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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Deutschlands Telcgraphenisolicrnng während des Krieges

Benutzung jederzeit zu verhindern. Die Engländer hingegen könnten die Sperrung
der deutschen Kabel nicht ohne weiteres kontrollieren, denn bei Anlage des
deutschen Seekabelnetzes hat man es mit Recht grundsätzlich vermieden, franzö¬
sisches oder englisches Gebiet anzukaufen; deshalb laufen die transatlantischen
Kabel Deutschlands von Borkum aus zunächst nach den Azoren, also nach
portugiesischem Territorium, und von dort nach New Dort, beziehungsweise
von Borkum nach den Kanaren, also auf spanischen Boden, von dort nach
Monrovia, der Hauptstadt der westafrikanischen Negerrepublik Liberia, und schließlich
von hier nach dem brasilianischen Küstenort Pernambuco.

England hätte also nicht ohne weiteres kontrollieren können, ob eine
etwa angekündigte Außerbetriebsetzung der deutschen Kabel (mit Ausnahme
der direkt zwischen Deutschland und England verlaufenden Seekadet) in der
Tat streng durchgeführt wird. Angriffe auf feindliche Seekadet dürfen nach den
völkerrechtlichen Grundsätzen nicht im Gebiete neutraler Staaten erfolgen. Wenn
also England diese von ihm anerkannten Grundsätze beobachtete (was man freilich
beim "perfiden Albion" niemals garantieren kann), so waren die Mündungen
der deutschen Kabel auf den Azoren, den Kanaren, in Liberia, Brasilien und
den Vereinigten Staaten einschließlich der "Dreimeilenzone", d. h. eines drei
englische Meilen breiten Meeresstreifens an der Küste, absolut unverletzlich und
ein Eingriff hätte eine Brüskierung des jeweilig betroffenen neutralen Staates
bedeutet, die dem Überfall auf den Hilfskreuzer "Kaiser Wilhelm der Große"
in spanischen Gewässern gleichzustellen gewesen wäre. Unbedingt kriegsrechtlich
zulässig war ein Angriff auf die von Deutschland ausgehenden Kabel nur im Bereich
der deutschen Gewässer, also vor Borkum und ebenso vor Lome in Togo und
vor Duala in Kamerun. In den kolonialen Gewässern konnte die Frage keine
praktische Bedeutung haben, denn ganz abgesehen davon, daß der praktische Erfolg
einer Maßnahme daselbst minimal oder gleich Null gewesen wäre, mußte sich ein
englischer Angriff auf die deutschen Kolonien keinesfalls nur auf den Kabelbesitz
beschränken, wie wir ja in Togo gesehen haben. Ein Anschlag auf die deutschen
Kabel in den Gewässern vor Borkum wäre völkerrechtlich keinesfalls zu beanstanden
gewesen, aber er würde in jedem Falle viel Zeit und Mut seitens des suchenden
Kabelschiffs erfordert haben, und man wagte bei der nicht geringen Aktionsfähigkeit
der deutschen Nordseeflotte offenbar nicht, die eigenen Fahrzeuge einer immerhin
ernsten Gefahr auszusetzen.

Ungefährlicher war deshalb ein Angriff gegen die deutschen Kabel auf offener
See. Die Amerikaner haben es im spanischen Kriege 1898 zwar vermieden, die dem
Feinde dienenden Kabel auf hoher See aufzufischen, und haben es sich damals
zum Grundsatz gemacht. Kabelzerstörungen nur innerhalb der spanischen Gewässer
(Kuba und Philippinen), nötigenfalls selbst unter dem Feuer feindlicher Geschütze,
auszuführen; aber eine solche Gentleman-Kriegführung wird man einem Volk,
das sich an einen gefürchteten Gegner nur heranwagt, wenn vier gegen einen
losschlagen, keinesfalls zutrauen dürfen. England hat sich daher keinen Augen-


Deutschlands Telcgraphenisolicrnng während des Krieges

Benutzung jederzeit zu verhindern. Die Engländer hingegen könnten die Sperrung
der deutschen Kabel nicht ohne weiteres kontrollieren, denn bei Anlage des
deutschen Seekabelnetzes hat man es mit Recht grundsätzlich vermieden, franzö¬
sisches oder englisches Gebiet anzukaufen; deshalb laufen die transatlantischen
Kabel Deutschlands von Borkum aus zunächst nach den Azoren, also nach
portugiesischem Territorium, und von dort nach New Dort, beziehungsweise
von Borkum nach den Kanaren, also auf spanischen Boden, von dort nach
Monrovia, der Hauptstadt der westafrikanischen Negerrepublik Liberia, und schließlich
von hier nach dem brasilianischen Küstenort Pernambuco.

