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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Aus den Anfängen des Großherzogtums Baden

(Grundsteuerordnung und Häusersteuerordnung von 1810, Gewerbesteuerordnung
von 1815). Diese Regelung bestimmte auf Jahrzehnte hinaus die Grundlagen
des badischen Steuerwesens.

Der Sturz der französischen Fremdherrschaft rief eine Gegenbewegung
gegen den rheinbündisch-französischen Zuschnitt der Verwaltung auf den Plan.
In der Beamtenschaft setzte eine lebhafte Kritik an der Neitzensteinschen Ver¬
waltungsordnung ein. Die Erkenntnis brach durch, daß man in der stürmischen
Hast der Rheinbundszeit manche bewährte Form der altbadischen Verwaltung
preisgegeben hatte. Am knappsten und eindruckvollsten wurden die rhein¬
bundfeindlichen Verwaltungsgedanken in der Denkschrift des Ministericilrates
(späteren Ministers) Ludwig Winter vom 6. Januar 1817 ausgesprochen.
Seine Vorschläge erstrebten eine Wiederbelebung der Brauerschen Verwaltungs¬
organisation und gipfelten in der Rückkehr zum markgräflichen Geheimrats-
kollegimn und in der Beseitigung der Kreisdirektorien. Allein die umfangreichen
Beratungen im Schoße der der Ministerien über Verwaltungreformen verliefen
ergebnislos. Ermattung und Stillstand drückten dem Zeitraum nach dem Wiener
den Stempel auf. Die Mißstimmung über die unaufhörlichen Änderungen und
Umgestaltungen des Behördenwesens in der Rheinbundszeit war allgemein. Man
sehnte sich nach Ruhe und Stetigkeit.

Mehr und mehr begann man das Heil weniger von Vcrwaltungsformen
als von der Einführung von Landständen zu erwarten. Verschiedene Flüsse
mündeten in den Strom der Verfassungsbeioegung ein. Die ersten Antriebe
gingen von den Kreisen des höheren Beamtentums aus. Marschall und andere
Ratgeber des Großherzogs glaubten die erforderliche Stetigkeit der Regierung
und Verwaltung und die Ordnung der Staatsfinanzen am besten durch eine
landständische Verfassung verbürgt. Auch am Oberrhein hatten vormals Land-
stände bestanden, doch waren sie schon über ein Jahrhundert eingeschlafen. Nur
im Breisgau hatten sie sich bis zur Einverleibung in Baden behauptet. Aber
die Erinnerung an die früheren Stände war nicht völlig verblaßt und sie blieb
neben den französischen Einflüssen wirksam. Im Adel verdichtete sich die Mi߬
stimmung über die Entziehung oder Schmälerung von Steuervorrechten und anderen
Sonderrechten und der Wunsch, wieder größeren Einfluß auf die Staatsgeschäfte
zu erringen, zu dem lebhaft vorgetragenen Verlangen nach Landständen. Den
Wortführern des Adels schwebte dabei der altständisch-körperschaftliche Gedanke
vor Augen. Die Anschauung, daß die Regierung nicht einseitig von sich aus
Abgaben auferlegen dürfe, sondern die Regelung durch Vertrag zwischen der
Regierung und den Ständen erfolgen müsse. Erst verhältnismäßig spät zog
der Verfassungsgedanke auch im Bürgertum weitere Kreise; den Anstoß gab vor
allem die Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen Notlage und mit dem schweren
Druck der Staatsabgaben. So fand auch in der Verfassung der Kampf
zwischen den einheimischen Überlieferungen und den neufranzösischen Gedanken¬
gängen, zwischen geschichtlichem und naturrechtlichen Denken seinen Ausgleich.


Aus den Anfängen des Großherzogtums Baden

(Grundsteuerordnung und Häusersteuerordnung von 1810, Gewerbesteuerordnung
von 1815). Diese Regelung bestimmte auf Jahrzehnte hinaus die Grundlagen
des badischen Steuerwesens.

Der Sturz der französischen Fremdherrschaft rief eine Gegenbewegung
gegen den rheinbündisch-französischen Zuschnitt der Verwaltung auf den Plan.
In der Beamtenschaft setzte eine lebhafte Kritik an der Neitzensteinschen Ver¬
waltungsordnung ein. Die Erkenntnis brach durch, daß man in der stürmischen
Hast der Rheinbundszeit manche bewährte Form der altbadischen Verwaltung
preisgegeben hatte. Am knappsten und eindruckvollsten wurden die rhein¬
bundfeindlichen Verwaltungsgedanken in der Denkschrift des Ministericilrates
(späteren Ministers) Ludwig Winter vom 6. Januar 1817 ausgesprochen.
Seine Vorschläge erstrebten eine Wiederbelebung der Brauerschen Verwaltungs¬
organisation und gipfelten in der Rückkehr zum markgräflichen Geheimrats-
kollegimn und in der Beseitigung der Kreisdirektorien. Allein die umfangreichen
Beratungen im Schoße der der Ministerien über Verwaltungreformen verliefen
ergebnislos. Ermattung und Stillstand drückten dem Zeitraum nach dem Wiener
den Stempel auf. Die Mißstimmung über die unaufhörlichen Änderungen und
Umgestaltungen des Behördenwesens in der Rheinbundszeit war allgemein. Man
sehnte sich nach Ruhe und Stetigkeit.

