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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Der Ilrieg -- Die Umwertung aller Werte

Nur eines ist uns klar: was geschieht, ist notwendig, die Macht, die uns
beherrscht und uns als Individualitäten vernichtet, ist berechtigt, wir fühlen
uns eins mit ihr und allen denen, die gleich uns unter ihrem Einfluß stehen.

Das ist wohl die einfachste Formel, auf die man die Umwertung aller
Werte, die sich jetzt mit dem Kriege bei uns vollzieht, bringen könnte:
die Differenziertheit des Denkens, Handelns und vor allem des Fühlens, die
sich aus der Kulturentwicklung der letzteren Zeit ergeben hatte, wird dvrch den
Krieg wie mit einem Schlage aufgehoben und ersetzt durch einen unerhörten
Gleichklang des Denkens, Handelns und Fühlens.

Mag man nun bei absoluter Einschätzung jene Differenziertheit als eine
gewaltige Kulturerrungenschaft anerkennen, mag man in ihr den Grund und
die Vorbedingung erblicken für die gewaltige Herrschaft, die sich die Kultur¬
menschheit über die Natur errungen hat, ein Erlebnis wie das, welches augen¬
blicklich über uns dahinbraust, hat seinen unersetzlichen Wert sür uns. Es
befreit uns individualistisch und egoistisch gesinnte Kulturmenschen von der
Gefahr der Loslösung, der Vereinzelung. Es stellt den inneren Zusammenhang
wieder her, zwischen dem Boden, dem wir entsprungen sind, dem Volksganzen,
und uns, die wir jenen Zusammenhang vielfach fast aus dem Bewußtsein ver¬
loren hatten. Es ist in der Tat eine Umwertung aller Werte ins Allgemeine
hin, wie sie sich Nietzsche ins Individuelle dachte.

Für die Auswüchse des Individualismus aber gibt es kein besseres Heil¬
mittel als diese Zeit. Und für den erwachenden Sinn für allgemeine, für
absolute Werte gibt es keine bessere Lehrzeit. Wir stehen plötzlich vor der
Tatsache, das alles von uns abfällt, alles hinter uns zurückbleibt, was uns
bisher als Ziel und Zweck alles Strebens gegolten hatte, und wir fühlen, wie
uns eine innere Gewalt, die wir in dieser Stärke nicht in uns vermutet haben,
fortzieht einem Ziele nach, das jetzt, in diesen: Augenblicke für uns als einzig
wahr, einzig wert, einzig lebendig erscheint: das Volk, das Vaterland als
Ganzes. Hier haben wir mit einem Schlage einen absoluten Wert gefunden,
den wir innerlich ohne weiteres anerkennen und für den wir alles andere willig
dransetzen. Selbst die Sozialdemokratre stellt ihren Protest gegen den Krieg ein
und fordert ihre Anhänger zur Verteidigung des Vaterlandes auf. Wo ist der
blasse Begriff der "Jnternationalität" geblieben? Das Vaterland, das Volk,
das lebt in unserem Herzen, das Gefühl siegt über alle blassen Gedanken.

Und möge nun der Kampf uns bringen, was er wolle: was wir jetzt erleben,
das schmiedet uns als Volk zusammen, das wird seine Früchte tragen, im Frieden,
in dem glücklichen Frieden, auf den wir alle hoffen in dem Augenblicke, wo uns
ein verblendeter Feind den Krieg aufzwingt und die Waffe in die Hand drückt.




Der Ilrieg — Die Umwertung aller Werte

Nur eines ist uns klar: was geschieht, ist notwendig, die Macht, die uns
beherrscht und uns als Individualitäten vernichtet, ist berechtigt, wir fühlen
uns eins mit ihr und allen denen, die gleich uns unter ihrem Einfluß stehen.

Das ist wohl die einfachste Formel, auf die man die Umwertung aller
Werte, die sich jetzt mit dem Kriege bei uns vollzieht, bringen könnte:
die Differenziertheit des Denkens, Handelns und vor allem des Fühlens, die
sich aus der Kulturentwicklung der letzteren Zeit ergeben hatte, wird dvrch den
Krieg wie mit einem Schlage aufgehoben und ersetzt durch einen unerhörten
Gleichklang des Denkens, Handelns und Fühlens.

Mag man nun bei absoluter Einschätzung jene Differenziertheit als eine
gewaltige Kulturerrungenschaft anerkennen, mag man in ihr den Grund und
die Vorbedingung erblicken für die gewaltige Herrschaft, die sich die Kultur¬
menschheit über die Natur errungen hat, ein Erlebnis wie das, welches augen¬
blicklich über uns dahinbraust, hat seinen unersetzlichen Wert sür uns. Es
befreit uns individualistisch und egoistisch gesinnte Kulturmenschen von der
Gefahr der Loslösung, der Vereinzelung. Es stellt den inneren Zusammenhang
wieder her, zwischen dem Boden, dem wir entsprungen sind, dem Volksganzen,
und uns, die wir jenen Zusammenhang vielfach fast aus dem Bewußtsein ver¬
loren hatten. Es ist in der Tat eine Umwertung aller Werte ins Allgemeine
hin, wie sie sich Nietzsche ins Individuelle dachte.

