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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Kur Frage der deutschen Einheitsschule

Linie dem Wohle unseres Volkes gedient, die Fülle der in ihm schlummernden
Kräfte zu freiem Wettbewerb losgebunden werden soll, braucht nicht bestritien
zu werden. Es fragt sich aber, ob neben den Gründen äußerer, vor allem
finanzieller Art, wie sie bei den Beratungen des preußischen Abgeordnetenhauses
zur Geltung kamen, nicht auch sehr gewichtige Gründe grundsätzlicher Art gegen
die Einheitsschule sprechen und ob es denn in der Tat durchaus wünschenswert
sei. daß der Gedanke der Einheitsschule zur Verwirklichung gelange.

AIs die erste Stufe, die zu jenem Ziele führen soll, ist im allgemeinen
die Beseitigung der sogenannten Vorschule gedacht. Die Gründe, die man
dafür geltend macht, sind wohlbekannt genug. Daß durch die Beseitigung der
Vorschule und den Zwang, alle Kinder in die allgemeine Volksschule zu senden,
ein großer Fortschritt in der Erziehung der oberen Klassen zu sozialem Empfinden
erreicht werde, scheint mir fraglich. Wenigstens hat man bisher noch nichts
davon gehört, daß in Städten ohne Vorschulen das soziale Verständnis besser
entwickelt wäre und sich lebhafter betätigte als in solchen, wo diese Einrichtung
besteht. Wenn sich ein Nutzen in der erwähnten Richtung ergibt, so liegt er
jedenfalls mehr auf feiten der Eltern, die bei dieser Gelegenheit an die Zu¬
sammengehörigkeit mit den anderen Volksschichten erinnert werden, als auf feiten
der Kinder, für die bis zum Alter von zehn Jahren, wo sie die Volksschule
verlassen, eine soziale Frage, dem Himmel sei Dank, im allgemeinen gar
nicht gibt.

Wenn nun aber im Kampf gegen die Vorschule gerade dieser Punkt be¬
ständig angeführt wird, so ist man wohl berechtigt, einmal die Frage aufzu¬
werfen, wie man dazu kommt, eine Angelegenheit, die in erster Linie schul¬
technischer Art ist, nach Gesichtspunkten zu entscheiden, die in das Gebiet der
Sozialpolitik gehören und mit dem Wesen der Schule an sich nichts zu tun
haben. Gewiß ist es höchst erfreulich, wenn sich eine Nebenwirkung sozialen
Charakters wie die oben erwähnte als ungezwungene Begleiterscheinung von
selbst ergibt. Für die Frage aber, welche Schule ein Kind am besten besucht,
darf nur die Erwägung ausschlaggebend sein, auf welcher Schule das Kind
"in leichtesten und sichersten die erforderlichen Kenntnisse erwirbt, und es muß
entschieden dagegen Einspruch erhoben werden, daß man versucht, diesen Kern¬
punkt durch Rücksichten anderer Art, die mit dem Wesen der Sache im Grunde
nichts zu tun haben, in den Hintergrund zu drängen. Da nun auf der Vor¬
schule die Vorbereitung auf den Besuch der höheren Schule sicherer und in
kürzerer Zeit erreicht wird als auf der Volksschule -- daß dies der Fall ist,
werden auch die Anhänger der Einheitsschule nicht bestreikn --. so ist damit
auch die Daseinsberechtigung für die Vorschule erwiesen. Sollten also die An¬
hänger der Einheitsschule die gesetzliche Abschaffung der öffentlichen Vorschulen
durchsetzen, so würde damit nur erreicht werden, daß sich mit demselben Augen¬
blick ebensoviele oder mehr private Anstalten dieser Art aufladen. Das Schul¬
geld dieser würde wahrscheinlich niedriger, ihr Besuch stärker werden, und daß


Kur Frage der deutschen Einheitsschule

Linie dem Wohle unseres Volkes gedient, die Fülle der in ihm schlummernden
Kräfte zu freiem Wettbewerb losgebunden werden soll, braucht nicht bestritien
zu werden. Es fragt sich aber, ob neben den Gründen äußerer, vor allem
finanzieller Art, wie sie bei den Beratungen des preußischen Abgeordnetenhauses
zur Geltung kamen, nicht auch sehr gewichtige Gründe grundsätzlicher Art gegen
die Einheitsschule sprechen und ob es denn in der Tat durchaus wünschenswert
sei. daß der Gedanke der Einheitsschule zur Verwirklichung gelange.

AIs die erste Stufe, die zu jenem Ziele führen soll, ist im allgemeinen
die Beseitigung der sogenannten Vorschule gedacht. Die Gründe, die man
dafür geltend macht, sind wohlbekannt genug. Daß durch die Beseitigung der
Vorschule und den Zwang, alle Kinder in die allgemeine Volksschule zu senden,
ein großer Fortschritt in der Erziehung der oberen Klassen zu sozialem Empfinden
erreicht werde, scheint mir fraglich. Wenigstens hat man bisher noch nichts
davon gehört, daß in Städten ohne Vorschulen das soziale Verständnis besser
entwickelt wäre und sich lebhafter betätigte als in solchen, wo diese Einrichtung
besteht. Wenn sich ein Nutzen in der erwähnten Richtung ergibt, so liegt er
jedenfalls mehr auf feiten der Eltern, die bei dieser Gelegenheit an die Zu¬
sammengehörigkeit mit den anderen Volksschichten erinnert werden, als auf feiten
der Kinder, für die bis zum Alter von zehn Jahren, wo sie die Volksschule
verlassen, eine soziale Frage, dem Himmel sei Dank, im allgemeinen gar
nicht gibt.

Wenn nun aber im Kampf gegen die Vorschule gerade dieser Punkt be¬
ständig angeführt wird, so ist man wohl berechtigt, einmal die Frage aufzu¬
werfen, wie man dazu kommt, eine Angelegenheit, die in erster Linie schul¬
technischer Art ist, nach Gesichtspunkten zu entscheiden, die in das Gebiet der
Sozialpolitik gehören und mit dem Wesen der Schule an sich nichts zu tun
haben. Gewiß ist es höchst erfreulich, wenn sich eine Nebenwirkung sozialen
Charakters wie die oben erwähnte als ungezwungene Begleiterscheinung von
selbst ergibt. Für die Frage aber, welche Schule ein Kind am besten besucht,
darf nur die Erwägung ausschlaggebend sein, auf welcher Schule das Kind
«in leichtesten und sichersten die erforderlichen Kenntnisse erwirbt, und es muß
entschieden dagegen Einspruch erhoben werden, daß man versucht, diesen Kern¬
punkt durch Rücksichten anderer Art, die mit dem Wesen der Sache im Grunde
nichts zu tun haben, in den Hintergrund zu drängen. Da nun auf der Vor¬
schule die Vorbereitung auf den Besuch der höheren Schule sicherer und in
kürzerer Zeit erreicht wird als auf der Volksschule — daß dies der Fall ist,
werden auch die Anhänger der Einheitsschule nicht bestreikn —. so ist damit
auch die Daseinsberechtigung für die Vorschule erwiesen. Sollten also die An¬
hänger der Einheitsschule die gesetzliche Abschaffung der öffentlichen Vorschulen
durchsetzen, so würde damit nur erreicht werden, daß sich mit demselben Augen¬
blick ebensoviele oder mehr private Anstalten dieser Art aufladen. Das Schul¬
geld dieser würde wahrscheinlich niedriger, ihr Besuch stärker werden, und daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/547>, abgerufen am 24.07.2024.