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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Arieg und Sozialpolitik

Doch nicht nur den Mitgliedern der Krankenkassen, sondern auch diesen
selbst hat sich für diese schwere Kriegszeit die Fürsorge des Staates zugewandt.
Um die Leistungsfähigkeit der Krankenkassen zu sichern, sind durch ein zu diesem
Zwecke erlassenes Gesetz vom 4. August 1914 für die Dauer des gegenwärtigen
Krieges bei sämtlichen Orts-, Land-, Betriebs- und Innungkrankenkassen die
Leistungen auf die Regelleistungen und die Beiträge auf 4^ vom Hundert des
Grundlohnes festgesetzt. Auf Antrag des Vorstandes einer Krankenkasse kann
das Versicherungsamt sogar die Erhebung niedriger Beiträge oder die Gewährung
höherer Leistungen anordnen, wenn die Leistungsfähigkeit der Kasse gesichert ist.
Wenn bei einer Kasse die Beiträge von 4^ vom Hundert des Grundlohnes
für die Regelleistungen und Verwaltungskosten nicht ausreichen, so hat bei Orts¬
und Landkrankenkassen der Gemeindeverband, bei Betriebskrankenkassen der
Arbeitsgeber, bei Jnnungskrankenkassen die Innung die erforderlichen Beihilfen
aus eigenen Mitteln zu leisten.

Mit diesen sozialpolitischen Verbesserungen der gegenwärtigen Gesetze ist die
soziale Fürsorge des Staates keineswegs erschöpft. Um die Ernährung des
Volkes auch während des Krieges zu ermöglichen und eine übermäßige Steigerung
der Lebensmittelpreise zu verhindern, ist ebenfalls am 4. August 1914 der
Bundesrat ermächtigt, während der Dauer des Krieges die wichtigsten Volks¬
ernährungsmittel wie Getreide, Reis, Hülsenfrüchte, Kartoffeln, Rüben, Grün-
und Rauhfutter. Küchengewächse, Vieh, Fleisch und Zubereitungen von Fleisch,
Fische, Fette zum Genusse, Käse, Eier, Müllererzeugnisse, gewöhnliches Backwerk,
eingedickte Milch und anderweitige Nahrungs- und Genußmittel, sowie Mineral¬
öle zollfrei zu lassen. Für Gegenstände des täglichen Bedarfs, insbesondere
für Nahrungs- und Futtermittel aller Art, sowie sür rohe Naturerzeugnisse,
Heiz- und Leuchtstoffe können Höchstpreise festgesetzt werden. Wenn sich ein
Besitzer dieser Gegenstände trotz Aufforderung der zuständigen Behörde
weigert, sie zu den festgesetzten Höchstpreisen zu verkaufen, so kann die zuständige
Behörde sie übernehmen und auf Rechnung und Kosten des Besitzers zu den
festgesetzten Höchstpreisen verkaufen, soweit sie nicht für dessen eigenen Bedarf
nötig sind. Außerdem wird ein solcher Besitzer mit Geld bis zu dreitausend
Mark oder entsprechender Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten bestraft, und
nach den bereits bestehenden Gesetzen kann einem solchen Lebensmittelwucherer
das Geschäft polizeilich geschlossen werden, was denn auch zur Abschreckung
anderer Übeltäter bereits einige Male mit gutem Erfolg geschehen ist.

Nimmt man zu den vorstehend erwähnten Gesetzen vom 4. August 1914
noch die sich auf das bürgerliche Prozeß-, Wechsel- und Scheckrecht beziehenden
Gesetze und das die Gründung von Darlehnskassen anordnende Gesetz von
demselben Tage hinzu, so kann kein Zweifel sein, daß das Deutsche Reich nicht
nur auf militärischem und finanziellem, sondern auch auf volkswirtschaftlichen
Gebiete zum Kriege überall gerüstet ist.




