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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Politik des Fürsten Bülow

Weltpolitik", wie diese wirtschaftliche Entwicklung kurz bezeichnet worden ist,
bedürfte also angesichts des Mißtrauens der fremden Mächte nicht nur einer
besonderen diplomatischen Geschicklichkeit, sondern auch der Sicherung durch den
Bau einer ausreichenden Flotte. Das war eine Aufgabe, die die Gefahr eines
Konflikts mit England in sich schloß, -- mit England, das nach den stets fest¬
gehaltenen Traditionen seiner auswärtigen Politik gewohnt war, eine Kontinental¬
macht, die ein gewisses militärisches und wirtschaftliches Übergewicht erlangt
hatte, als natürlichen Feind zu betrachten und sie durch geschickte Koalitionen
mit anderen Mächten in Schach zu halten. Rechnet man dazu die Vorurteile,
die der unerwartete rasche Aufschwung von Handel und Industrie Deutsch¬
lands bei der öffentlichen Meinung Englands wachgerufen hatte, und
die besondere Sorge, die der Bau einer fremden Kriegsflotte dem auf seine
Seeherrschaft eifersüchtig bedachten England stets verursacht, so ist klar,
welche Gefahren und Schwierigkeiten gerade die Aufgabe, vor die sich Fürst
Bülow gestellt sah, mit sich brachte. Es kamen weitere erschwerende Momente
hinzu: die seit 1870 immer stärker fühlbar werdende Eifersucht und Unfreund¬
lichkeit Englands hatte allmählich auch die öffentliche Meinung Deutschlands in
Erregung versetzt; in diese Stimmungen hatte England durch die Krügerdepesche
und ihre Nachwirkungen einen Einblick erhalten, der jenseits des Kanals die
Feindseligkeit gegen Deutschland hier und da zur offenen Flamme entsandte.
Die Stimmung des deutschen Volkes während des Burenkrieges hinterließ einen
tiefen Eindruck in England und erschwerte der offiziellen deutschen Politik ihr
Werk. Die fortdauernde unversöhnliche Feindschaft Frankreichs sicherte überdies
jedem Gegner Deutschlands, um welche Sache es sich auch handeln mochte, von
vornherein die Unterstützung der französischen Republik. Trotz aller dieser Er¬
schwerungen hat Fürst Bülow die grundlegende Aufgabe der nachbismarckischen
Zeit, die Begründung einer den weltpolitischen Aufgaben Deutschlands ent¬
sprechenden Kriegsmacht zur See, ohne dabei in äußere Konflikte zu geraten
und die spätere Wiederanbahnung eines freundlicheren Verhältnisses zu Eng¬
land zu gefährden, erfolgreich gelöst. Das allein legitimiert den Fürsten
Bülow schon als verständnisvollen und ebenbürtigen Fortsetzer des Bismarckschen
Werkes in zeitgemäßen Sinne, und demgegenüber kann es wenig ins Gewicht
fallen, ob er in allen Einzelheiten der europäischen Politik immer den Er¬
wartungen gerecht geworden ist, die von erhitzten politischen Dilettanten und
Freunden einer aufgeregten Wauwau- und Kaltwasserstrahlen-Politik an ihn
gelegentlich gestellt wurden.

Ich muß es mir, um den Rahmen eines einzelnen Aufsatzes nicht zu über¬
schreiten, versagen, auf Einzelheiten einzugehen, die der Leser in der klaren und
glänzenden Begründung der Bülowschen Abhandlung besser kennen lernt. Man
darf da also auf die Quelle verweisen. Ich gehe auch nicht auf eine viel an¬
gefochtene Episode der Bülowschen Politik ein, die Marokkofrage, weil ich sie
in diesen Blättern schon so oft und gerade auch während der Jahre 1906 bis


Die Politik des Fürsten Bülow

Weltpolitik", wie diese wirtschaftliche Entwicklung kurz bezeichnet worden ist,
bedürfte also angesichts des Mißtrauens der fremden Mächte nicht nur einer
besonderen diplomatischen Geschicklichkeit, sondern auch der Sicherung durch den
Bau einer ausreichenden Flotte. Das war eine Aufgabe, die die Gefahr eines
Konflikts mit England in sich schloß, — mit England, das nach den stets fest¬
gehaltenen Traditionen seiner auswärtigen Politik gewohnt war, eine Kontinental¬
macht, die ein gewisses militärisches und wirtschaftliches Übergewicht erlangt
hatte, als natürlichen Feind zu betrachten und sie durch geschickte Koalitionen
mit anderen Mächten in Schach zu halten. Rechnet man dazu die Vorurteile,
die der unerwartete rasche Aufschwung von Handel und Industrie Deutsch¬
lands bei der öffentlichen Meinung Englands wachgerufen hatte, und
die besondere Sorge, die der Bau einer fremden Kriegsflotte dem auf seine
Seeherrschaft eifersüchtig bedachten England stets verursacht, so ist klar,
welche Gefahren und Schwierigkeiten gerade die Aufgabe, vor die sich Fürst
Bülow gestellt sah, mit sich brachte. Es kamen weitere erschwerende Momente
hinzu: die seit 1870 immer stärker fühlbar werdende Eifersucht und Unfreund¬
lichkeit Englands hatte allmählich auch die öffentliche Meinung Deutschlands in
Erregung versetzt; in diese Stimmungen hatte England durch die Krügerdepesche
und ihre Nachwirkungen einen Einblick erhalten, der jenseits des Kanals die
Feindseligkeit gegen Deutschland hier und da zur offenen Flamme entsandte.
Die Stimmung des deutschen Volkes während des Burenkrieges hinterließ einen
tiefen Eindruck in England und erschwerte der offiziellen deutschen Politik ihr
Werk. Die fortdauernde unversöhnliche Feindschaft Frankreichs sicherte überdies
jedem Gegner Deutschlands, um welche Sache es sich auch handeln mochte, von
vornherein die Unterstützung der französischen Republik. Trotz aller dieser Er¬
schwerungen hat Fürst Bülow die grundlegende Aufgabe der nachbismarckischen
Zeit, die Begründung einer den weltpolitischen Aufgaben Deutschlands ent¬
sprechenden Kriegsmacht zur See, ohne dabei in äußere Konflikte zu geraten
und die spätere Wiederanbahnung eines freundlicheren Verhältnisses zu Eng¬
land zu gefährden, erfolgreich gelöst. Das allein legitimiert den Fürsten
Bülow schon als verständnisvollen und ebenbürtigen Fortsetzer des Bismarckschen
Werkes in zeitgemäßen Sinne, und demgegenüber kann es wenig ins Gewicht
fallen, ob er in allen Einzelheiten der europäischen Politik immer den Er¬
wartungen gerecht geworden ist, die von erhitzten politischen Dilettanten und
Freunden einer aufgeregten Wauwau- und Kaltwasserstrahlen-Politik an ihn
gelegentlich gestellt wurden.

