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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr.

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vom Baedeker und Rnnstgenuß auf Reisen

Und keiner bedenkt, daß von all den Einzelheiten so wenig bleibt und daß nur
das uns zum Erlebnis wird, wozu ein inneres Bedürfnis treibt. Baedeker aber
behandelt die Menschheit, als bestünde sie aus nichts als Kunsthistorikern, die
sich für wenig mehr als Stilzusammenhänge interessieren. Und dabei kannte
ich Leute, die in Sevilla waren und nicht oben auf der Giralda gestanden
haben, jenem wundervollen Turm, der in den blauen Himmel des Südens
hineinragt und von dem man ein Bild der Sonnenstadt tief unter sich hat.
das menschlich mehr wert sein könnte als alle Holzschnitzereien der Kapellen
im Dom.




Jch habe dieselben Beobachtungen überall gemacht, wo ich mit reisenden
Kirchenbesuchern zusammentraf und mit ihnen sprach über das, was sie sahen.
So denke ich an einen Sonntagmorgen im Dom von Barzelona. Es war
Hochamt gerade, tausende von Kerzen durchglühten die ehrwürdige Nacht der
gothischen Hallen, monoton klang das Nezitativ der Messe aus dem Chor, dann
hub die Orgel an, und in feierlicher Prozession bewegten sich die weißen, blauen
und roten Gewänder der Priesterschaft durch den Raum. Kreuze blitzten golden
auf im Kerzenlicht, gestickte Banner wallten und der Weihrauch dampfte. Ich
saß beiseite und betrachtete die Gesichter der Mönche. Welche Fülle von Leben,
welche Mannigfaltigkeit der Physiognomien: der stumme, blasse Gelehrte ging
da neben dem finstern Eiferer, aus dessen düstern Augen noch etwas vom Ab¬
glanz des Jnquisitionsfeuers flammte; breite, derbe Bauerngesichter bewegten
sich da neben den feinen, blassen, müden Gesichtern, denen man alten Adel
ansah; dann kamen dicke behäbige Herren und solche, die nach den schwarz¬
verschleierten Mädchen lugten, die in den Stühlen knieten. Den Abschluß
bildeten singende Chorknaben, Lausbuben, wie sie Murillo gemalt hat, die man
in weiße Meßhemden gesteckt hatte, und die sich knufften, während sie das
Ave Maria sangen und die Weihrauchfässer schwenkten. Dann verschwand das
Ganze in der Tiefe der Halle, und der ferne Gesang ließ die feierliche Stille
dicht um uns nur tiefer spüren. Mir war, als hätte ich einen Blick hinein¬
getan in versunkene Jahrhunderte, deren Leben hier weiter lebte in diesen
dunklen Räumen, durch deren bunte Glasfenster die Sonne kaum in mattem
Abglanz gelangte.

Hier traf ich einen Herrn, den ich von früher kannte, auch einer von
denen, die die Welt als ein für sie eingerichtetes Raritätenkabinett ansehen.
Kaum hatte er mich begrüßt, so begann er bereits seinem Zorn Luft zu machen
über die infame Dunkelheit, die in den spanischen Kirchen überhaupt, im Dom
von Barcelona aber ganz besonders herrsche. Vergeblich suchte ich ihm klar zu
machen, daß gerade in diesem mystischen Halbdunkel der Zauber dieser Kirchen
läge, daß der fromme Spanier gerade in dieser von wenigen Kerzen oder bunten
Lichtern durchbrochenen Dämmerung die Nähe der Gottheit spüre. Der Herr


vom Baedeker und Rnnstgenuß auf Reisen

Und keiner bedenkt, daß von all den Einzelheiten so wenig bleibt und daß nur
das uns zum Erlebnis wird, wozu ein inneres Bedürfnis treibt. Baedeker aber
behandelt die Menschheit, als bestünde sie aus nichts als Kunsthistorikern, die
sich für wenig mehr als Stilzusammenhänge interessieren. Und dabei kannte
ich Leute, die in Sevilla waren und nicht oben auf der Giralda gestanden
haben, jenem wundervollen Turm, der in den blauen Himmel des Südens
hineinragt und von dem man ein Bild der Sonnenstadt tief unter sich hat.
das menschlich mehr wert sein könnte als alle Holzschnitzereien der Kapellen
im Dom.




Jch habe dieselben Beobachtungen überall gemacht, wo ich mit reisenden
Kirchenbesuchern zusammentraf und mit ihnen sprach über das, was sie sahen.
So denke ich an einen Sonntagmorgen im Dom von Barzelona. Es war
Hochamt gerade, tausende von Kerzen durchglühten die ehrwürdige Nacht der
gothischen Hallen, monoton klang das Nezitativ der Messe aus dem Chor, dann
hub die Orgel an, und in feierlicher Prozession bewegten sich die weißen, blauen
und roten Gewänder der Priesterschaft durch den Raum. Kreuze blitzten golden
auf im Kerzenlicht, gestickte Banner wallten und der Weihrauch dampfte. Ich
saß beiseite und betrachtete die Gesichter der Mönche. Welche Fülle von Leben,
welche Mannigfaltigkeit der Physiognomien: der stumme, blasse Gelehrte ging
da neben dem finstern Eiferer, aus dessen düstern Augen noch etwas vom Ab¬
glanz des Jnquisitionsfeuers flammte; breite, derbe Bauerngesichter bewegten
sich da neben den feinen, blassen, müden Gesichtern, denen man alten Adel
ansah; dann kamen dicke behäbige Herren und solche, die nach den schwarz¬
verschleierten Mädchen lugten, die in den Stühlen knieten. Den Abschluß
bildeten singende Chorknaben, Lausbuben, wie sie Murillo gemalt hat, die man
in weiße Meßhemden gesteckt hatte, und die sich knufften, während sie das
Ave Maria sangen und die Weihrauchfässer schwenkten. Dann verschwand das
Ganze in der Tiefe der Halle, und der ferne Gesang ließ die feierliche Stille
dicht um uns nur tiefer spüren. Mir war, als hätte ich einen Blick hinein¬
getan in versunkene Jahrhunderte, deren Leben hier weiter lebte in diesen
dunklen Räumen, durch deren bunte Glasfenster die Sonne kaum in mattem
Abglanz gelangte.

Hier traf ich einen Herrn, den ich von früher kannte, auch einer von
denen, die die Welt als ein für sie eingerichtetes Raritätenkabinett ansehen.
Kaum hatte er mich begrüßt, so begann er bereits seinem Zorn Luft zu machen
über die infame Dunkelheit, die in den spanischen Kirchen überhaupt, im Dom
von Barcelona aber ganz besonders herrsche. Vergeblich suchte ich ihm klar zu
machen, daß gerade in diesem mystischen Halbdunkel der Zauber dieser Kirchen
läge, daß der fromme Spanier gerade in dieser von wenigen Kerzen oder bunten
Lichtern durchbrochenen Dämmerung die Nähe der Gottheit spüre. Der Herr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328733/198>, abgerufen am 01.09.2024.