs rasch zu handeln. Im April<lb/>
1818 beauftragte Großherzog Karl den Finanzrat Nebenius, einen neuen Ver&gt;<lb/>
fassungsentwurf auszuarbeiten. Der von Nebenius aufgestellte Entwurf wurde</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0379] Aus den Anfängen des Großherzogtunis Baden Bei der Unschlüssigkeit des Großherzogs Karl führte die Verfassungsbewegung erst nach mehrfachen erfolglosen Anläufen zum Ziel. Der Reichsfreiherr vom Stein, der von Marschall über die Zerfahrenheit der badischen Verhältnisse unter¬ richtet war, bestimmte den Kaiser Alexander auf Großherzog Karl, seinen Schwager, einen Druck in verfassungsfreundlichem Sinne auszuüben. Karl ließ sich durch dieses Vorgehen gegen Ende des Jahres 1814 den Entschluß abringen, seinem Lande eine ständische Verfassung zu gewähren, und betraute im Januar 1815 einen Ausschuß mit dem Entwurf einer Verfassung; doch geriet das Verfassungs¬ werk ins Stocken, als nach Napoleons Rückkehr von Elba der Krieg wieder aufflammte. Am 16. März 1816 verkündete der Herzog im Regierungsblatt, daß jetzt nach Wiederherstellung der Ruhe und Ordnung in Europa der Zeit¬ punkt für die Einführung einer landständischen Verfassung gekommen sei und daß auf 1. August 1816 die erste Ständeversammlung zusammentreten solle. Am 29. Juli 1816 erklärte jedoch Karl im Regierungsblatt, daß er die bereits vollendete Verfassungsurkunde für jetzt noch nicht verkünde, denn die Fragen der deutschen Bundesverfassung, mit denen er die besondere Landesverfassung in Einklang habe bringen wollen, seien noch nicht unter sämtlichen hohen Bundes¬ gliedern geklärt. Die Enttäuschung und Verstimmung über diesen Erlaß war groß, weil man die angegebenen Gründe als leere Ausflucht durchschaute. Allein schließlich brachten dynastische Gründe den Stein ins Rollen. Im Vertrag vom 20. November 1813. durch den Baden sich den Verbündeten anschloß, hatte sich der Großherzog verpflichten müssen, dereinst die Abtretungen zu machen, welche die künftigen Einrichtungen Deutschlands gebieten würden. Bayern erhob Ansprüche auf die badische Pfalz und Österreich schielte nach dem Breisgau. Die Begehrlichkeit dieser Mächte wurde begünstigt durch die badischen Thronfolge¬ verhältnisse. Die beiden Söhne Großherzog Karls waren in frühester Kindheit gestorben. Markgraf Ludwig, der letzte männliche Nachkomme aus Karl Friedrichs erster Ehe, war un vermählt. Den Söhnen Karl Friedrichs ans seiner zweiten Ehe mit der Gräfin Hochberg bestritt Bayern das Thronfolgerecht. Baden schwebte in höchster Gefahr, durch namhafte Gebietsverluste wieder zum Klein¬ staat herabzusinken. Als Antwort auf die bayerischen Ansprüche erging am 4. Oktober 1817 ein großherzoglichss Hausgesetz, welches das Großherzogtum als ein für alle Zeiten unteilbares Ganzes erklärte, das schon von Karl Friedrich ausgesprochene Nachfolgerecht der Grafen von Hochberg bestätigte und sie zu Prinzen von Baden erhob. Gleichzeitig bemühte sich die badische Regierung bei den Großmächten um die Anerkennung der Bestimmungen des Hausgesetzes. Da drohte Bayern durch die als unmittelbar bevorstehend angekündigte Ein- führung einer Verfassung dem Großherzogtum in der Gunst der öffentlichen Meinung und der Großmächte den Rang abzulaufen. Nun galt es zumal bei dem ungünstigen Gesundheitszustand des Großherzogs rasch zu handeln. Im April 1818 beauftragte Großherzog Karl den Finanzrat Nebenius, einen neuen Ver> fassungsentwurf auszuarbeiten. Der von Nebenius aufgestellte Entwurf wurde

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/379
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/379>, abgerufen am 27.07.2024.