Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Politik des Fürsten Bülow

erscheinen ließ. Wir befinden uns, was die innerpolitischen Verhältnisse
betrifft, seit dem Scheiden des Fürsten Bülow aus seinem Amt in einem Zu¬
stand der Verwirrung und Zerfahrenheit. Das ist, wenn man die Dinge ganz
objektiv betrachtet, nicht die Schuld der Negierung -- weder des stüheren
Reichskanzlers noch seines Nachfolgers --, sondern ganz offenbar die Schuld
der Parteien; das wird man auch dann einräumen müssen, wenn man jeder
Partei das Recht zugesteht, ihre eigene Handlungsweise in der großen Krisis
für subjektiv berechtigt zu halten. Es ist unter solchen Umständen nichts natür¬
licher, als daß jede Partei sich nach Möglichkeit zu entlasten sucht und ihren
Schulbänken an der entstandenen Verwirrung der Stelle zuschiebt, die am
wenigsten in der Lage ist, die weitere politische Entwicklung unmittelbar zu
beeinflussen, und diese Stelle ist der Staatsmann, der eben um der Schuld der
Parteien willen die Zügel aus der Hand gelegt hat. Die Verehrer und An¬
hänger des Fürsten Bülow, die von der Überzeugung durchdrungen waren,
daß er die deutsche Politik den rechten Weg führte, wurden mit Schmerz gewahr,
daß die Parteien -- vielleicht nicht immer in bewußtem Schuldgefühl, sondern
wohl mehr aus jenem Instinkt der Einseitigkeit, der den Gedankenkreis des echten
Parteimannes beherrscht -- die geschichtlichen Tatsachen nach ihrem Inhalt,
ihrer Gruppierung und ihrer Bedeutung in der Erinnerung umzumodeln suchten,
bis sie zu dem erwünschten Ergebnis kamen, daß das sonnenklare Recht auf ihrer
Seite gewesen sei, als sie dem Fürsten Bülow die Fortführung seiner Politik
unmöglich machten. Anfangs, als sich die Parteien unter dem frischen Eindruck
der Krisis gegenseitig mit leidenschaftlichen Vorwürfen überschütteten und sür
jeden vermittelnden Gedanken sowie auch für die Schätzung der Folgen
blind und taub waren, übten sie noch einige Vorsicht, da noch Unsicherheit
herrschte, wie sich Fürst Bülow selbst nach seinem Rücktritt verhalten würde.
Als man aber merkte, daß der ehemalige Reichskanzler in vornehmer Zurück¬
haltung verharrte, daß er es ablehnte, irgendwie auch nur mittelbar in die
Parteikämpfe einzugreifen, gewann die natürliche Rücksichtslosigkeit des Partei¬
interesses immer offener die Oberhand. Je länger je mehr fing die Parteipresse
rechts und links, die allmählich doch das Urteil eines wertvollen Bruchteils der
öffentlichen Meinung fürchten lernte, an, die politischen Verdienste des Fürsten
Bülow systematisch zu zerpflücken. Aus den ursprünglichen Rechtfertigungs¬
versuchen des Parteiverhaltens -- Versuchen, die noch gänzlich defensiven Charakter
trugen -- wurden mit der Zeit schärfer betonte Behauptungen, die so aussahen,
als habe man mit der Zeit doch erfahren und eingesehen, daß die Bülowsche
Politik mehr oder weniger verfehlt gewesen sei. Jetzt auf einmal hörte man,
daß dem Fürsten Bülow alle möglichen Erfolge abgesprochen wurden, die man
früher anerkannt hatte, daß er in der auswärtigen Politik nichts erreicht, in der
inneren Politik die Verwirrung der letzten Jahre verschuldet habe.