Für die Auswüchse des Individualismus aber gibt es kein besseres Heil¬
mittel als diese Zeit. Und für den erwachenden Sinn für allgemeine, für
absolute Werte gibt es keine bessere Lehrzeit. Wir stehen plötzlich vor der
Tatsache, das alles von uns abfällt, alles hinter uns zurückbleibt, was uns
bisher als Ziel und Zweck alles Strebens gegolten hatte, und wir fühlen, wie
uns eine innere Gewalt, die wir in dieser Stärke nicht in uns vermutet haben,
fortzieht einem Ziele nach, das jetzt, in diesen: Augenblicke für uns als einzig
wahr, einzig wert, einzig lebendig erscheint: das Volk, das Vaterland als
Ganzes. Hier haben wir mit einem Schlage einen absoluten Wert gefunden,
den wir innerlich ohne weiteres anerkennen und für den wir alles andere willig
dransetzen. Selbst die Sozialdemokratre stellt ihren Protest gegen den Krieg ein
und fordert ihre Anhänger zur Verteidigung des Vaterlandes auf. Wo ist der
blasse Begriff der „Jnternationalität" geblieben? Das Vaterland, das Volk,
das lebt in unserem Herzen, das Gefühl siegt über alle blassen Gedanken.

Und möge nun der Kampf uns bringen, was er wolle: was wir jetzt erleben,
das schmiedet uns als Volk zusammen, das wird seine Früchte tragen, im Frieden,
in dem glücklichen Frieden, auf den wir alle hoffen in dem Augenblicke, wo uns
ein verblendeter Feind den Krieg aufzwingt und die Waffe in die Hand drückt.




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[0258] Der Ilrieg — Die Umwertung aller Werte Nur eines ist uns klar: was geschieht, ist notwendig, die Macht, die uns beherrscht und uns als Individualitäten vernichtet, ist berechtigt, wir fühlen uns eins mit ihr und allen denen, die gleich uns unter ihrem Einfluß stehen. Das ist wohl die einfachste Formel, auf die man die Umwertung aller Werte, die sich jetzt mit dem Kriege bei uns vollzieht, bringen könnte: die Differenziertheit des Denkens, Handelns und vor allem des Fühlens, die sich aus der Kulturentwicklung der letzteren Zeit ergeben hatte, wird dvrch den Krieg wie mit einem Schlage aufgehoben und ersetzt durch einen unerhörten Gleichklang des Denkens, Handelns und Fühlens. Mag man nun bei absoluter Einschätzung jene Differenziertheit als eine gewaltige Kulturerrungenschaft anerkennen, mag man in ihr den Grund und die Vorbedingung erblicken für die gewaltige Herrschaft, die sich die Kultur¬ menschheit über die Natur errungen hat, ein Erlebnis wie das, welches augen¬ blicklich über uns dahinbraust, hat seinen unersetzlichen Wert sür uns. Es befreit uns individualistisch und egoistisch gesinnte Kulturmenschen von der Gefahr der Loslösung, der Vereinzelung. Es stellt den inneren Zusammenhang wieder her, zwischen dem Boden, dem wir entsprungen sind, dem Volksganzen, und uns, die wir jenen Zusammenhang vielfach fast aus dem Bewußtsein ver¬ loren hatten. Es ist in der Tat eine Umwertung aller Werte ins Allgemeine hin, wie sie sich Nietzsche ins Individuelle dachte. Für die Auswüchse des Individualismus aber gibt es kein besseres Heil¬ mittel als diese Zeit. Und für den erwachenden Sinn für allgemeine, für absolute Werte gibt es keine bessere Lehrzeit. Wir stehen plötzlich vor der Tatsache, das alles von uns abfällt, alles hinter uns zurückbleibt, was uns bisher als Ziel und Zweck alles Strebens gegolten hatte, und wir fühlen, wie uns eine innere Gewalt, die wir in dieser Stärke nicht in uns vermutet haben, fortzieht einem Ziele nach, das jetzt, in diesen: Augenblicke für uns als einzig wahr, einzig wert, einzig lebendig erscheint: das Volk, das Vaterland als Ganzes. Hier haben wir mit einem Schlage einen absoluten Wert gefunden, den wir innerlich ohne weiteres anerkennen und für den wir alles andere willig dransetzen. Selbst die Sozialdemokratre stellt ihren Protest gegen den Krieg ein und fordert ihre Anhänger zur Verteidigung des Vaterlandes auf. Wo ist der blasse Begriff der „Jnternationalität" geblieben? Das Vaterland, das Volk, das lebt in unserem Herzen, das Gefühl siegt über alle blassen Gedanken. Und möge nun der Kampf uns bringen, was er wolle: was wir jetzt erleben, das schmiedet uns als Volk zusammen, das wird seine Früchte tragen, im Frieden, in dem glücklichen Frieden, auf den wir alle hoffen in dem Augenblicke, wo uns ein verblendeter Feind den Krieg aufzwingt und die Waffe in die Hand drückt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/258>, abgerufen am 27.07.2024.