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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Den (ZZuertroibern

Man höre und sehe um sich, was der Krieg schon jetzt bewirkt hat. Man
lese, was der Sozialdemokrat Ludwig Quessel schreibt: "In diesen schweren
Tagen." heißt es in Heft 16 der sozialistischen Monatshefte (S. 1014),
"da fast ganz Europa in Flammen steht, erhebt sich die Frage, ob
Deutschland nicht vielleicht besser getan hätte, das Habsburgische Kaiserreich
seinem Schicksaal zu überlassen. Diese Frage aufwerfen, heißt sie verneinen.
Europa gleicht einem gewaltigen Gebäude, dessen einzelne Stockwerke und
Abteilungen von den einzelnen Nationen bewohnt werden. Es wäre unsinnig
zu glauben, man könne aus diesem vielgestaltigen Bau eine Mauer heraus¬
reißen, ohne die Sicherheit des ganzen Gebäudes zu gefährden. Ohne Freunde
im Westen und Osten, gegen das eng Mit einander verbundene Rußland und
Frankreich ganz aus den einen Bundesgenossen angewiesen, konnte Deutschland
diesen nicht ruhig der gewaltsamen Vernichtung entgegentreiben sehen. Oder
glaubt man, daß Frankreich und Rußland nach der Unterminierung des Habs¬
burgischen Kaiserreichs durch die aus staatlichen Mitteln gespeiste Jrredenta
Serbiens das industriegewaltige Deutschland mit seiner mächtig anwachsenden
Bevölkerung unangetastet gelassen hätte? Wer so kalkuliere, kennt die Pläne
der moskowitischen Panslawisten und der französischen Imperialisten nicht. Man
lese die Geschichtswerke der modernen französischen Historiker, und man erfährt
dort, wie im Herzen eines jeden französischen Imperialisten tief die Sehnsucht
verankert ist, das imposante Bauwerk des ersten Napoleonischen Kaiserreichs
wieder in alter Herrlichkeit aufzurichten. Lothringen und Elsaß französischer
Besitz, das linke Rheinufer französisch, die südwestlichen Staaten zu einem
modernen Rheinbund vereinigt, der nichts weiter sein darf als ein französisches
Protektorat, das sind die Ideen der Männer, die die Republik dem Zarenreich
Untertan gemacht haben. Was den französischen Imperialismus nur leise und
abgetönt ausspricht, das dröhnt der moskowitische Panslawismus durch alle
Gassen. Daß alle preußischen Gebiete, die slawische Bevölkerung aufweisen, von
Rechts wegen dem großen Slawenreich der Zukunft gehören, das sich vom
Stillen Ozean bis weit über die Mündung der Weichsel erstrecken soll, das hält
man in Petersburg für eine schlichte Selbstverständlichkeit. Was zwischen dem
geplanten französischen Protektorat über das westliche Deutschland, wie es der
Pariser Imperialismus verlangt, und dem sich über die Weichselmündung
erstreckenden Slawenreich im Osten vom heutigen Deutschland noch übrig bleiben
würde, wären neben den Überresten Preußens noch einige Kleinstaaten, die nur
noch als russische Vasallenstaaten weiterleben könnten.

Ein furchtbares Schicksal droht der Nation. Von Ost, West und Nord
stürmen die Feinde heran sie niederzuwerfen. Das Volk, das im Reich des
Geistes die herrlichsten Bauwerke errichtet, ... soll jetzt die Beute von Völkern
werden, deren Anlagen und Begabungen nirgendwo begeistertere Anerkennung
fanden als gerade auf deutscher Seite. Was die Feinde Deutschlands planen,
ist eine Versündigung an der Kultur und der Menschheit überhaupt, die nimmer-


Den (ZZuertroibern

Man höre und sehe um sich, was der Krieg schon jetzt bewirkt hat. Man
lese, was der Sozialdemokrat Ludwig Quessel schreibt: „In diesen schweren
Tagen." heißt es in Heft 16 der sozialistischen Monatshefte (S. 1014),
„da fast ganz Europa in Flammen steht, erhebt sich die Frage, ob
Deutschland nicht vielleicht besser getan hätte, das Habsburgische Kaiserreich
seinem Schicksaal zu überlassen. Diese Frage aufwerfen, heißt sie verneinen.
Europa gleicht einem gewaltigen Gebäude, dessen einzelne Stockwerke und
Abteilungen von den einzelnen Nationen bewohnt werden. Es wäre unsinnig
zu glauben, man könne aus diesem vielgestaltigen Bau eine Mauer heraus¬
reißen, ohne die Sicherheit des ganzen Gebäudes zu gefährden. Ohne Freunde
im Westen und Osten, gegen das eng Mit einander verbundene Rußland und
Frankreich ganz aus den einen Bundesgenossen angewiesen, konnte Deutschland
diesen nicht ruhig der gewaltsamen Vernichtung entgegentreiben sehen. Oder
glaubt man, daß Frankreich und Rußland nach der Unterminierung des Habs¬
burgischen Kaiserreichs durch die aus staatlichen Mitteln gespeiste Jrredenta
Serbiens das industriegewaltige Deutschland mit seiner mächtig anwachsenden
Bevölkerung unangetastet gelassen hätte? Wer so kalkuliere, kennt die Pläne
der moskowitischen Panslawisten und der französischen Imperialisten nicht. Man
lese die Geschichtswerke der modernen französischen Historiker, und man erfährt
dort, wie im Herzen eines jeden französischen Imperialisten tief die Sehnsucht
verankert ist, das imposante Bauwerk des ersten Napoleonischen Kaiserreichs
wieder in alter Herrlichkeit aufzurichten. Lothringen und Elsaß französischer
Besitz, das linke Rheinufer französisch, die südwestlichen Staaten zu einem
modernen Rheinbund vereinigt, der nichts weiter sein darf als ein französisches
Protektorat, das sind die Ideen der Männer, die die Republik dem Zarenreich
Untertan gemacht haben. Was den französischen Imperialismus nur leise und
abgetönt ausspricht, das dröhnt der moskowitische Panslawismus durch alle
Gassen. Daß alle preußischen Gebiete, die slawische Bevölkerung aufweisen, von
Rechts wegen dem großen Slawenreich der Zukunft gehören, das sich vom
Stillen Ozean bis weit über die Mündung der Weichsel erstrecken soll, das hält
man in Petersburg für eine schlichte Selbstverständlichkeit. Was zwischen dem
geplanten französischen Protektorat über das westliche Deutschland, wie es der
Pariser Imperialismus verlangt, und dem sich über die Weichselmündung
erstreckenden Slawenreich im Osten vom heutigen Deutschland noch übrig bleiben
würde, wären neben den Überresten Preußens noch einige Kleinstaaten, die nur
noch als russische Vasallenstaaten weiterleben könnten.

