Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die russische Armee als Gegner

Gleichwohl liegt das Hauptverdienst Rußlands während der Jahre 1812
bis 1815 nicht auf dem Gebiet des operativen und taktischen Könnens. Die
Größe seiner Leistung aber erhellt daraus, daß während der Regierung Alexanders
des Ersten über zwei Millionen Rekruten von der bäuerlichen Bevölkerung
gestellt worden sind, davon in den Jahren 1812 bis 1815 allem 917000 Mann,
unter Anrechnung der Reichswehr aber 1237000 Mann. "An dem Kampfe
gegen Napoleon hat der vierte Teil der erwachsenen Männer Rußlands teil¬
genommen, und da die Dienstpflicht volle fünfundzwanzig Jahre dauerte, gewinnen
diese Zahlen ein ungeheures Gewicht."

Die unablässigen Kriege von 1805 bis 1815 gingen an der russischen
Armee vorüber, ohne daß an Kaiser Pauls Manier etwas Wesentliches geändert
wurde. Die auf die Parade hinarbeitende Ausbildungsweise setzte vielmehr mit
dem ersten Pariser Frieden mit verdoppeltem Eifer ein. Es ist bezeichnend,
daß sich auch Schützenlinien im Tritt bewegten und auf scharfe Richtung bei
ihnen gesehen wurde. Das Schützengefecht ist denn auch nur in der Ebene
geübt worden.

Das Heer hat das Gepräge, das es unter Alexander angenommen hatte,
im wesentlichen 'bis zum Krimkriege beibehalten. Seine ohnehin nicht auf den
Krieg zugeschnittene Ausbildung wurde gegen Ende der Regierung Alexanders
noch durch die eigentümliche Einrichtung der Militärkolonien, das Werk des
Kriegsministers Araktschejew, beeinträchtigt. Ganze Regimenter wurden auf der
Krone gehörigen Dörfern angesiedelt, deren Bewohner teils in entlegene Gouverne¬
ments verpflanzt, teils ebenfalls zu Soldaten gemacht wurden. Die gewaltsam
durchgeführte Maßregel war natürlich den Soldatenbauern wie den Bauern¬
soldaten in gleichem Maße verhaßt, vor allem verkamen jedoch die Offiziere in
der trostlosen Öde dieses halb bäuerlichen, halb soldatischen Daseins, bei einem
Dienstbetriebe von schonungsloser Strenge, der die Verwendung jeder Stunde
des Tages genau vorschrieb. Es ist in diesen Kolonien mehrfach zu Empörungen
gekommen, die blutig niedergeschlagen wurden. Die Soldatenansiedlungen, mit
denen in größerem Maßstabe im Jahre 1817 begonnen wurde, nahmen schließlich
fast ein Drittel der gesamten Armee auf. Es führte das dahin, daß die an¬
gesiedelten Truppen im Jahre 1821 als "Besonderes Korps der Militärkolonien"
eine eigene Verwaltung erhielten. Die von dieserMnrichtung erhofften Ersparnisse
blieben aus; die Kolonien verursachten vielmehr sehr bedeutende Kosten und
wurden infolgedessen 1856 gänzlich fallen gelassen.

Ungeachtet der an maßgebender Stelle herrschenden Tendenzen, hatte die
Armee immerhin unter Alexander dem Ersten Fortschritte gemacht. Die viel¬
fachen Berührungen mit den übrigen Armeen der großen europäischen Mächte,
denen sie während der Kriegsjahre ausgesetzt gewesen war, hatten fördernd
gewirkt. Das Offizierkorps war seiner Herkunft nach noch immer wenig gleich¬
artig, doch begann sich die allgemeine Bildung zu heben. Bereits 1807 rühmt
Prinz Eugen von Württemberg die Vorzüge der ungemein gebildeten russischen