Ich muß es mir, um den Rahmen eines einzelnen Aufsatzes nicht zu über¬
schreiten, versagen, auf Einzelheiten einzugehen, die der Leser in der klaren und
glänzenden Begründung der Bülowschen Abhandlung besser kennen lernt. Man
darf da also auf die Quelle verweisen. Ich gehe auch nicht auf eine viel an¬
gefochtene Episode der Bülowschen Politik ein, die Marokkofrage, weil ich sie
in diesen Blättern schon so oft und gerade auch während der Jahre 1906 bis


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[0067] Die Politik des Fürsten Bülow Weltpolitik", wie diese wirtschaftliche Entwicklung kurz bezeichnet worden ist, bedürfte also angesichts des Mißtrauens der fremden Mächte nicht nur einer besonderen diplomatischen Geschicklichkeit, sondern auch der Sicherung durch den Bau einer ausreichenden Flotte. Das war eine Aufgabe, die die Gefahr eines Konflikts mit England in sich schloß, — mit England, das nach den stets fest¬ gehaltenen Traditionen seiner auswärtigen Politik gewohnt war, eine Kontinental¬ macht, die ein gewisses militärisches und wirtschaftliches Übergewicht erlangt hatte, als natürlichen Feind zu betrachten und sie durch geschickte Koalitionen mit anderen Mächten in Schach zu halten. Rechnet man dazu die Vorurteile, die der unerwartete rasche Aufschwung von Handel und Industrie Deutsch¬ lands bei der öffentlichen Meinung Englands wachgerufen hatte, und die besondere Sorge, die der Bau einer fremden Kriegsflotte dem auf seine Seeherrschaft eifersüchtig bedachten England stets verursacht, so ist klar, welche Gefahren und Schwierigkeiten gerade die Aufgabe, vor die sich Fürst Bülow gestellt sah, mit sich brachte. Es kamen weitere erschwerende Momente hinzu: die seit 1870 immer stärker fühlbar werdende Eifersucht und Unfreund¬ lichkeit Englands hatte allmählich auch die öffentliche Meinung Deutschlands in Erregung versetzt; in diese Stimmungen hatte England durch die Krügerdepesche und ihre Nachwirkungen einen Einblick erhalten, der jenseits des Kanals die Feindseligkeit gegen Deutschland hier und da zur offenen Flamme entsandte. Die Stimmung des deutschen Volkes während des Burenkrieges hinterließ einen tiefen Eindruck in England und erschwerte der offiziellen deutschen Politik ihr Werk. Die fortdauernde unversöhnliche Feindschaft Frankreichs sicherte überdies jedem Gegner Deutschlands, um welche Sache es sich auch handeln mochte, von vornherein die Unterstützung der französischen Republik. Trotz aller dieser Er¬ schwerungen hat Fürst Bülow die grundlegende Aufgabe der nachbismarckischen Zeit, die Begründung einer den weltpolitischen Aufgaben Deutschlands ent¬ sprechenden Kriegsmacht zur See, ohne dabei in äußere Konflikte zu geraten und die spätere Wiederanbahnung eines freundlicheren Verhältnisses zu Eng¬ land zu gefährden, erfolgreich gelöst. Das allein legitimiert den Fürsten Bülow schon als verständnisvollen und ebenbürtigen Fortsetzer des Bismarckschen Werkes in zeitgemäßen Sinne, und demgegenüber kann es wenig ins Gewicht fallen, ob er in allen Einzelheiten der europäischen Politik immer den Er¬ wartungen gerecht geworden ist, die von erhitzten politischen Dilettanten und Freunden einer aufgeregten Wauwau- und Kaltwasserstrahlen-Politik an ihn gelegentlich gestellt wurden. Ich muß es mir, um den Rahmen eines einzelnen Aufsatzes nicht zu über¬ schreiten, versagen, auf Einzelheiten einzugehen, die der Leser in der klaren und glänzenden Begründung der Bülowschen Abhandlung besser kennen lernt. Man darf da also auf die Quelle verweisen. Ich gehe auch nicht auf eine viel an¬ gefochtene Episode der Bülowschen Politik ein, die Marokkofrage, weil ich sie in diesen Blättern schon so oft und gerade auch während der Jahre 1906 bis

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/67>, abgerufen am 22.06.2024.