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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Der Weltkrieg

Den zur See gefährlichsten Nebenbuhler, Deutschland, wird England selbst
bekämpfen. Fällt ihm der Sieg zu, ist der größte Rivale in Handel und
Industrie beseitigt, der Kanal ein ebenso unbestrittener Besitz Englands wie die
Nordsee und die Ostsee. Dann ist der Plan geglückt: die Unterwerfung der
Welt unter Englands Machtgebot, die Weltinteressen sind mehr als je in seine
Hand gegeben und werden nur noch entschieden zum Vorteile Englands. Und
das wird erreicht fast ohne eigene Opfer, aber mit dem Leben von Hundert¬
tausenden der Angehörigen der Festlandstaaten und dem unsäglichen Elend, das
ein solch mörderischer Krieg im Gefolge hat.

Man wird sich fragen, welche Motive für die Russen und Franzosen
maßgebend und mächtig genug sein konnten, um auf Englands doch nicht all-
zuschwer zu durchschauenden Pläne einzugehen. Infolge der Niederlagen im ost¬
asiatischen Kriege hat sich Rußland wieder den Problemen des Balkans zu¬
gewandt unter Erstarken der allslawischen Strömung, die seit je die eigentlich
bodenständige war. Damit war auch das Wiedererwachen des alten Gegen¬
satzes zu Österreich gegeben. Daß dieser zu einem Wassergang führen mußte,
wollte Nußland seine Stellung als slawische Vormacht behaupten, ist ohne
weiteres klar. Englisches Gold tat in den kleinen Balkanstaaten ein übriges,
um eine gütliche Einigung der beiden Großmächte unmöglich zu machen.
Englands an den japanischen Krieg geknüpfte Erwartungen erfüllten sich voll¬
ständig, als das Attentat von Serajewo den Bruch unvermeidlich machte. Der
Kampf um die Vorherrschaft auf dem Balkan mußte einmal ausgetragen
werden, nachdem Rußland wie Österreich den richtigen Zeitpunkt zu einer
gemeinsamen Aufteilung verpaßt haben. Eine so gewaltsame Lösung der
Balkanfragen berührt auch Deutschlands Lebensinteressen. Die Schwächung
einer Großmacht wie Österreich, die eventuelle Machtvermehrung Rußlands
konnte uns keineswegs gleichgültig lassen. Nun vertritt Österreich trotz seines
Völkergemisches das Deutschtum und seine Interessen im nahen Orient. Dieses
trägt es und gibt ihm seine Stellung in der Welt. Wie seit den Tagen Karls
des Großen hält Österreich Deutschlands Wacht nach Osten hin: es unterstützen
ist ein Teil der eigenen Verteidigung.

Das Verhältnis Deutschlands zu Rußland hat sich in den letzten Jahr¬
zehnten von Grund aus geändert. Schon Bismarck hatte das ganze Gewicht
seiner gewaltigen Persönlichkeit nötig, um die "turmhohe" Freundschaft wenigstens
äußerlich aufrecht zu erhalten. Je mehr Deutschland erstarkte, je mehr es im
Gegensatz zu den Zeiten der "traditionellen" Freundschaft seine eigenen Wege
ging, desto mehr gewann der Allslawismus an Boden, zumal der nahe Osten
von größter Bedeutung für uns wurde. Die Gefahr eines feindlichen Zu¬
sammenstoßes war damit unzweifelhaft vergrößert. Ob dieser wirklich unver¬
meidlich war, wird erst eine spätere Geschichtsschreibung entscheiden können.
Denn sie erst wird in der Lage sein, die englischen Machenschaften, die zweifellos
an der Verschärfung der Gegensätze die meiste Schuld tragen, ganz zu über-


Der Weltkrieg

Den zur See gefährlichsten Nebenbuhler, Deutschland, wird England selbst
bekämpfen. Fällt ihm der Sieg zu, ist der größte Rivale in Handel und
Industrie beseitigt, der Kanal ein ebenso unbestrittener Besitz Englands wie die
Nordsee und die Ostsee. Dann ist der Plan geglückt: die Unterwerfung der
Welt unter Englands Machtgebot, die Weltinteressen sind mehr als je in seine
Hand gegeben und werden nur noch entschieden zum Vorteile Englands. Und
das wird erreicht fast ohne eigene Opfer, aber mit dem Leben von Hundert¬
tausenden der Angehörigen der Festlandstaaten und dem unsäglichen Elend, das
ein solch mörderischer Krieg im Gefolge hat.

Man wird sich fragen, welche Motive für die Russen und Franzosen
maßgebend und mächtig genug sein konnten, um auf Englands doch nicht all-
zuschwer zu durchschauenden Pläne einzugehen. Infolge der Niederlagen im ost¬
asiatischen Kriege hat sich Rußland wieder den Problemen des Balkans zu¬
gewandt unter Erstarken der allslawischen Strömung, die seit je die eigentlich
bodenständige war. Damit war auch das Wiedererwachen des alten Gegen¬
satzes zu Österreich gegeben. Daß dieser zu einem Wassergang führen mußte,
wollte Nußland seine Stellung als slawische Vormacht behaupten, ist ohne
weiteres klar. Englisches Gold tat in den kleinen Balkanstaaten ein übriges,
um eine gütliche Einigung der beiden Großmächte unmöglich zu machen.
Englands an den japanischen Krieg geknüpfte Erwartungen erfüllten sich voll¬
ständig, als das Attentat von Serajewo den Bruch unvermeidlich machte. Der
Kampf um die Vorherrschaft auf dem Balkan mußte einmal ausgetragen
werden, nachdem Rußland wie Österreich den richtigen Zeitpunkt zu einer
gemeinsamen Aufteilung verpaßt haben. Eine so gewaltsame Lösung der
Balkanfragen berührt auch Deutschlands Lebensinteressen. Die Schwächung
einer Großmacht wie Österreich, die eventuelle Machtvermehrung Rußlands
konnte uns keineswegs gleichgültig lassen. Nun vertritt Österreich trotz seines
Völkergemisches das Deutschtum und seine Interessen im nahen Orient. Dieses
trägt es und gibt ihm seine Stellung in der Welt. Wie seit den Tagen Karls
des Großen hält Österreich Deutschlands Wacht nach Osten hin: es unterstützen
ist ein Teil der eigenen Verteidigung.