Arieg und Sozialpolitik

Doch nicht nur den Mitgliedern der Krankenkassen, sondern auch diesen
selbst hat sich für diese schwere Kriegszeit die Fürsorge des Staates zugewandt.
Um die Leistungsfähigkeit der Krankenkassen zu sichern, sind durch ein zu diesem
Zwecke erlassenes Gesetz vom 4. August 1914 für die Dauer des gegenwärtigen
Krieges bei sämtlichen Orts-, Land-, Betriebs- und Innungkrankenkassen die
Leistungen auf die Regelleistungen und die Beiträge auf 4^ vom Hundert des
Grundlohnes festgesetzt. Auf Antrag des Vorstandes einer Krankenkasse kann
das Versicherungsamt sogar die Erhebung niedriger Beiträge oder die Gewährung
höherer Leistungen anordnen, wenn die Leistungsfähigkeit der Kasse gesichert ist.
Wenn bei einer Kasse die Beiträge von 4^ vom Hundert des Grundlohnes
für die Regelleistungen und Verwaltungskosten nicht ausreichen, so hat bei Orts¬
und Landkrankenkassen der Gemeindeverband, bei Betriebskrankenkassen der
Arbeitsgeber, bei Jnnungskrankenkassen die Innung die erforderlichen Beihilfen
aus eigenen Mitteln zu leisten.

Mit diesen sozialpolitischen Verbesserungen der gegenwärtigen Gesetze ist die
soziale Fürsorge des Staates keineswegs erschöpft. Um die Ernährung des
Volkes auch während des Krieges zu ermöglichen und eine übermäßige Steigerung
der Lebensmittelpreise zu verhindern, ist ebenfalls am 4. August 1914 der
Bundesrat ermächtigt, während der Dauer des Krieges die wichtigsten Volks¬
ernährungsmittel wie Getreide, Reis, Hülsenfrüchte, Kartoffeln, Rüben, Grün-
und Rauhfutter. Küchengewächse, Vieh, Fleisch und Zubereitungen von Fleisch,
Fische, Fette zum Genusse, Käse, Eier, Müllererzeugnisse, gewöhnliches Backwerk,
eingedickte Milch und anderweitige Nahrungs- und Genußmittel, sowie Mineral¬
öle zollfrei zu lassen. Für Gegenstände des täglichen Bedarfs, insbesondere
für Nahrungs- und Futtermittel aller Art, sowie sür rohe Naturerzeugnisse,
Heiz- und Leuchtstoffe können Höchstpreise festgesetzt werden. Wenn sich ein
Besitzer dieser Gegenstände trotz Aufforderung der zuständigen Behörde
weigert, sie zu den festgesetzten Höchstpreisen zu verkaufen, so kann die zuständige
Behörde sie übernehmen und auf Rechnung und Kosten des Besitzers zu den
festgesetzten Höchstpreisen verkaufen, soweit sie nicht für dessen eigenen Bedarf
nötig sind. Außerdem wird ein solcher Besitzer mit Geld bis zu dreitausend
Mark oder entsprechender Gefängnisstrafe bis zu sechs Monaten bestraft, und
nach den bereits bestehenden Gesetzen kann einem solchen Lebensmittelwucherer
das Geschäft polizeilich geschlossen werden, was denn auch zur Abschreckung
anderer Übeltäter bereits einige Male mit gutem Erfolg geschehen ist.

Nimmt man zu den vorstehend erwähnten Gesetzen vom 4. August 1914
noch die sich auf das bürgerliche Prozeß-, Wechsel- und Scheckrecht beziehenden
Gesetze und das die Gründung von Darlehnskassen anordnende Gesetz von
demselben Tage hinzu, so kann kein Zweifel sein, daß das Deutsche Reich nicht
nur auf militärischem und finanziellem, sondern auch auf volkswirtschaftlichen
Gebiete zum Kriege überall gerüstet ist.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/284>, abgerufen am 01.09.2024.