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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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neue Richtung schon längst grimmig befehdeten und Liszt und seiner kleinen
tapferen Schar den Spottnamen "Zukunftsmusiker" beigelegt hatten*), nicht hatte
gelingen können, das gelang einer niederträchtigen Intrige aus dem Kreise des
Liszt feindlich gesinnten Generalintendanten Friedrich Dingelstedt: eine wohl¬
organisierte Claque brachte an? 15. Oktober 1853 Peter Cornelius' "Barbier
von Bagdad", das erste zur Aufführvng kommende Werk eines spezifischen Liszt-
anhängers, schmählich zu Fall, und tief beleidigt trat Liszt von der Opern¬
leitung sür immer zurück, zumal ihm vom Hofe keine Genugtuung geschah.

Wenn er auch den Schmerz über das erlittene Unrecht, das ihn in seinem
edelsten Wollen traf, nie so recht verwunden hat, so konnte er gleichwohl auf
seinen Weimarer Aufenthalt mit größter Genugtuung zurückblicken. Es waren
Jahre reichster Ernte; ein Teil seiner vollendetsten Schöpfungen war damals
entstanden, so die "Sinfonischen Dichtungen", die Seligpreisungen und die
herrliche Graner Festmesse. Auch sein persönlichstes Leben hatte in diesen Jahren eine
unendliche Bereicherung erfahren. In der Fürstin von Sayn-Wittgenstein, die er
einst in Kiew kennen gelernt und die nach der Trennung von ihrem ungeliebten
Gatten ihm nach Weimar gefolgt war, hatte er eine Frau gefunden, "ein Pracht¬
exemplar von Seele, Geist und Verstand." so recht berufen die Muse des sinnigen
Künstlers zu werden. Dem Verkehr mit dieser geistvollen, bedeutenden Frau
verdanken wir die wundervollen "et-u-mvnies pe>etique8 et reliZieuZes" und
die gewaltige Dautesinfonie; was sie Liszt gewesen, das erfahren wir aus
seinem Testament (1860), darin es heißt: "Was ich seit zwölf Jahren Gutes
tat und dachte, verdanke ich derjenigen, die ich so glühend wünschte Gattin zu
heißen -- was menschliche Niedertracht und die kläglichsten Schikanen bisher
hartnäckig verweigert haben: Jeanne -- Elisabeth -- Carolyne. All meine
Freude stammt von ihr, und meine Leiden suchen stets bei ihr Linderung . . .
Ich werfe mich in Gedanken vor ihr auf die Knie, um sie zu segnen und ihr
zu danken als meinem Schutzengel und meinem Vermittler bei Gott, ihr, die
mein Ruhm, meine Ehre, meine Verzeihung und Wiedergenesung bedeutet, die
Schwester und Braut meiner Seele!*")" Um so mehr ist zu bedauern, daß
die Fürstin, die später völlig in religiös-mystische Schwärmerei versank, selber
auf die durch den Tod ihres Gatten möglich gewordene Eheschließung ver¬
zichtete und in Rom blieb, während Liszt sich wieder nach Deutschland wandte;
er hat unsäglich unter der zwischen ihnen eingetretenen Entfremdung gelitten.

Die sinfonische Aufgabe, die er sich gestellt hatte, konnte er mit der
Vollendung der sinfonischen Dichtungen als gelöst betrachten, und so wendete
er sich entsprechend seiner tief innerlichen Religiosität der oratorischen zu***), der
Reform der katholischen Kirchenmusik. Diese Aufgabe glaubte er am besten in





*) Diese Bezeichnung taucht zum ersten Male auf in Ur. 1 der Signale 1866 und ist
eine Anspielung auf Wagners Schrift: Das Kunstwerk der Zukunft.
Briefe V, 52.
Ebenda, II 23.
.5rin>5 Liszt

neue Richtung schon längst grimmig befehdeten und Liszt und seiner kleinen
tapferen Schar den Spottnamen „Zukunftsmusiker" beigelegt hatten*), nicht hatte
gelingen können, das gelang einer niederträchtigen Intrige aus dem Kreise des
Liszt feindlich gesinnten Generalintendanten Friedrich Dingelstedt: eine wohl¬
organisierte Claque brachte an? 15. Oktober 1853 Peter Cornelius' „Barbier
von Bagdad", das erste zur Aufführvng kommende Werk eines spezifischen Liszt-
anhängers, schmählich zu Fall, und tief beleidigt trat Liszt von der Opern¬
leitung sür immer zurück, zumal ihm vom Hofe keine Genugtuung geschah.

Wenn er auch den Schmerz über das erlittene Unrecht, das ihn in seinem
edelsten Wollen traf, nie so recht verwunden hat, so konnte er gleichwohl auf
seinen Weimarer Aufenthalt mit größter Genugtuung zurückblicken. Es waren
Jahre reichster Ernte; ein Teil seiner vollendetsten Schöpfungen war damals
entstanden, so die „Sinfonischen Dichtungen", die Seligpreisungen und die
herrliche Graner Festmesse. Auch sein persönlichstes Leben hatte in diesen Jahren eine
unendliche Bereicherung erfahren. In der Fürstin von Sayn-Wittgenstein, die er
einst in Kiew kennen gelernt und die nach der Trennung von ihrem ungeliebten
Gatten ihm nach Weimar gefolgt war, hatte er eine Frau gefunden, „ein Pracht¬
exemplar von Seele, Geist und Verstand." so recht berufen die Muse des sinnigen
Künstlers zu werden. Dem Verkehr mit dieser geistvollen, bedeutenden Frau
verdanken wir die wundervollen „et-u-mvnies pe>etique8 et reliZieuZes" und
die gewaltige Dautesinfonie; was sie Liszt gewesen, das erfahren wir aus
seinem Testament (1860), darin es heißt: „Was ich seit zwölf Jahren Gutes
tat und dachte, verdanke ich derjenigen, die ich so glühend wünschte Gattin zu
heißen — was menschliche Niedertracht und die kläglichsten Schikanen bisher
hartnäckig verweigert haben: Jeanne — Elisabeth — Carolyne. All meine
Freude stammt von ihr, und meine Leiden suchen stets bei ihr Linderung . . .
Ich werfe mich in Gedanken vor ihr auf die Knie, um sie zu segnen und ihr
zu danken als meinem Schutzengel und meinem Vermittler bei Gott, ihr, die
mein Ruhm, meine Ehre, meine Verzeihung und Wiedergenesung bedeutet, die
Schwester und Braut meiner Seele!*")" Um so mehr ist zu bedauern, daß
die Fürstin, die später völlig in religiös-mystische Schwärmerei versank, selber
auf die durch den Tod ihres Gatten möglich gewordene Eheschließung ver¬
zichtete und in Rom blieb, während Liszt sich wieder nach Deutschland wandte;
er hat unsäglich unter der zwischen ihnen eingetretenen Entfremdung gelitten.

Die sinfonische Aufgabe, die er sich gestellt hatte, konnte er mit der
Vollendung der sinfonischen Dichtungen als gelöst betrachten, und so wendete
er sich entsprechend seiner tief innerlichen Religiosität der oratorischen zu***), der
Reform der katholischen Kirchenmusik. Diese Aufgabe glaubte er am besten in





*) Diese Bezeichnung taucht zum ersten Male auf in Ur. 1 der Signale 1866 und ist
eine Anspielung auf Wagners Schrift: Das Kunstwerk der Zukunft.
Briefe V, 52.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/609>, abgerufen am 25.07.2024.