Ein furchtbares Schicksal droht der Nation. Von Ost, West und Nord
stürmen die Feinde heran sie niederzuwerfen. Das Volk, das im Reich des
Geistes die herrlichsten Bauwerke errichtet, ... soll jetzt die Beute von Völkern
werden, deren Anlagen und Begabungen nirgendwo begeistertere Anerkennung
fanden als gerade auf deutscher Seite. Was die Feinde Deutschlands planen,
ist eine Versündigung an der Kultur und der Menschheit überhaupt, die nimmer-


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[0280] Den (ZZuertroibern Man höre und sehe um sich, was der Krieg schon jetzt bewirkt hat. Man lese, was der Sozialdemokrat Ludwig Quessel schreibt: „In diesen schweren Tagen." heißt es in Heft 16 der sozialistischen Monatshefte (S. 1014), „da fast ganz Europa in Flammen steht, erhebt sich die Frage, ob Deutschland nicht vielleicht besser getan hätte, das Habsburgische Kaiserreich seinem Schicksaal zu überlassen. Diese Frage aufwerfen, heißt sie verneinen. Europa gleicht einem gewaltigen Gebäude, dessen einzelne Stockwerke und Abteilungen von den einzelnen Nationen bewohnt werden. Es wäre unsinnig zu glauben, man könne aus diesem vielgestaltigen Bau eine Mauer heraus¬ reißen, ohne die Sicherheit des ganzen Gebäudes zu gefährden. Ohne Freunde im Westen und Osten, gegen das eng Mit einander verbundene Rußland und Frankreich ganz aus den einen Bundesgenossen angewiesen, konnte Deutschland diesen nicht ruhig der gewaltsamen Vernichtung entgegentreiben sehen. Oder glaubt man, daß Frankreich und Rußland nach der Unterminierung des Habs¬ burgischen Kaiserreichs durch die aus staatlichen Mitteln gespeiste Jrredenta Serbiens das industriegewaltige Deutschland mit seiner mächtig anwachsenden Bevölkerung unangetastet gelassen hätte? Wer so kalkuliere, kennt die Pläne der moskowitischen Panslawisten und der französischen Imperialisten nicht. Man lese die Geschichtswerke der modernen französischen Historiker, und man erfährt dort, wie im Herzen eines jeden französischen Imperialisten tief die Sehnsucht verankert ist, das imposante Bauwerk des ersten Napoleonischen Kaiserreichs wieder in alter Herrlichkeit aufzurichten. Lothringen und Elsaß französischer Besitz, das linke Rheinufer französisch, die südwestlichen Staaten zu einem modernen Rheinbund vereinigt, der nichts weiter sein darf als ein französisches Protektorat, das sind die Ideen der Männer, die die Republik dem Zarenreich Untertan gemacht haben. Was den französischen Imperialismus nur leise und abgetönt ausspricht, das dröhnt der moskowitische Panslawismus durch alle Gassen. Daß alle preußischen Gebiete, die slawische Bevölkerung aufweisen, von Rechts wegen dem großen Slawenreich der Zukunft gehören, das sich vom Stillen Ozean bis weit über die Mündung der Weichsel erstrecken soll, das hält man in Petersburg für eine schlichte Selbstverständlichkeit. Was zwischen dem geplanten französischen Protektorat über das westliche Deutschland, wie es der Pariser Imperialismus verlangt, und dem sich über die Weichselmündung erstreckenden Slawenreich im Osten vom heutigen Deutschland noch übrig bleiben würde, wären neben den Überresten Preußens noch einige Kleinstaaten, die nur noch als russische Vasallenstaaten weiterleben könnten. Ein furchtbares Schicksal droht der Nation. Von Ost, West und Nord stürmen die Feinde heran sie niederzuwerfen. Das Volk, das im Reich des Geistes die herrlichsten Bauwerke errichtet, ... soll jetzt die Beute von Völkern werden, deren Anlagen und Begabungen nirgendwo begeistertere Anerkennung fanden als gerade auf deutscher Seite. Was die Feinde Deutschlands planen, ist eine Versündigung an der Kultur und der Menschheit überhaupt, die nimmer-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/280>, abgerufen am 27.07.2024.