Der Fürst persönlich hätte wohl diese unschönen Zeugnisse sür die Undank¬
barkeit, Kleinlichkeit und Gewissenlosigkeit des Parteigeistes noch länger mit der
"


4
Die Politik des Fürsten Bülow

erscheinen ließ. Wir befinden uns, was die innerpolitischen Verhältnisse
betrifft, seit dem Scheiden des Fürsten Bülow aus seinem Amt in einem Zu¬
stand der Verwirrung und Zerfahrenheit. Das ist, wenn man die Dinge ganz
objektiv betrachtet, nicht die Schuld der Negierung — weder des stüheren
Reichskanzlers noch seines Nachfolgers —, sondern ganz offenbar die Schuld
der Parteien; das wird man auch dann einräumen müssen, wenn man jeder
Partei das Recht zugesteht, ihre eigene Handlungsweise in der großen Krisis
für subjektiv berechtigt zu halten. Es ist unter solchen Umständen nichts natür¬
licher, als daß jede Partei sich nach Möglichkeit zu entlasten sucht und ihren
Schulbänken an der entstandenen Verwirrung der Stelle zuschiebt, die am
wenigsten in der Lage ist, die weitere politische Entwicklung unmittelbar zu
beeinflussen, und diese Stelle ist der Staatsmann, der eben um der Schuld der
Parteien willen die Zügel aus der Hand gelegt hat. Die Verehrer und An¬
hänger des Fürsten Bülow, die von der Überzeugung durchdrungen waren,
daß er die deutsche Politik den rechten Weg führte, wurden mit Schmerz gewahr,
daß die Parteien — vielleicht nicht immer in bewußtem Schuldgefühl, sondern
wohl mehr aus jenem Instinkt der Einseitigkeit, der den Gedankenkreis des echten
Parteimannes beherrscht — die geschichtlichen Tatsachen nach ihrem Inhalt,
ihrer Gruppierung und ihrer Bedeutung in der Erinnerung umzumodeln suchten,
bis sie zu dem erwünschten Ergebnis kamen, daß das sonnenklare Recht auf ihrer
Seite gewesen sei, als sie dem Fürsten Bülow die Fortführung seiner Politik
unmöglich machten. Anfangs, als sich die Parteien unter dem frischen Eindruck
der Krisis gegenseitig mit leidenschaftlichen Vorwürfen überschütteten und sür
jeden vermittelnden Gedanken sowie auch für die Schätzung der Folgen
blind und taub waren, übten sie noch einige Vorsicht, da noch Unsicherheit
herrschte, wie sich Fürst Bülow selbst nach seinem Rücktritt verhalten würde.
Als man aber merkte, daß der ehemalige Reichskanzler in vornehmer Zurück¬
haltung verharrte, daß er es ablehnte, irgendwie auch nur mittelbar in die
Parteikämpfe einzugreifen, gewann die natürliche Rücksichtslosigkeit des Partei¬
interesses immer offener die Oberhand. Je länger je mehr fing die Parteipresse
rechts und links, die allmählich doch das Urteil eines wertvollen Bruchteils der
öffentlichen Meinung fürchten lernte, an, die politischen Verdienste des Fürsten
Bülow systematisch zu zerpflücken. Aus den ursprünglichen Rechtfertigungs¬
versuchen des Parteiverhaltens — Versuchen, die noch gänzlich defensiven Charakter
trugen — wurden mit der Zeit schärfer betonte Behauptungen, die so aussahen,
als habe man mit der Zeit doch erfahren und eingesehen, daß die Bülowsche
Politik mehr oder weniger verfehlt gewesen sei. Jetzt auf einmal hörte man,
daß dem Fürsten Bülow alle möglichen Erfolge abgesprochen wurden, die man
früher anerkannt hatte, daß er in der auswärtigen Politik nichts erreicht, in der
inneren Politik die Verwirrung der letzten Jahre verschuldet habe.