Mehr und mehr begann man das Heil weniger von Vcrwaltungsformen
als von der Einführung von Landständen zu erwarten. Verschiedene Flüsse
mündeten in den Strom der Verfassungsbeioegung ein. Die ersten Antriebe
gingen von den Kreisen des höheren Beamtentums aus. Marschall und andere
Ratgeber des Großherzogs glaubten die erforderliche Stetigkeit der Regierung
und Verwaltung und die Ordnung der Staatsfinanzen am besten durch eine
landständische Verfassung verbürgt. Auch am Oberrhein hatten vormals Land-
stände bestanden, doch waren sie schon über ein Jahrhundert eingeschlafen. Nur
im Breisgau hatten sie sich bis zur Einverleibung in Baden behauptet. Aber
die Erinnerung an die früheren Stände war nicht völlig verblaßt und sie blieb
neben den französischen Einflüssen wirksam. Im Adel verdichtete sich die Mi߬
stimmung über die Entziehung oder Schmälerung von Steuervorrechten und anderen
Sonderrechten und der Wunsch, wieder größeren Einfluß auf die Staatsgeschäfte
zu erringen, zu dem lebhaft vorgetragenen Verlangen nach Landständen. Den
Wortführern des Adels schwebte dabei der altständisch-körperschaftliche Gedanke
vor Augen. Die Anschauung, daß die Regierung nicht einseitig von sich aus
Abgaben auferlegen dürfe, sondern die Regelung durch Vertrag zwischen der
Regierung und den Ständen erfolgen müsse. Erst verhältnismäßig spät zog
der Verfassungsgedanke auch im Bürgertum weitere Kreise; den Anstoß gab vor
allem die Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen Notlage und mit dem schweren
Druck der Staatsabgaben. So fand auch in der Verfassung der Kampf
zwischen den einheimischen Überlieferungen und den neufranzösischen Gedanken¬
gängen, zwischen geschichtlichem und naturrechtlichen Denken seinen Ausgleich.


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[0378] Aus den Anfängen des Großherzogtums Baden (Grundsteuerordnung und Häusersteuerordnung von 1810, Gewerbesteuerordnung von 1815). Diese Regelung bestimmte auf Jahrzehnte hinaus die Grundlagen des badischen Steuerwesens. Der Sturz der französischen Fremdherrschaft rief eine Gegenbewegung gegen den rheinbündisch-französischen Zuschnitt der Verwaltung auf den Plan. In der Beamtenschaft setzte eine lebhafte Kritik an der Neitzensteinschen Ver¬ waltungsordnung ein. Die Erkenntnis brach durch, daß man in der stürmischen Hast der Rheinbundszeit manche bewährte Form der altbadischen Verwaltung preisgegeben hatte. Am knappsten und eindruckvollsten wurden die rhein¬ bundfeindlichen Verwaltungsgedanken in der Denkschrift des Ministericilrates (späteren Ministers) Ludwig Winter vom 6. Januar 1817 ausgesprochen. Seine Vorschläge erstrebten eine Wiederbelebung der Brauerschen Verwaltungs¬ organisation und gipfelten in der Rückkehr zum markgräflichen Geheimrats- kollegimn und in der Beseitigung der Kreisdirektorien. Allein die umfangreichen Beratungen im Schoße der der Ministerien über Verwaltungreformen verliefen ergebnislos. Ermattung und Stillstand drückten dem Zeitraum nach dem Wiener den Stempel auf. Die Mißstimmung über die unaufhörlichen Änderungen und Umgestaltungen des Behördenwesens in der Rheinbundszeit war allgemein. Man sehnte sich nach Ruhe und Stetigkeit. Mehr und mehr begann man das Heil weniger von Vcrwaltungsformen als von der Einführung von Landständen zu erwarten. Verschiedene Flüsse mündeten in den Strom der Verfassungsbeioegung ein. Die ersten Antriebe gingen von den Kreisen des höheren Beamtentums aus. Marschall und andere Ratgeber des Großherzogs glaubten die erforderliche Stetigkeit der Regierung und Verwaltung und die Ordnung der Staatsfinanzen am besten durch eine landständische Verfassung verbürgt. Auch am Oberrhein hatten vormals Land- stände bestanden, doch waren sie schon über ein Jahrhundert eingeschlafen. Nur im Breisgau hatten sie sich bis zur Einverleibung in Baden behauptet. Aber die Erinnerung an die früheren Stände war nicht völlig verblaßt und sie blieb neben den französischen Einflüssen wirksam. Im Adel verdichtete sich die Mi߬ stimmung über die Entziehung oder Schmälerung von Steuervorrechten und anderen Sonderrechten und der Wunsch, wieder größeren Einfluß auf die Staatsgeschäfte zu erringen, zu dem lebhaft vorgetragenen Verlangen nach Landständen. Den Wortführern des Adels schwebte dabei der altständisch-körperschaftliche Gedanke vor Augen. Die Anschauung, daß die Regierung nicht einseitig von sich aus Abgaben auferlegen dürfe, sondern die Regelung durch Vertrag zwischen der Regierung und den Ständen erfolgen müsse. Erst verhältnismäßig spät zog der Verfassungsgedanke auch im Bürgertum weitere Kreise; den Anstoß gab vor allem die Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen Notlage und mit dem schweren Druck der Staatsabgaben. So fand auch in der Verfassung der Kampf zwischen den einheimischen Überlieferungen und den neufranzösischen Gedanken¬ gängen, zwischen geschichtlichem und naturrechtlichen Denken seinen Ausgleich.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/378>, abgerufen am 28.07.2024.