Die russische Armee als Gegner

Gleichwohl liegt das Hauptverdienst Rußlands während der Jahre 1812
bis 1815 nicht auf dem Gebiet des operativen und taktischen Könnens. Die
Größe seiner Leistung aber erhellt daraus, daß während der Regierung Alexanders
des Ersten über zwei Millionen Rekruten von der bäuerlichen Bevölkerung
gestellt worden sind, davon in den Jahren 1812 bis 1815 allem 917000 Mann,
unter Anrechnung der Reichswehr aber 1237000 Mann. „An dem Kampfe
gegen Napoleon hat der vierte Teil der erwachsenen Männer Rußlands teil¬
genommen, und da die Dienstpflicht volle fünfundzwanzig Jahre dauerte, gewinnen
diese Zahlen ein ungeheures Gewicht."

Die unablässigen Kriege von 1805 bis 1815 gingen an der russischen
Armee vorüber, ohne daß an Kaiser Pauls Manier etwas Wesentliches geändert
wurde. Die auf die Parade hinarbeitende Ausbildungsweise setzte vielmehr mit
dem ersten Pariser Frieden mit verdoppeltem Eifer ein. Es ist bezeichnend,
daß sich auch Schützenlinien im Tritt bewegten und auf scharfe Richtung bei
ihnen gesehen wurde. Das Schützengefecht ist denn auch nur in der Ebene
geübt worden.

Das Heer hat das Gepräge, das es unter Alexander angenommen hatte,
im wesentlichen 'bis zum Krimkriege beibehalten. Seine ohnehin nicht auf den
Krieg zugeschnittene Ausbildung wurde gegen Ende der Regierung Alexanders
noch durch die eigentümliche Einrichtung der Militärkolonien, das Werk des
Kriegsministers Araktschejew, beeinträchtigt. Ganze Regimenter wurden auf der
Krone gehörigen Dörfern angesiedelt, deren Bewohner teils in entlegene Gouverne¬
ments verpflanzt, teils ebenfalls zu Soldaten gemacht wurden. Die gewaltsam
durchgeführte Maßregel war natürlich den Soldatenbauern wie den Bauern¬
soldaten in gleichem Maße verhaßt, vor allem verkamen jedoch die Offiziere in
der trostlosen Öde dieses halb bäuerlichen, halb soldatischen Daseins, bei einem
Dienstbetriebe von schonungsloser Strenge, der die Verwendung jeder Stunde
des Tages genau vorschrieb. Es ist in diesen Kolonien mehrfach zu Empörungen
gekommen, die blutig niedergeschlagen wurden. Die Soldatenansiedlungen, mit
denen in größerem Maßstabe im Jahre 1817 begonnen wurde, nahmen schließlich
fast ein Drittel der gesamten Armee auf. Es führte das dahin, daß die an¬
gesiedelten Truppen im Jahre 1821 als „Besonderes Korps der Militärkolonien"
eine eigene Verwaltung erhielten. Die von dieserMnrichtung erhofften Ersparnisse
blieben aus; die Kolonien verursachten vielmehr sehr bedeutende Kosten und
wurden infolgedessen 1856 gänzlich fallen gelassen.

