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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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Die Ausstellung des Deutschen Weltbundes in Köln

Der Unternehmereifer der siebziger und achtziger Jahre hatte keine Zeit
und keinen Sinn für solche höhere, weiter ausschauende Forderungen gehabt,
die über den wirtschaftlichen Nutzen und die nackte Zweckmäßigkeit hinausgingen.
Und vor allem fehlte dem Bauen und Einrichten jener Jahrzehnte die selbst¬
ständige künstlerische Formkraft, die der umfassenden neuen Aufgaben wirklich
hätte Herr werden können, die aus den neuen Notwendigkeiten klare, logisch
durchgebildete Lösungen zu entwickeln vermocht hätte. Die Techniker wie die
Architekten der Industrie wirtschafteten mit den historischen Stilformen tapfer
und unbefangen weiter und bauten Burgen oder Dome über den Stätten der
Arbeit. Zusammensetzungen erlernter Architekturelemente, die weder mit den
sachlichen Erfordernissen der Gegenwartsaufgabe etwas zu tun hatten noch
zu der Art und dem Geist dieser Arbeit in irgendeine Beziehung zu bringen
waren.

Aus sozialen und ästhetischen Antrieben heraus formte sich indessen in den
letzten Jahrzehnten dem Planen und Wirken klarer Köpfe und tüchnger Hände
eine neue gemeinsame Gegenwartsaufgabe: auch die Zweckgebilde der Arbeit
durch den Geist und die Formen der Kunst zu adeln und auch in den täglichen
Lebensbereichen werktätiger Menschen wärmendes Behagen und schlichte, wohl¬
tuende Schönheit heimisch zu machen. Und der Geist der bloßen Nützlichkeit,
dem man im ganzen Bereich der Industrie blindlings ergeben war, ist heute
doch auf entscheidenden Punkten bereits überwunden. Das Gewissen für die
Wahrhaftigkeit und innere Notwendigkeit der Form in den weiten Gebieten der
Werkkünste ist von neuem erweckt worden, und gestaltende Kräfte haben sich in
regem Wetteifer der zahllosen neuen und eigenen Aufgaben bemächtigt, die aus
dem Leben und der Arbeit der neuen Zeit auf Schritt und Tritt hervorwachsen.
Das natürliche Formgefühl setzte sich mit elementarer Gewalt gegen alle Stil¬
moden durch; besonnene Klarheit des Denkens und beharrlicher Ernst des
Ringens mit den Stoffen und Aufgaben halfen eine Sicherheit des Gestaltens
gewinnen, die im Großen wie im Kleinen aus dem scharfen Erfassen des sach¬
lichen Zweckes die bezwingende Ausdruckskraft einer selbständigen Formgebung
zu entwickeln wußte. Aus einem entschlossenen Willen zur vollen Wahrhaftigkeit
künstlerischen Allsdrucks ist ein neues Kunstgewerbe und eine neue Architektur
entsprungen, aus einer Gesinnung, deren ethischer Wert sehr hoch einzuschätzen
ist und deren Wirkungen darum auch über bloß ästhetische Bereiche weit hinaus¬
greifen.

Aber diese neue künstlerische Arbeit war zunächst eine Sache der Einzel-
persönlichkeit und wirkte sich in bedeutenden Einzelleistungen aus. Wie sollte
sie sich geltend machen, ja sich durchsetzen gegen die Großmächte der Massen¬
herstellung und des Massenvertriebs? Gerade die Industrie und der Handel
mochten zunächst am allerwenigsten geneigt sein, sich die gute Durchbildung der
Form ihrer Erzeugnisse und Waren angelegen sein zu lassen und etwas daran
zu wenden, denn sie erzielten ja schon mit viel geringerem Aufwand an Mühe


Die Ausstellung des Deutschen Weltbundes in Köln

Der Unternehmereifer der siebziger und achtziger Jahre hatte keine Zeit
und keinen Sinn für solche höhere, weiter ausschauende Forderungen gehabt,
die über den wirtschaftlichen Nutzen und die nackte Zweckmäßigkeit hinausgingen.
Und vor allem fehlte dem Bauen und Einrichten jener Jahrzehnte die selbst¬
ständige künstlerische Formkraft, die der umfassenden neuen Aufgaben wirklich
hätte Herr werden können, die aus den neuen Notwendigkeiten klare, logisch
durchgebildete Lösungen zu entwickeln vermocht hätte. Die Techniker wie die
Architekten der Industrie wirtschafteten mit den historischen Stilformen tapfer
und unbefangen weiter und bauten Burgen oder Dome über den Stätten der
Arbeit. Zusammensetzungen erlernter Architekturelemente, die weder mit den
sachlichen Erfordernissen der Gegenwartsaufgabe etwas zu tun hatten noch
zu der Art und dem Geist dieser Arbeit in irgendeine Beziehung zu bringen
waren.