Das Verhältnis Deutschlands zu Rußland hat sich in den letzten Jahr¬
zehnten von Grund aus geändert. Schon Bismarck hatte das ganze Gewicht
seiner gewaltigen Persönlichkeit nötig, um die „turmhohe" Freundschaft wenigstens
äußerlich aufrecht zu erhalten. Je mehr Deutschland erstarkte, je mehr es im
Gegensatz zu den Zeiten der „traditionellen" Freundschaft seine eigenen Wege
ging, desto mehr gewann der Allslawismus an Boden, zumal der nahe Osten
von größter Bedeutung für uns wurde. Die Gefahr eines feindlichen Zu¬
sammenstoßes war damit unzweifelhaft vergrößert. Ob dieser wirklich unver¬
meidlich war, wird erst eine spätere Geschichtsschreibung entscheiden können.
Denn sie erst wird in der Lage sein, die englischen Machenschaften, die zweifellos
an der Verschärfung der Gegensätze die meiste Schuld tragen, ganz zu über-


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[0273] Der Weltkrieg Den zur See gefährlichsten Nebenbuhler, Deutschland, wird England selbst bekämpfen. Fällt ihm der Sieg zu, ist der größte Rivale in Handel und Industrie beseitigt, der Kanal ein ebenso unbestrittener Besitz Englands wie die Nordsee und die Ostsee. Dann ist der Plan geglückt: die Unterwerfung der Welt unter Englands Machtgebot, die Weltinteressen sind mehr als je in seine Hand gegeben und werden nur noch entschieden zum Vorteile Englands. Und das wird erreicht fast ohne eigene Opfer, aber mit dem Leben von Hundert¬ tausenden der Angehörigen der Festlandstaaten und dem unsäglichen Elend, das ein solch mörderischer Krieg im Gefolge hat. Man wird sich fragen, welche Motive für die Russen und Franzosen maßgebend und mächtig genug sein konnten, um auf Englands doch nicht all- zuschwer zu durchschauenden Pläne einzugehen. Infolge der Niederlagen im ost¬ asiatischen Kriege hat sich Rußland wieder den Problemen des Balkans zu¬ gewandt unter Erstarken der allslawischen Strömung, die seit je die eigentlich bodenständige war. Damit war auch das Wiedererwachen des alten Gegen¬ satzes zu Österreich gegeben. Daß dieser zu einem Wassergang führen mußte, wollte Nußland seine Stellung als slawische Vormacht behaupten, ist ohne weiteres klar. Englisches Gold tat in den kleinen Balkanstaaten ein übriges, um eine gütliche Einigung der beiden Großmächte unmöglich zu machen. Englands an den japanischen Krieg geknüpfte Erwartungen erfüllten sich voll¬ ständig, als das Attentat von Serajewo den Bruch unvermeidlich machte. Der Kampf um die Vorherrschaft auf dem Balkan mußte einmal ausgetragen werden, nachdem Rußland wie Österreich den richtigen Zeitpunkt zu einer gemeinsamen Aufteilung verpaßt haben. Eine so gewaltsame Lösung der Balkanfragen berührt auch Deutschlands Lebensinteressen. Die Schwächung einer Großmacht wie Österreich, die eventuelle Machtvermehrung Rußlands konnte uns keineswegs gleichgültig lassen. Nun vertritt Österreich trotz seines Völkergemisches das Deutschtum und seine Interessen im nahen Orient. Dieses trägt es und gibt ihm seine Stellung in der Welt. Wie seit den Tagen Karls des Großen hält Österreich Deutschlands Wacht nach Osten hin: es unterstützen ist ein Teil der eigenen Verteidigung. Das Verhältnis Deutschlands zu Rußland hat sich in den letzten Jahr¬ zehnten von Grund aus geändert. Schon Bismarck hatte das ganze Gewicht seiner gewaltigen Persönlichkeit nötig, um die „turmhohe" Freundschaft wenigstens äußerlich aufrecht zu erhalten. Je mehr Deutschland erstarkte, je mehr es im Gegensatz zu den Zeiten der „traditionellen" Freundschaft seine eigenen Wege ging, desto mehr gewann der Allslawismus an Boden, zumal der nahe Osten von größter Bedeutung für uns wurde. Die Gefahr eines feindlichen Zu¬ sammenstoßes war damit unzweifelhaft vergrößert. Ob dieser wirklich unver¬ meidlich war, wird erst eine spätere Geschichtsschreibung entscheiden können. Denn sie erst wird in der Lage sein, die englischen Machenschaften, die zweifellos an der Verschärfung der Gegensätze die meiste Schuld tragen, ganz zu über-

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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/273>, abgerufen am 27.07.2024.