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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Wsnmrck und Pvokesch-Gsten

halten. Die Kräfte waren ungleich. Mit ihm ging die ganze neue Zeit und
gingen die Staaten, die von Preußen etwas fürchteten oder wollten, so Holland
für Luxemburg, so Dänemark für Holstein, so die sächsischen Herzogtümer, so
nicht selten Bayern, Württemberg und Baden, die beiden ersteren, um sich der
Präsidialmacht gegenüber geltend zu machen, letzteres aus angewohnter Unter¬
würfigkeit, so auch Oldenburg. Zu mir hielten sich nur Hannover, Sachsen
und die freien Städte.

Alles, was den Bund hätte befestigen und fördern können, wurde von
Preußen bekämpft. Der Bund wurde durch von Preußen geleitete oder bezahlte
Blätter verlästert und die preußische Negierung erhob sogar Klagen gegen die
Langsamkeit der Arbeiten, während gerade ihre Vertreter in den Kommissionen
es waren, denen diese Versäumnisse zu Schuld lagen. Ich war auch die Ziel¬
scheibe preußischer Klagen in Wien geworden und dankte Gott, als mir die
Gelegenheit geboten wurde, nach drei mühsamen Jahren diesen unhaltbaren
Posten zu verlassen.

Herrn von Bismarck fehlte gänzlich die Eigenschaft, die Person von der
Sache trennen zu können. Für ihn, der durch und durch nur Preuße, existierte
kein anderer Standpunkt als der des preußischen Interesses. Was auf den¬
selben keinen Bezug hatte, nahm er allenfalls freundlich und -- in seiner Weise
-- höflich hin. aber er würde, wenn ein Engel vom Himmel herabgestiegen
wäre, ihn ohne preußische Kokarde nicht eingelassen haben, und würde dagegen
dem Satan selbst, zwar mit Verachtung, aber doch die Hand gereicht haben,
wenn dieser dem preußischen Staate ein deutsches Dorf zugeschanzt hätte. Klar
wie Mcicchicivell, war er zu gewandt und zu glatt, um irgendein Mittel zu
verschmähen, und man muß ihm zugestehen, daß ihm Halbheit nach jeder Richtung
fern lag, und daß er jedesmal die ganze und wohlgeordnete Phalanx seiner
Mittel ins Feld zu führen verstand. So betrieb er mit unermüdlichem Eifer
die Lahmlegung und Herabwürdigung des Bundes; mit großer Gewandtheit
und ausgiebiger Benutzung der ihm zur Verfügung stehenden Presse wußte er
die Schuld davon Österreich, das ihm im Wege stand, in die Schuhe zu schieben,
und Preußen als den Hort der zeitgemäßen Ideen hinzustellen. Der Beruf
Preußens überwältigte ihn so, daß er selbst mit mir die Unerläßlichkeit der
Einheit Deutschlands unter Preußen mehrmals besprach. Mir ist überhaupt
kaum ein Mann vorgekommen, so abgeschlossen in seinen Überzeugungen, so
bewußt seines Wollens und Sollens. Bismarck war der Mann für den Umguß
Deutschlands in die neue Form". ("Aus den Briefen" usw., S. 470 bis 472.)

Wieviel abgeklärte Selbstentäußerung, wieviel freiwillige und unfrei¬
willige Anerkennung spricht aus den Anklagen dieses historischen Rückblicks!

Von alledem wird man bei Bismarck nichts erwarten: auch fernerhin
tragen, durch mehr als zwanzig Jahre noch, alle seine Kundgebungen über
Prokesch das gleiche Gepräge unerbittlicher Befangenheit wie in der Kampfes¬
erregung der fünfziger Jahre.


Wsnmrck und Pvokesch-Gsten

halten. Die Kräfte waren ungleich. Mit ihm ging die ganze neue Zeit und
gingen die Staaten, die von Preußen etwas fürchteten oder wollten, so Holland
für Luxemburg, so Dänemark für Holstein, so die sächsischen Herzogtümer, so
nicht selten Bayern, Württemberg und Baden, die beiden ersteren, um sich der
Präsidialmacht gegenüber geltend zu machen, letzteres aus angewohnter Unter¬
würfigkeit, so auch Oldenburg. Zu mir hielten sich nur Hannover, Sachsen
und die freien Städte.

Alles, was den Bund hätte befestigen und fördern können, wurde von
Preußen bekämpft. Der Bund wurde durch von Preußen geleitete oder bezahlte
Blätter verlästert und die preußische Negierung erhob sogar Klagen gegen die
Langsamkeit der Arbeiten, während gerade ihre Vertreter in den Kommissionen
es waren, denen diese Versäumnisse zu Schuld lagen. Ich war auch die Ziel¬
scheibe preußischer Klagen in Wien geworden und dankte Gott, als mir die
Gelegenheit geboten wurde, nach drei mühsamen Jahren diesen unhaltbaren
Posten zu verlassen.

Herrn von Bismarck fehlte gänzlich die Eigenschaft, die Person von der
Sache trennen zu können. Für ihn, der durch und durch nur Preuße, existierte
kein anderer Standpunkt als der des preußischen Interesses. Was auf den¬
selben keinen Bezug hatte, nahm er allenfalls freundlich und — in seiner Weise
— höflich hin. aber er würde, wenn ein Engel vom Himmel herabgestiegen
wäre, ihn ohne preußische Kokarde nicht eingelassen haben, und würde dagegen
dem Satan selbst, zwar mit Verachtung, aber doch die Hand gereicht haben,
wenn dieser dem preußischen Staate ein deutsches Dorf zugeschanzt hätte. Klar
wie Mcicchicivell, war er zu gewandt und zu glatt, um irgendein Mittel zu
verschmähen, und man muß ihm zugestehen, daß ihm Halbheit nach jeder Richtung
fern lag, und daß er jedesmal die ganze und wohlgeordnete Phalanx seiner
Mittel ins Feld zu führen verstand. So betrieb er mit unermüdlichem Eifer
die Lahmlegung und Herabwürdigung des Bundes; mit großer Gewandtheit
und ausgiebiger Benutzung der ihm zur Verfügung stehenden Presse wußte er
die Schuld davon Österreich, das ihm im Wege stand, in die Schuhe zu schieben,
und Preußen als den Hort der zeitgemäßen Ideen hinzustellen. Der Beruf
Preußens überwältigte ihn so, daß er selbst mit mir die Unerläßlichkeit der
Einheit Deutschlands unter Preußen mehrmals besprach. Mir ist überhaupt
kaum ein Mann vorgekommen, so abgeschlossen in seinen Überzeugungen, so
bewußt seines Wollens und Sollens. Bismarck war der Mann für den Umguß
Deutschlands in die neue Form". („Aus den Briefen" usw., S. 470 bis 472.)

Wieviel abgeklärte Selbstentäußerung, wieviel freiwillige und unfrei¬
willige Anerkennung spricht aus den Anklagen dieses historischen Rückblicks!

Von alledem wird man bei Bismarck nichts erwarten: auch fernerhin
tragen, durch mehr als zwanzig Jahre noch, alle seine Kundgebungen über
Prokesch das gleiche Gepräge unerbittlicher Befangenheit wie in der Kampfes¬
erregung der fünfziger Jahre.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/81>, abgerufen am 24.07.2024.