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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Die russische Armee al? Gegner

auch die von ihm erkämpften Vorteile wieder verloren. Noch lange nach dem
Kriege hat dem "Weißen General" der Anblick des Schlachtfeldes von
Se. Privat Tränen der Beschämung abgepreßt, weil dort den Preußen
gelungen war, was die Russen bei Plenum nicht konnten. In der Tat hatte
bereits der zweite, am 20. Juli unternommene Angriff auf Plenum manche
unliebsame Erscheinungen zutage gefördert. Unter dem Eindruck der sich
häufenden Verluste entstand eine Panik, die sich bis an die Donaubrücke von
Sistov fortsetzte. Dort mußten sich die Brückenwachen bereitmachen, auf die
andringenden Flüchtlinge zu feuern. Die zur Donau führenden Wege waren
mit fortgeworfenen Bekleidungs- und Ausrüstungsstücken bedeckt. Die Ver¬
wundeten wurden im Stiche gelassen. Nur weil die Türken nicht nachfließen,
ist damals das Schlimmste abgewendet worden.
'

Gewiß, Paniken find überall vorgekommen, und es wäre töricht zu
glauben, daß andere Armeen gegen sie gefeit seien. Vermöge der Offenheit,
mit der sich die russische amtliche und halbamtliche Militärliteratur über diese
Dinge äußert, erfahren wir von solchen Dingen bei russischen Truppen nur
weit mehr als anderswo. Unzweifelhaft ist aber der Russe unerwarteten Ein¬
drücken, die plötzlich auf ihn einstürmen, besonders zugänglich. Es war das
1875 um so mehr der Fall, mit je größerem Zutrauen auf die unwider¬
stehliche Tapferkeit russischer Truppen man in den Krieg gezogen war und je
geringer man den Gegner eingeschätzt hatte. Die Stimmung war nach dem
dritten Angriff auf Plewna bei Führern und Truppe in hohem Grade nieder¬
gedrückt. Die Häufigkeit der Fälle, wo ein höherer Offizier wie Skobelew die
ganze Macht seiner Persönlichkeit einsetzen mußte, um Krisen im Gefecht zu
überwinden und den stockenden Angriff in Fluß zu bringen, läßt am inneren
Wert der Truppe berechtigte Zweifel aufkommen. Noch jenseits des Balkan,
beim Angriff gegen die türkische Stellung von Scheinowo, im Rücken des
Schipkapasses entringt sich Skobelew, als der Angriff zeitweilig nicht vorwärts
geht, der kummervolle Ausruf: "Es scheint, das wird wieder wie bei Plewna!"

Der einstige Generalstabsoffizier Skobelews, spätere Oberkommandierende
des Mandschureiheeres, GeneraladjutantKuropatkin, äußert in seinem Rechenschafts ¬
bericht über den Krieg gegen Japan, in dem er einen geschichtlichen Rückblick
anstellt, daß namentlich denjenigen Truppenteilen, die nicht bereits den Winter
1876/77 an der rumänischen Grenze in mobilem Zustande verbracht hätten,
sondern erst später auf Kriegsstärke gebracht worden wären, teilweise der feste
Schluß gefehlt habe. "Dieser erste Krieg nach Einführung der allgemeinen
Wehrpflicht, wenn er anch mit einem Siege über die Türken endigte, bewies
doch, wie sehr die Schnelligkeit unserer Mobilmachung und unseres Aufmarsches
im Vergleich mit unseren westlichen Nachbarn im Rückstände war. . . Wir
waren in der Verteidigung stärker als im Angriff. . . Wie im Krimkciege
waren wir auch noch damals wenig manövrierfähig und führten das Angriffs¬
gefecht bei vielen Gelegenheiten, besonders bei Plewna, ungeschickt."


Die russische Armee al? Gegner

auch die von ihm erkämpften Vorteile wieder verloren. Noch lange nach dem
Kriege hat dem „Weißen General" der Anblick des Schlachtfeldes von
Se. Privat Tränen der Beschämung abgepreßt, weil dort den Preußen
gelungen war, was die Russen bei Plenum nicht konnten. In der Tat hatte
bereits der zweite, am 20. Juli unternommene Angriff auf Plenum manche
unliebsame Erscheinungen zutage gefördert. Unter dem Eindruck der sich
häufenden Verluste entstand eine Panik, die sich bis an die Donaubrücke von
Sistov fortsetzte. Dort mußten sich die Brückenwachen bereitmachen, auf die
andringenden Flüchtlinge zu feuern. Die zur Donau führenden Wege waren
mit fortgeworfenen Bekleidungs- und Ausrüstungsstücken bedeckt. Die Ver¬
wundeten wurden im Stiche gelassen. Nur weil die Türken nicht nachfließen,
ist damals das Schlimmste abgewendet worden.
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Gewiß, Paniken find überall vorgekommen, und es wäre töricht zu
glauben, daß andere Armeen gegen sie gefeit seien. Vermöge der Offenheit,
mit der sich die russische amtliche und halbamtliche Militärliteratur über diese
Dinge äußert, erfahren wir von solchen Dingen bei russischen Truppen nur
weit mehr als anderswo. Unzweifelhaft ist aber der Russe unerwarteten Ein¬
drücken, die plötzlich auf ihn einstürmen, besonders zugänglich. Es war das
1875 um so mehr der Fall, mit je größerem Zutrauen auf die unwider¬
stehliche Tapferkeit russischer Truppen man in den Krieg gezogen war und je
geringer man den Gegner eingeschätzt hatte. Die Stimmung war nach dem
dritten Angriff auf Plewna bei Führern und Truppe in hohem Grade nieder¬
gedrückt. Die Häufigkeit der Fälle, wo ein höherer Offizier wie Skobelew die
ganze Macht seiner Persönlichkeit einsetzen mußte, um Krisen im Gefecht zu
überwinden und den stockenden Angriff in Fluß zu bringen, läßt am inneren
Wert der Truppe berechtigte Zweifel aufkommen. Noch jenseits des Balkan,
beim Angriff gegen die türkische Stellung von Scheinowo, im Rücken des
Schipkapasses entringt sich Skobelew, als der Angriff zeitweilig nicht vorwärts
geht, der kummervolle Ausruf: „Es scheint, das wird wieder wie bei Plewna!"

Der einstige Generalstabsoffizier Skobelews, spätere Oberkommandierende
des Mandschureiheeres, GeneraladjutantKuropatkin, äußert in seinem Rechenschafts ¬
bericht über den Krieg gegen Japan, in dem er einen geschichtlichen Rückblick
anstellt, daß namentlich denjenigen Truppenteilen, die nicht bereits den Winter
1876/77 an der rumänischen Grenze in mobilem Zustande verbracht hätten,
sondern erst später auf Kriegsstärke gebracht worden wären, teilweise der feste
Schluß gefehlt habe. „Dieser erste Krieg nach Einführung der allgemeinen
Wehrpflicht, wenn er anch mit einem Siege über die Türken endigte, bewies
doch, wie sehr die Schnelligkeit unserer Mobilmachung und unseres Aufmarsches
im Vergleich mit unseren westlichen Nachbarn im Rückstände war. . . Wir
waren in der Verteidigung stärker als im Angriff. . . Wie im Krimkciege
waren wir auch noch damals wenig manövrierfähig und führten das Angriffs¬
gefecht bei vielen Gelegenheiten, besonders bei Plewna, ungeschickt."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/288>, abgerufen am 01.09.2024.