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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Politik des Fürsten Bülow

1909 im Sinne des Fürsten Bülow behandelt habe, daß es einer Wieder¬
holung für die Leser der Grenzboten nicht bedarf. Nur auf eines sei noch
einmal hingewiesen: man findet den Schlüssel zur Marokkopolitik sogleich, wenn
man sich auf die wirkliche Bismarcksche Politik besinnt, die den Machtzuwachs
des Deutschen Reiches niemals auf dem Wege der Abenteuer und Spekulationen
-- etwa im Stil der Mexikoaffäre Napoleons des Dritten -- oder in der Pro¬
tektion von vornherein unerfüllbarer Ansprüche suchte, die vielmehr beim ersten
Eintritt in eine Sache das wirklich Erreichbare feststellte und dementsprechend
ihren Weg wählte. Und weitere Gesichtspunkte dabei sind: die von den Be¬
urteilern soviel außer acht gelassene Würdigung des Zusammenhanges der
Marokkofrage mit den Konstellationen der großen Politik, sowie die Sonde'rung
der wesentlichen Wünsche und Ansprüche der deutschen Politik von den neben¬
sächlichen, nur zu taktischen Zwecken aufgestellten Forderungen. Prüft man so
die Marokkopolitik unbefangen, so wird man sehen, wie die angeblichen "Rück¬
züge" und "Niederlagen" in nichts zerfließen.

Schwieriger ist natürlich die Würdigung der inneren Politik des Fürsten
Bülow, da sie noch zu sehr den Eindrücken des Parteikampfes unterworfen ist.
Aber einiges darf doch dabei besonders hervorgehoben werden. Bismarckisch ist
ihre Grundlage insofern, als sie ihre Richtlinien nicht aus irgendwelchen Partei"
anschauungen und allgemeinen Theorien über Staat und Gesellschaft -- "Welt¬
anschauungen" nennen das ja mit Vorliebe die Parteien -- entnahm, sondern
aus den praktischen Anforderungen, die sich aus der gesamten Lage des Reiches,
vor allen: auch aus der Notwendigkeit seiner Selbstbehauptung unter anderen
Mächten, ergaben. Die Parteien waren ihm wie Bismarck nur Mittel zum
Zweck. Ich erwähnte bereits, daß die Entwicklung der neuen wirtschaftlichen
Kräfte leicht dahin führen konnte, daß manche Werte, die für den Bau des
Reiches unentbehrlich waren, verloren gingen. Bülow knüpfte auch darin an
Bismarck an, daß er diese alten Werte festhielt. Die unerschütterliche Stellung
der Monarchie und der Staatsautorität, die Wahrung der Tradition des Heeres,
die Erhaltung der Lebenskraft der deutschen Landwirtschaft und des deutschen
Bauern -- das waren ihm unantastbare Dinge. Und so stand er auch dem
staatsfeindlichen Treiben der Sozialdemokratie unerbittlich und unversöhnlich
gegenüber; da gab es für ihn keine Brücke. In allen diesen Beziehungen war
er im besten und weitesten Sinne konservativ, ohne daß allerdings das Partei¬
schema und die Parteiinteressen die geringste Gewalt über ihn gewannen. Denn
das wußte und sah er deutlich, und darin wußte er wieder die zeitgemäße Fort¬
setzung Bismarckscher Staatskunst über Bismarck hinaus suchen, daß die ver¬
änderte Entwicklung der sozialen Verhältnisse in der neuen weltpolitischen Ära
es nicht mehr gestattete, die politischen Anschauungen, die eine Grundlage dieser
neuen Interessen bildeten, im Sinne der Kämpfe einer vergangenen Zeit als
"reichsfeindlich" abzustoßen. Daher bot er auch dem radikalen Flügel des Libera¬
lismus die Hand und suchte ihn heranzuziehen, allerdings nur soweit er aus der


Die Politik des Fürsten Bülow

1909 im Sinne des Fürsten Bülow behandelt habe, daß es einer Wieder¬
holung für die Leser der Grenzboten nicht bedarf. Nur auf eines sei noch
einmal hingewiesen: man findet den Schlüssel zur Marokkopolitik sogleich, wenn
man sich auf die wirkliche Bismarcksche Politik besinnt, die den Machtzuwachs
des Deutschen Reiches niemals auf dem Wege der Abenteuer und Spekulationen
— etwa im Stil der Mexikoaffäre Napoleons des Dritten — oder in der Pro¬
tektion von vornherein unerfüllbarer Ansprüche suchte, die vielmehr beim ersten
Eintritt in eine Sache das wirklich Erreichbare feststellte und dementsprechend
ihren Weg wählte. Und weitere Gesichtspunkte dabei sind: die von den Be¬
urteilern soviel außer acht gelassene Würdigung des Zusammenhanges der
Marokkofrage mit den Konstellationen der großen Politik, sowie die Sonde'rung
der wesentlichen Wünsche und Ansprüche der deutschen Politik von den neben¬
sächlichen, nur zu taktischen Zwecken aufgestellten Forderungen. Prüft man so
die Marokkopolitik unbefangen, so wird man sehen, wie die angeblichen „Rück¬
züge" und „Niederlagen" in nichts zerfließen.

Schwieriger ist natürlich die Würdigung der inneren Politik des Fürsten
Bülow, da sie noch zu sehr den Eindrücken des Parteikampfes unterworfen ist.
Aber einiges darf doch dabei besonders hervorgehoben werden. Bismarckisch ist
ihre Grundlage insofern, als sie ihre Richtlinien nicht aus irgendwelchen Partei«
anschauungen und allgemeinen Theorien über Staat und Gesellschaft — „Welt¬
anschauungen" nennen das ja mit Vorliebe die Parteien — entnahm, sondern
aus den praktischen Anforderungen, die sich aus der gesamten Lage des Reiches,
vor allen: auch aus der Notwendigkeit seiner Selbstbehauptung unter anderen
Mächten, ergaben. Die Parteien waren ihm wie Bismarck nur Mittel zum
Zweck. Ich erwähnte bereits, daß die Entwicklung der neuen wirtschaftlichen
Kräfte leicht dahin führen konnte, daß manche Werte, die für den Bau des
Reiches unentbehrlich waren, verloren gingen. Bülow knüpfte auch darin an
Bismarck an, daß er diese alten Werte festhielt. Die unerschütterliche Stellung
der Monarchie und der Staatsautorität, die Wahrung der Tradition des Heeres,
die Erhaltung der Lebenskraft der deutschen Landwirtschaft und des deutschen
Bauern — das waren ihm unantastbare Dinge. Und so stand er auch dem
staatsfeindlichen Treiben der Sozialdemokratie unerbittlich und unversöhnlich
gegenüber; da gab es für ihn keine Brücke. In allen diesen Beziehungen war
er im besten und weitesten Sinne konservativ, ohne daß allerdings das Partei¬
schema und die Parteiinteressen die geringste Gewalt über ihn gewannen. Denn
das wußte und sah er deutlich, und darin wußte er wieder die zeitgemäße Fort¬
setzung Bismarckscher Staatskunst über Bismarck hinaus suchen, daß die ver¬
änderte Entwicklung der sozialen Verhältnisse in der neuen weltpolitischen Ära
es nicht mehr gestattete, die politischen Anschauungen, die eine Grundlage dieser
neuen Interessen bildeten, im Sinne der Kämpfe einer vergangenen Zeit als
„reichsfeindlich" abzustoßen. Daher bot er auch dem radikalen Flügel des Libera¬
lismus die Hand und suchte ihn heranzuziehen, allerdings nur soweit er aus der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/68>, abgerufen am 25.07.2024.