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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Das polnische Problem und die preußische Gstmarkenpolitik

Freunden Zustimmung zu ernten, aber doch in der Hoffnung, Verständnis bei
ihnen zu finden.

Mit einem Ausflug in die große Politik sei begonnen.

Am 1./12. März 1877 berichtete der auf einer Rundreise durch Europa
begriffene russische Botschafter Graf N. P. Jgnatjew an seinen Chef, den
Staatskanzler Fürsten Gortschakoro, über eine Unterredung mit dem Fürsten
Bismarck: "Nach den Worten des Kanzlers sind es nur die Polen in Rußland
und die Ultramontanen in Deutschland, die sich bemühen eine Verschiedenheit
der Meinungen (zwischen Rußland und Deutschland, G. El.), die vorüber¬
gehend auftauchen könnte, zu unterstreichen, in der Auffassung, daß ihnen ein
Zusammenstoß zwischen uns von Nutzen sein würde." Bismarck machte also
damals dem russischen Diplomaten gegenüber einen Unterschied zwischen den
russischen und preußischen Polen, ließ durchblicken, daß die preußischen Polen
loyal zum jungen Reich halten würden und gesteht nur zu, daß er den Ultra¬
montanen nicht traue, die, wie wir wissen, damals auch eine besonders
feindselige Haltung gegen Nußland einnahmen (Zukunft Polens Bd. II),
also gewissermaßen ein gemeinsamer Feind waren. Bismarck mochte damit
andeuten wollen, daß die russischen Polen bei einem Zusammenstoß der beiden
Mächte nicht auf der Seite Rußlands kämpfen würden. In einer Anmerkung
fügt Jgnatjew dem amtlichen Bericht hinzu: "Fürst Bismarck erklärte, daß die
Vergrößerung der Zahl der Polen und Juden, Deutschland, das davon so schon genug
habe, keinerlei Vorteil bringen würde, infolgedessen denke auch niemand an eine
Angliederung Polens, .wenngleich die Weichsel, von strategischen Gesichtspunkten
aus angesehen, keine schlechte Grenze für den Osten abgäbe... Deutschland kann
weder an der französischen Seite, noch an der entgegengesetzten, das ist an der
russischen Eroberungen machen, derentwegen es sich verlohnte Krieg zu sichren .. /"
Aus den Mitteilungen von Moritz Busch wissen wir daneben, daß Bismarck selbst
noch gegen Ende des Jahres 1870 mit der Möglichkeit rechnete, den Polen eine
Rolle in seinen Plänen zuweisen zu müssen, die seiner späteren Haltung ihnen
gegenüber direkt widersprach. Bismarck schätzte den.Dienst, den Alexander der
Zweite Preußen durch seine wohlwollende Neutralität im Kriege gegen Frank¬
reich erwiesen hatte, augenscheinlich so hoch ein, daß er sich entschloß, alle
Kombinationen mit den Polen, und dazu gehörte auch das bereits vorbereitete
Bündnis mit dem Papst, hinzugeben und sogar die Brandfackel des Kultur¬
kampfes in das deutsche Volk zu schleudern. -- Ähnlich verfuhren russische
Staatsmänner vierzig Jahre später. Im letzten Jahre seiner Amtszeit und
seines Lebens (1910/11) hatte der russische Ministerpräsident Stolupin mit dem
Führer der polnischen Dumafraktion Roman Dmowski ein Abkommen getroffen,
das darauf hinauslief, dem russischen Reiche die loyale Mitwirkung der Polen in
einem etwa möglichen europäischen Kriege sicherzustellen, gegen das Versprechen der
Gewährung der Autonomie für die von den Polen kulturell beherrschten Landesteile.
Weder sein Amtsnachfolger Kokowtzow noch Herr Goremykin sind ernsthaft auf


Das polnische Problem und die preußische Gstmarkenpolitik

Freunden Zustimmung zu ernten, aber doch in der Hoffnung, Verständnis bei
ihnen zu finden.

Mit einem Ausflug in die große Politik sei begonnen.