Ungeachtet der an maßgebender Stelle herrschenden Tendenzen, hatte die
Armee immerhin unter Alexander dem Ersten Fortschritte gemacht. Die viel¬
fachen Berührungen mit den übrigen Armeen der großen europäischen Mächte,
denen sie während der Kriegsjahre ausgesetzt gewesen war, hatten fördernd
gewirkt. Das Offizierkorps war seiner Herkunft nach noch immer wenig gleich¬
artig, doch begann sich die allgemeine Bildung zu heben. Bereits 1807 rühmt
Prinz Eugen von Württemberg die Vorzüge der ungemein gebildeten russischen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0263" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328997"/>
            <fw type="header" place="top"> Die russische Armee als Gegner</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_927"> Gleichwohl liegt das Hauptverdienst Rußlands während der Jahre 1812<lb/>
bis 1815 nicht auf dem Gebiet des operativen und taktischen Könnens. Die<lb/>
Größe seiner Leistung aber erhellt daraus, daß während der Regierung Alexanders<lb/>
des Ersten über zwei Millionen Rekruten von der bäuerlichen Bevölkerung<lb/>
gestellt worden sind, davon in den Jahren 1812 bis 1815 allem 917000 Mann,<lb/>
unter Anrechnung der Reichswehr aber 1237000 Mann. &#x201E;An dem Kampfe<lb/>
gegen Napoleon hat der vierte Teil der erwachsenen Männer Rußlands teil¬<lb/>
genommen, und da die Dienstpflicht volle fünfundzwanzig Jahre dauerte, gewinnen<lb/>
diese Zahlen ein ungeheures Gewicht."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_928"> Die unablässigen Kriege von 1805 bis 1815 gingen an der russischen<lb/>
Armee vorüber, ohne daß an Kaiser Pauls Manier etwas Wesentliches geändert<lb/>
wurde. Die auf die Parade hinarbeitende Ausbildungsweise setzte vielmehr mit<lb/>
dem ersten Pariser Frieden mit verdoppeltem Eifer ein. Es ist bezeichnend,<lb/>
daß sich auch Schützenlinien im Tritt bewegten und auf scharfe Richtung bei<lb/>
ihnen gesehen wurde. Das Schützengefecht ist denn auch nur in der Ebene<lb/>
geübt worden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_929"> Das Heer hat das Gepräge, das es unter Alexander angenommen hatte,<lb/>
im wesentlichen 'bis zum Krimkriege beibehalten. Seine ohnehin nicht auf den<lb/>
Krieg zugeschnittene Ausbildung wurde gegen Ende der Regierung Alexanders<lb/>
noch durch die eigentümliche Einrichtung der Militärkolonien, das Werk des<lb/>
Kriegsministers Araktschejew, beeinträchtigt. Ganze Regimenter wurden auf der<lb/>
Krone gehörigen Dörfern angesiedelt, deren Bewohner teils in entlegene Gouverne¬<lb/>
ments verpflanzt, teils ebenfalls zu Soldaten gemacht wurden. Die gewaltsam<lb/>
durchgeführte Maßregel war natürlich den Soldatenbauern wie den Bauern¬<lb/>
soldaten in gleichem Maße verhaßt, vor allem verkamen jedoch die Offiziere in<lb/>
der trostlosen Öde dieses halb bäuerlichen, halb soldatischen Daseins, bei einem<lb/>
Dienstbetriebe von schonungsloser Strenge, der die Verwendung jeder Stunde<lb/>
des Tages genau vorschrieb. Es ist in diesen Kolonien mehrfach zu Empörungen<lb/>
gekommen, die blutig niedergeschlagen wurden. Die Soldatenansiedlungen, mit<lb/>
denen in größerem Maßstabe im Jahre 1817 begonnen wurde, nahmen schließlich<lb/>
fast ein Drittel der gesamten Armee auf. Es führte das dahin, daß die an¬<lb/>
gesiedelten Truppen im Jahre 1821 als &#x201E;Besonderes Korps der Militärkolonien"<lb/>
eine eigene Verwaltung erhielten. Die von dieserMnrichtung erhofften Ersparnisse<lb/>
blieben aus; die Kolonien verursachten vielmehr sehr bedeutende Kosten und<lb/>
wurden infolgedessen 1856 gänzlich fallen gelassen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_930" next="#ID_931"> Ungeachtet der an maßgebender Stelle herrschenden Tendenzen, hatte die<lb/>