Der Fürst persönlich hätte wohl diese unschönen Zeugnisse sür die Undank¬
barkeit, Kleinlichkeit und Gewissenlosigkeit des Parteigeistes noch länger mit der
»


4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0063" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328163"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Politik des Fürsten Bülow</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_246" prev="#ID_245"> erscheinen ließ. Wir befinden uns, was die innerpolitischen Verhältnisse<lb/>
betrifft, seit dem Scheiden des Fürsten Bülow aus seinem Amt in einem Zu¬<lb/>
stand der Verwirrung und Zerfahrenheit. Das ist, wenn man die Dinge ganz<lb/>
objektiv betrachtet, nicht die Schuld der Negierung &#x2014; weder des stüheren<lb/>
Reichskanzlers noch seines Nachfolgers &#x2014;, sondern ganz offenbar die Schuld<lb/>
der Parteien; das wird man auch dann einräumen müssen, wenn man jeder<lb/>
Partei das Recht zugesteht, ihre eigene Handlungsweise in der großen Krisis<lb/>
für subjektiv berechtigt zu halten. Es ist unter solchen Umständen nichts natür¬<lb/>
licher, als daß jede Partei sich nach Möglichkeit zu entlasten sucht und ihren<lb/>
Schulbänken an der entstandenen Verwirrung der Stelle zuschiebt, die am<lb/>
wenigsten in der Lage ist, die weitere politische Entwicklung unmittelbar zu<lb/>
beeinflussen, und diese Stelle ist der Staatsmann, der eben um der Schuld der<lb/>
Parteien willen die Zügel aus der Hand gelegt hat. Die Verehrer und An¬<lb/>
hänger des Fürsten Bülow, die von der Überzeugung durchdrungen waren,<lb/>
daß er die deutsche Politik den rechten Weg führte, wurden mit Schmerz gewahr,<lb/>
daß die Parteien &#x2014; vielleicht nicht immer in bewußtem Schuldgefühl, sondern<lb/>
wohl mehr aus jenem Instinkt der Einseitigkeit, der den Gedankenkreis des echten<lb/>
Parteimannes beherrscht &#x2014; die geschichtlichen Tatsachen nach ihrem Inhalt,<lb/>
ihrer Gruppierung und ihrer Bedeutung in der Erinnerung umzumodeln suchten,<lb/>
bis sie zu dem erwünschten Ergebnis kamen, daß das sonnenklare Recht auf ihrer<lb/>
Seite gewesen sei, als sie dem Fürsten Bülow die Fortführung seiner Politik<lb/>
unmöglich machten. Anfangs, als sich die Parteien unter dem frischen Eindruck<lb/>
der Krisis gegenseitig mit leidenschaftlichen Vorwürfen überschütteten und sür<lb/>
jeden vermittelnden Gedanken sowie auch für die Schätzung der Folgen<lb/>
blind und taub waren, übten sie noch einige Vorsicht, da noch Unsicherheit<lb/>
herrschte, wie sich Fürst Bülow selbst nach seinem Rücktritt verhalten würde.<lb/>
Als man aber merkte, daß der ehemalige Reichskanzler in vornehmer Zurück¬<lb/>
haltung verharrte, daß er es ablehnte, irgendwie auch nur mittelbar in die<lb/>
Parteikämpfe einzugreifen, gewann die natürliche Rücksichtslosigkeit des Partei¬<lb/>
interesses immer offener die Oberhand. Je länger je mehr fing die Parteipresse<lb/>
rechts und links, die allmählich doch das Urteil eines wertvollen Bruchteils der<lb/>
öffentlichen Meinung fürchten lernte, an, die politischen Verdienste des Fürsten<lb/>
Bülow systematisch zu zerpflücken. Aus den ursprünglichen Rechtfertigungs¬<lb/>
versuchen des Parteiverhaltens &#x2014; Versuchen, die noch gänzlich defensiven Charakter<lb/>
trugen &#x2014; wurden mit der Zeit schärfer betonte Behauptungen, die so aussahen,<lb/>
als habe man mit der Zeit doch erfahren und eingesehen, daß die Bülowsche<lb/>
Politik mehr oder weniger verfehlt gewesen sei. Jetzt auf einmal hörte man,<lb/>
daß dem Fürsten Bülow alle möglichen Erfolge abgesprochen wurden, die man<lb/>
früher anerkannt hatte, daß er in der auswärtigen Politik nichts erreicht, in der<lb/>