Aus sozialen und ästhetischen Antrieben heraus formte sich indessen in den
letzten Jahrzehnten dem Planen und Wirken klarer Köpfe und tüchnger Hände
eine neue gemeinsame Gegenwartsaufgabe: auch die Zweckgebilde der Arbeit
durch den Geist und die Formen der Kunst zu adeln und auch in den täglichen
Lebensbereichen werktätiger Menschen wärmendes Behagen und schlichte, wohl¬
tuende Schönheit heimisch zu machen. Und der Geist der bloßen Nützlichkeit,
dem man im ganzen Bereich der Industrie blindlings ergeben war, ist heute
doch auf entscheidenden Punkten bereits überwunden. Das Gewissen für die
Wahrhaftigkeit und innere Notwendigkeit der Form in den weiten Gebieten der
Werkkünste ist von neuem erweckt worden, und gestaltende Kräfte haben sich in
regem Wetteifer der zahllosen neuen und eigenen Aufgaben bemächtigt, die aus
dem Leben und der Arbeit der neuen Zeit auf Schritt und Tritt hervorwachsen.
Das natürliche Formgefühl setzte sich mit elementarer Gewalt gegen alle Stil¬
moden durch; besonnene Klarheit des Denkens und beharrlicher Ernst des
Ringens mit den Stoffen und Aufgaben halfen eine Sicherheit des Gestaltens
gewinnen, die im Großen wie im Kleinen aus dem scharfen Erfassen des sach¬
lichen Zweckes die bezwingende Ausdruckskraft einer selbständigen Formgebung
zu entwickeln wußte. Aus einem entschlossenen Willen zur vollen Wahrhaftigkeit
künstlerischen Allsdrucks ist ein neues Kunstgewerbe und eine neue Architektur
entsprungen, aus einer Gesinnung, deren ethischer Wert sehr hoch einzuschätzen
ist und deren Wirkungen darum auch über bloß ästhetische Bereiche weit hinaus¬
greifen.

Aber diese neue künstlerische Arbeit war zunächst eine Sache der Einzel-
persönlichkeit und wirkte sich in bedeutenden Einzelleistungen aus. Wie sollte
sie sich geltend machen, ja sich durchsetzen gegen die Großmächte der Massen¬
herstellung und des Massenvertriebs? Gerade die Industrie und der Handel
mochten zunächst am allerwenigsten geneigt sein, sich die gute Durchbildung der
Form ihrer Erzeugnisse und Waren angelegen sein zu lassen und etwas daran
zu wenden, denn sie erzielten ja schon mit viel geringerem Aufwand an Mühe


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[0222] Die Ausstellung des Deutschen Weltbundes in Köln Der Unternehmereifer der siebziger und achtziger Jahre hatte keine Zeit und keinen Sinn für solche höhere, weiter ausschauende Forderungen gehabt, die über den wirtschaftlichen Nutzen und die nackte Zweckmäßigkeit hinausgingen. Und vor allem fehlte dem Bauen und Einrichten jener Jahrzehnte die selbst¬ ständige künstlerische Formkraft, die der umfassenden neuen Aufgaben wirklich hätte Herr werden können, die aus den neuen Notwendigkeiten klare, logisch durchgebildete Lösungen zu entwickeln vermocht hätte. Die Techniker wie die Architekten der Industrie wirtschafteten mit den historischen Stilformen tapfer und unbefangen weiter und bauten Burgen oder Dome über den Stätten der Arbeit. Zusammensetzungen erlernter Architekturelemente, die weder mit den sachlichen Erfordernissen der Gegenwartsaufgabe etwas zu tun hatten noch zu der Art und dem Geist dieser Arbeit in irgendeine Beziehung zu bringen waren. Aus sozialen und ästhetischen Antrieben heraus formte sich indessen in den letzten Jahrzehnten dem Planen und Wirken klarer Köpfe und tüchnger Hände eine neue gemeinsame Gegenwartsaufgabe: auch die Zweckgebilde der Arbeit durch den Geist und die Formen der Kunst zu adeln und auch in den täglichen Lebensbereichen werktätiger Menschen wärmendes Behagen und schlichte, wohl¬ tuende Schönheit heimisch zu machen. Und der Geist der bloßen Nützlichkeit, dem man im ganzen Bereich der Industrie blindlings ergeben war, ist heute doch auf entscheidenden Punkten bereits überwunden. Das Gewissen für die Wahrhaftigkeit und innere Notwendigkeit der Form in den weiten Gebieten der Werkkünste ist von neuem erweckt worden, und gestaltende Kräfte haben sich in regem Wetteifer der zahllosen neuen und eigenen Aufgaben bemächtigt, die aus dem Leben und der Arbeit der neuen Zeit auf Schritt und Tritt hervorwachsen. Das natürliche Formgefühl setzte sich mit elementarer Gewalt gegen alle Stil¬ moden durch; besonnene Klarheit des Denkens und beharrlicher Ernst des Ringens mit den Stoffen und Aufgaben halfen eine Sicherheit des Gestaltens gewinnen, die im Großen wie im Kleinen aus dem scharfen Erfassen des sach¬ lichen Zweckes die bezwingende Ausdruckskraft einer selbständigen Formgebung zu entwickeln wußte. Aus einem entschlossenen Willen zur vollen Wahrhaftigkeit künstlerischen Allsdrucks ist ein neues Kunstgewerbe und eine neue Architektur entsprungen, aus einer Gesinnung, deren ethischer Wert sehr hoch einzuschätzen ist und deren Wirkungen darum auch über bloß ästhetische Bereiche weit hinaus¬ greifen. Aber diese neue künstlerische Arbeit war zunächst eine Sache der Einzel- persönlichkeit und wirkte sich in bedeutenden Einzelleistungen aus. Wie sollte sie sich geltend machen, ja sich durchsetzen gegen die Großmächte der Massen¬ herstellung und des Massenvertriebs? Gerade die Industrie und der Handel mochten zunächst am allerwenigsten geneigt sein, sich die gute Durchbildung der Form ihrer Erzeugnisse und Waren angelegen sein zu lassen und etwas daran zu wenden, denn sie erzielten ja schon mit viel geringerem Aufwand an Mühe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/222>, abgerufen am 27.07.2024.