England hätte also nicht ohne weiteres kontrollieren können, ob eine
etwa angekündigte Außerbetriebsetzung der deutschen Kabel (mit Ausnahme
der direkt zwischen Deutschland und England verlaufenden Seekadet) in der
Tat streng durchgeführt wird. Angriffe auf feindliche Seekadet dürfen nach den
völkerrechtlichen Grundsätzen nicht im Gebiete neutraler Staaten erfolgen. Wenn
also England diese von ihm anerkannten Grundsätze beobachtete (was man freilich
beim „perfiden Albion" niemals garantieren kann), so waren die Mündungen
der deutschen Kabel auf den Azoren, den Kanaren, in Liberia, Brasilien und
den Vereinigten Staaten einschließlich der „Dreimeilenzone", d. h. eines drei
englische Meilen breiten Meeresstreifens an der Küste, absolut unverletzlich und
ein Eingriff hätte eine Brüskierung des jeweilig betroffenen neutralen Staates
bedeutet, die dem Überfall auf den Hilfskreuzer „Kaiser Wilhelm der Große"
in spanischen Gewässern gleichzustellen gewesen wäre. Unbedingt kriegsrechtlich
zulässig war ein Angriff auf die von Deutschland ausgehenden Kabel nur im Bereich
der deutschen Gewässer, also vor Borkum und ebenso vor Lome in Togo und
vor Duala in Kamerun. In den kolonialen Gewässern konnte die Frage keine
praktische Bedeutung haben, denn ganz abgesehen davon, daß der praktische Erfolg
einer Maßnahme daselbst minimal oder gleich Null gewesen wäre, mußte sich ein
englischer Angriff auf die deutschen Kolonien keinesfalls nur auf den Kabelbesitz
beschränken, wie wir ja in Togo gesehen haben. Ein Anschlag auf die deutschen
Kabel in den Gewässern vor Borkum wäre völkerrechtlich keinesfalls zu beanstanden
gewesen, aber er würde in jedem Falle viel Zeit und Mut seitens des suchenden
Kabelschiffs erfordert haben, und man wagte bei der nicht geringen Aktionsfähigkeit
der deutschen Nordseeflotte offenbar nicht, die eigenen Fahrzeuge einer immerhin
ernsten Gefahr auszusetzen.

Ungefährlicher war deshalb ein Angriff gegen die deutschen Kabel auf offener
See. Die Amerikaner haben es im spanischen Kriege 1898 zwar vermieden, die dem
Feinde dienenden Kabel auf hoher See aufzufischen, und haben es sich damals
zum Grundsatz gemacht. Kabelzerstörungen nur innerhalb der spanischen Gewässer
(Kuba und Philippinen), nötigenfalls selbst unter dem Feuer feindlicher Geschütze,
auszuführen; aber eine solche Gentleman-Kriegführung wird man einem Volk,
das sich an einen gefürchteten Gegner nur heranwagt, wenn vier gegen einen
losschlagen, keinesfalls zutrauen dürfen. England hat sich daher keinen Augen-


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[0372] Deutschlands Telcgraphenisolicrnng während des Krieges Benutzung jederzeit zu verhindern. Die Engländer hingegen könnten die Sperrung der deutschen Kabel nicht ohne weiteres kontrollieren, denn bei Anlage des deutschen Seekabelnetzes hat man es mit Recht grundsätzlich vermieden, franzö¬ sisches oder englisches Gebiet anzukaufen; deshalb laufen die transatlantischen Kabel Deutschlands von Borkum aus zunächst nach den Azoren, also nach portugiesischem Territorium, und von dort nach New Dort, beziehungsweise von Borkum nach den Kanaren, also auf spanischen Boden, von dort nach Monrovia, der Hauptstadt der westafrikanischen Negerrepublik Liberia, und schließlich von hier nach dem brasilianischen Küstenort Pernambuco. England hätte also nicht ohne weiteres kontrollieren können, ob eine etwa angekündigte Außerbetriebsetzung der deutschen Kabel (mit Ausnahme der direkt zwischen Deutschland und England verlaufenden Seekadet) in der Tat streng durchgeführt wird. Angriffe auf feindliche Seekadet dürfen nach den völkerrechtlichen Grundsätzen nicht im Gebiete neutraler Staaten erfolgen. Wenn also England diese von ihm anerkannten Grundsätze beobachtete (was man freilich beim „perfiden Albion" niemals garantieren kann), so waren die Mündungen der deutschen Kabel auf den Azoren, den Kanaren, in Liberia, Brasilien und den Vereinigten Staaten einschließlich der „Dreimeilenzone", d. h. eines drei englische Meilen breiten Meeresstreifens an der Küste, absolut unverletzlich und ein Eingriff hätte eine Brüskierung des jeweilig betroffenen neutralen Staates bedeutet, die dem Überfall auf den Hilfskreuzer „Kaiser Wilhelm der Große" in spanischen Gewässern gleichzustellen gewesen wäre. Unbedingt kriegsrechtlich zulässig war ein Angriff auf die von Deutschland ausgehenden Kabel nur im Bereich der deutschen Gewässer, also vor Borkum und ebenso vor Lome in Togo und vor Duala in Kamerun. In den kolonialen Gewässern konnte die Frage keine praktische Bedeutung haben, denn ganz abgesehen davon, daß der praktische Erfolg einer Maßnahme daselbst minimal oder gleich Null gewesen wäre, mußte sich ein englischer Angriff auf die deutschen Kolonien keinesfalls nur auf den Kabelbesitz beschränken, wie wir ja in Togo gesehen haben. Ein Anschlag auf die deutschen Kabel in den Gewässern vor Borkum wäre völkerrechtlich keinesfalls zu beanstanden gewesen, aber er würde in jedem Falle viel Zeit und Mut seitens des suchenden Kabelschiffs erfordert haben, und man wagte bei der nicht geringen Aktionsfähigkeit der deutschen Nordseeflotte offenbar nicht, die eigenen Fahrzeuge einer immerhin ernsten Gefahr auszusetzen. Ungefährlicher war deshalb ein Angriff gegen die deutschen Kabel auf offener See. Die Amerikaner haben es im spanischen Kriege 1898 zwar vermieden, die dem Feinde dienenden Kabel auf hoher See aufzufischen, und haben es sich damals zum Grundsatz gemacht. Kabelzerstörungen nur innerhalb der spanischen Gewässer (Kuba und Philippinen), nötigenfalls selbst unter dem Feuer feindlicher Geschütze, auszuführen; aber eine solche Gentleman-Kriegführung wird man einem Volk, das sich an einen gefürchteten Gegner nur heranwagt, wenn vier gegen einen losschlagen, keinesfalls zutrauen dürfen. England hat sich daher keinen Augen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/372>, abgerufen am 01.09.2024.