inneren Politik die Verwirrung der letzten Jahre verschuldet habe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_247" next="#ID_248"> Der Fürst persönlich hätte wohl diese unschönen Zeugnisse sür die Undank¬<lb/>
barkeit, Kleinlichkeit und Gewissenlosigkeit des Parteigeistes noch länger mit der<lb/>
»</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 4</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0063] Die Politik des Fürsten Bülow erscheinen ließ. Wir befinden uns, was die innerpolitischen Verhältnisse betrifft, seit dem Scheiden des Fürsten Bülow aus seinem Amt in einem Zu¬ stand der Verwirrung und Zerfahrenheit. Das ist, wenn man die Dinge ganz objektiv betrachtet, nicht die Schuld der Negierung — weder des stüheren Reichskanzlers noch seines Nachfolgers —, sondern ganz offenbar die Schuld der Parteien; das wird man auch dann einräumen müssen, wenn man jeder Partei das Recht zugesteht, ihre eigene Handlungsweise in der großen Krisis für subjektiv berechtigt zu halten. Es ist unter solchen Umständen nichts natür¬ licher, als daß jede Partei sich nach Möglichkeit zu entlasten sucht und ihren Schulbänken an der entstandenen Verwirrung der Stelle zuschiebt, die am wenigsten in der Lage ist, die weitere politische Entwicklung unmittelbar zu beeinflussen, und diese Stelle ist der Staatsmann, der eben um der Schuld der Parteien willen die Zügel aus der Hand gelegt hat. Die Verehrer und An¬ hänger des Fürsten Bülow, die von der Überzeugung durchdrungen waren, daß er die deutsche Politik den rechten Weg führte, wurden mit Schmerz gewahr, daß die Parteien — vielleicht nicht immer in bewußtem Schuldgefühl, sondern wohl mehr aus jenem Instinkt der Einseitigkeit, der den Gedankenkreis des echten Parteimannes beherrscht — die geschichtlichen Tatsachen nach ihrem Inhalt, ihrer Gruppierung und ihrer Bedeutung in der Erinnerung umzumodeln suchten, bis sie zu dem erwünschten Ergebnis kamen, daß das sonnenklare Recht auf ihrer Seite gewesen sei, als sie dem Fürsten Bülow die Fortführung seiner Politik unmöglich machten. Anfangs, als sich die Parteien unter dem frischen Eindruck der Krisis gegenseitig mit leidenschaftlichen Vorwürfen überschütteten und sür jeden vermittelnden Gedanken sowie auch für die Schätzung der Folgen blind und taub waren, übten sie noch einige Vorsicht, da noch Unsicherheit herrschte, wie sich Fürst Bülow selbst nach seinem Rücktritt verhalten würde. Als man aber merkte, daß der ehemalige Reichskanzler in vornehmer Zurück¬ haltung verharrte, daß er es ablehnte, irgendwie auch nur mittelbar in die Parteikämpfe einzugreifen, gewann die natürliche Rücksichtslosigkeit des Partei¬ interesses immer offener die Oberhand. Je länger je mehr fing die Parteipresse rechts und links, die allmählich doch das Urteil eines wertvollen Bruchteils der öffentlichen Meinung fürchten lernte, an, die politischen Verdienste des Fürsten Bülow systematisch zu zerpflücken. Aus den ursprünglichen Rechtfertigungs¬ versuchen des Parteiverhaltens — Versuchen, die noch gänzlich defensiven Charakter trugen — wurden mit der Zeit schärfer betonte Behauptungen, die so aussahen, als habe man mit der Zeit doch erfahren und eingesehen, daß die Bülowsche Politik mehr oder weniger verfehlt gewesen sei. Jetzt auf einmal hörte man, daß dem Fürsten Bülow alle möglichen Erfolge abgesprochen wurden, die man früher anerkannt hatte, daß er in der auswärtigen Politik nichts erreicht, in der inneren Politik die Verwirrung der letzten Jahre verschuldet habe. Der Fürst persönlich hätte wohl diese unschönen Zeugnisse sür die Undank¬ barkeit, Kleinlichkeit und Gewissenlosigkeit des Parteigeistes noch länger mit der » 4

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/63
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/63>, abgerufen am 23.06.2024.