Am 1./12. März 1877 berichtete der auf einer Rundreise durch Europa
begriffene russische Botschafter Graf N. P. Jgnatjew an seinen Chef, den
Staatskanzler Fürsten Gortschakoro, über eine Unterredung mit dem Fürsten
Bismarck: „Nach den Worten des Kanzlers sind es nur die Polen in Rußland
und die Ultramontanen in Deutschland, die sich bemühen eine Verschiedenheit
der Meinungen (zwischen Rußland und Deutschland, G. El.), die vorüber¬
gehend auftauchen könnte, zu unterstreichen, in der Auffassung, daß ihnen ein
Zusammenstoß zwischen uns von Nutzen sein würde." Bismarck machte also
damals dem russischen Diplomaten gegenüber einen Unterschied zwischen den
russischen und preußischen Polen, ließ durchblicken, daß die preußischen Polen
loyal zum jungen Reich halten würden und gesteht nur zu, daß er den Ultra¬
montanen nicht traue, die, wie wir wissen, damals auch eine besonders
feindselige Haltung gegen Nußland einnahmen (Zukunft Polens Bd. II),
also gewissermaßen ein gemeinsamer Feind waren. Bismarck mochte damit
andeuten wollen, daß die russischen Polen bei einem Zusammenstoß der beiden
Mächte nicht auf der Seite Rußlands kämpfen würden. In einer Anmerkung
fügt Jgnatjew dem amtlichen Bericht hinzu: „Fürst Bismarck erklärte, daß die
Vergrößerung der Zahl der Polen und Juden, Deutschland, das davon so schon genug
habe, keinerlei Vorteil bringen würde, infolgedessen denke auch niemand an eine
Angliederung Polens, .wenngleich die Weichsel, von strategischen Gesichtspunkten
aus angesehen, keine schlechte Grenze für den Osten abgäbe... Deutschland kann
weder an der französischen Seite, noch an der entgegengesetzten, das ist an der
russischen Eroberungen machen, derentwegen es sich verlohnte Krieg zu sichren .. /"
Aus den Mitteilungen von Moritz Busch wissen wir daneben, daß Bismarck selbst
noch gegen Ende des Jahres 1870 mit der Möglichkeit rechnete, den Polen eine
Rolle in seinen Plänen zuweisen zu müssen, die seiner späteren Haltung ihnen
gegenüber direkt widersprach. Bismarck schätzte den.Dienst, den Alexander der
Zweite Preußen durch seine wohlwollende Neutralität im Kriege gegen Frank¬
reich erwiesen hatte, augenscheinlich so hoch ein, daß er sich entschloß, alle
Kombinationen mit den Polen, und dazu gehörte auch das bereits vorbereitete
Bündnis mit dem Papst, hinzugeben und sogar die Brandfackel des Kultur¬
kampfes in das deutsche Volk zu schleudern. — Ähnlich verfuhren russische
Staatsmänner vierzig Jahre später. Im letzten Jahre seiner Amtszeit und
seines Lebens (1910/11) hatte der russische Ministerpräsident Stolupin mit dem
Führer der polnischen Dumafraktion Roman Dmowski ein Abkommen getroffen,
das darauf hinauslief, dem russischen Reiche die loyale Mitwirkung der Polen in
einem etwa möglichen europäischen Kriege sicherzustellen, gegen das Versprechen der
Gewährung der Autonomie für die von den Polen kulturell beherrschten Landesteile.
Weder sein Amtsnachfolger Kokowtzow noch Herr Goremykin sind ernsthaft auf


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[0590] Das polnische Problem und die preußische Gstmarkenpolitik Freunden Zustimmung zu ernten, aber doch in der Hoffnung, Verständnis bei ihnen zu finden. Mit einem Ausflug in die große Politik sei begonnen. Am 1./12. März 1877 berichtete der auf einer Rundreise durch Europa begriffene russische Botschafter Graf N. P. Jgnatjew an seinen Chef, den Staatskanzler Fürsten Gortschakoro, über eine Unterredung mit dem Fürsten Bismarck: „Nach den Worten des Kanzlers sind es nur die Polen in Rußland und die Ultramontanen in Deutschland, die sich bemühen eine Verschiedenheit der Meinungen (zwischen Rußland und Deutschland, G. El.), die vorüber¬ gehend auftauchen könnte, zu unterstreichen, in der Auffassung, daß ihnen ein Zusammenstoß zwischen uns von Nutzen sein würde." Bismarck machte also damals dem russischen Diplomaten gegenüber einen Unterschied zwischen den russischen und preußischen Polen, ließ durchblicken, daß die preußischen Polen loyal zum jungen Reich halten würden und gesteht nur zu, daß er den Ultra¬ montanen nicht traue, die, wie wir wissen, damals auch eine besonders feindselige Haltung gegen Nußland einnahmen (Zukunft Polens Bd. II), also gewissermaßen ein gemeinsamer Feind waren. Bismarck mochte damit andeuten wollen, daß die russischen Polen bei einem Zusammenstoß der beiden Mächte nicht auf der Seite Rußlands kämpfen würden. In einer Anmerkung fügt Jgnatjew dem amtlichen Bericht hinzu: „Fürst Bismarck erklärte, daß die Vergrößerung der Zahl der Polen und Juden, Deutschland, das davon so schon genug habe, keinerlei Vorteil bringen würde, infolgedessen denke auch niemand an eine Angliederung Polens, .wenngleich die Weichsel, von strategischen Gesichtspunkten aus angesehen, keine schlechte Grenze für den Osten abgäbe... Deutschland kann weder an der französischen Seite, noch an der entgegengesetzten, das ist an der russischen Eroberungen machen, derentwegen es sich verlohnte Krieg zu sichren .. /" Aus den Mitteilungen von Moritz Busch wissen wir daneben, daß Bismarck selbst noch gegen Ende des Jahres 1870 mit der Möglichkeit rechnete, den Polen eine Rolle in seinen Plänen zuweisen zu müssen, die seiner späteren Haltung ihnen gegenüber direkt widersprach. Bismarck schätzte den.Dienst, den Alexander der Zweite Preußen durch seine wohlwollende Neutralität im Kriege gegen Frank¬ reich erwiesen hatte, augenscheinlich so hoch ein, daß er sich entschloß, alle Kombinationen mit den Polen, und dazu gehörte auch das bereits vorbereitete Bündnis mit dem Papst, hinzugeben und sogar die Brandfackel des Kultur¬ kampfes in das deutsche Volk zu schleudern. — Ähnlich verfuhren russische Staatsmänner vierzig Jahre später. Im letzten Jahre seiner Amtszeit und seines Lebens (1910/11) hatte der russische Ministerpräsident Stolupin mit dem Führer der polnischen Dumafraktion Roman Dmowski ein Abkommen getroffen, das darauf hinauslief, dem russischen Reiche die loyale Mitwirkung der Polen in einem etwa möglichen europäischen Kriege sicherzustellen, gegen das Versprechen der Gewährung der Autonomie für die von den Polen kulturell beherrschten Landesteile. Weder sein Amtsnachfolger Kokowtzow noch Herr Goremykin sind ernsthaft auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/590>, abgerufen am 24.07.2024.