Armee immerhin unter Alexander dem Ersten Fortschritte gemacht. Die viel¬<lb/>
fachen Berührungen mit den übrigen Armeen der großen europäischen Mächte,<lb/>
denen sie während der Kriegsjahre ausgesetzt gewesen war, hatten fördernd<lb/>
gewirkt. Das Offizierkorps war seiner Herkunft nach noch immer wenig gleich¬<lb/>
artig, doch begann sich die allgemeine Bildung zu heben. Bereits 1807 rühmt<lb/>
Prinz Eugen von Württemberg die Vorzüge der ungemein gebildeten russischen</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0263] Die russische Armee als Gegner Gleichwohl liegt das Hauptverdienst Rußlands während der Jahre 1812 bis 1815 nicht auf dem Gebiet des operativen und taktischen Könnens. Die Größe seiner Leistung aber erhellt daraus, daß während der Regierung Alexanders des Ersten über zwei Millionen Rekruten von der bäuerlichen Bevölkerung gestellt worden sind, davon in den Jahren 1812 bis 1815 allem 917000 Mann, unter Anrechnung der Reichswehr aber 1237000 Mann. „An dem Kampfe gegen Napoleon hat der vierte Teil der erwachsenen Männer Rußlands teil¬ genommen, und da die Dienstpflicht volle fünfundzwanzig Jahre dauerte, gewinnen diese Zahlen ein ungeheures Gewicht." Die unablässigen Kriege von 1805 bis 1815 gingen an der russischen Armee vorüber, ohne daß an Kaiser Pauls Manier etwas Wesentliches geändert wurde. Die auf die Parade hinarbeitende Ausbildungsweise setzte vielmehr mit dem ersten Pariser Frieden mit verdoppeltem Eifer ein. Es ist bezeichnend, daß sich auch Schützenlinien im Tritt bewegten und auf scharfe Richtung bei ihnen gesehen wurde. Das Schützengefecht ist denn auch nur in der Ebene geübt worden. Das Heer hat das Gepräge, das es unter Alexander angenommen hatte, im wesentlichen 'bis zum Krimkriege beibehalten. Seine ohnehin nicht auf den Krieg zugeschnittene Ausbildung wurde gegen Ende der Regierung Alexanders noch durch die eigentümliche Einrichtung der Militärkolonien, das Werk des Kriegsministers Araktschejew, beeinträchtigt. Ganze Regimenter wurden auf der Krone gehörigen Dörfern angesiedelt, deren Bewohner teils in entlegene Gouverne¬ ments verpflanzt, teils ebenfalls zu Soldaten gemacht wurden. Die gewaltsam durchgeführte Maßregel war natürlich den Soldatenbauern wie den Bauern¬ soldaten in gleichem Maße verhaßt, vor allem verkamen jedoch die Offiziere in der trostlosen Öde dieses halb bäuerlichen, halb soldatischen Daseins, bei einem Dienstbetriebe von schonungsloser Strenge, der die Verwendung jeder Stunde des Tages genau vorschrieb. Es ist in diesen Kolonien mehrfach zu Empörungen gekommen, die blutig niedergeschlagen wurden. Die Soldatenansiedlungen, mit denen in größerem Maßstabe im Jahre 1817 begonnen wurde, nahmen schließlich fast ein Drittel der gesamten Armee auf. Es führte das dahin, daß die an¬ gesiedelten Truppen im Jahre 1821 als „Besonderes Korps der Militärkolonien" eine eigene Verwaltung erhielten. Die von dieserMnrichtung erhofften Ersparnisse blieben aus; die Kolonien verursachten vielmehr sehr bedeutende Kosten und wurden infolgedessen 1856 gänzlich fallen gelassen. Ungeachtet der an maßgebender Stelle herrschenden Tendenzen, hatte die Armee immerhin unter Alexander dem Ersten Fortschritte gemacht. Die viel¬ fachen Berührungen mit den übrigen Armeen der großen europäischen Mächte, denen sie während der Kriegsjahre ausgesetzt gewesen war, hatten fördernd gewirkt. Das Offizierkorps war seiner Herkunft nach noch immer wenig gleich¬ artig, doch begann sich die allgemeine Bildung zu heben. Bereits 1807 rühmt Prinz Eugen von Württemberg die Vorzüge der ungemein gebildeten russischen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/263
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/263>, abgerufen am 06.10.2024.