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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Mozart, Österreich und wir

Zur weiteren Vervollständigung schlage ich vor: eine vollständige Sammlung
von Grammophonausnahmen der gangbarsten allgemeinen Redensarten über
Mozart. Die vorhandenen, von bildender Kunst geschaffenen Erinnerungen zu
vervollständigen, ist nicht mehr möglich. Denn es hängen an den Wänden
von Leopold Mozarts Wohnzimmer die Photographien aller Mitglieder der
k. k. Hofoper in Wien, die. ich glaube vor siebenundzwanzig Jahren. Mozart
gesungen haben. Ebenso fehlt es nicht an einem lebensgroßen Porträt des Herrn
Sternecker, der bekanntlich einmal Präsident des Mozarteums war. Und außer¬
dem hat sich die neuere Kunst des Meisters in unzähligen symbolischen Meister¬
werken angenommen, die hier in ihren Originalen zu bewundern sind. Mozart
am Klavier und ein rosenwangiger Plockhorstengel, der ihn mit Lorbeer kränzt.
OderMozart, wie er mit irgendeiner großen pathetischenKompositionsgebärdevoreiner
Kommission prachtvoll gekleideter, zu diesem Zweck offenbar feierlich geladener
Augenzeugen stirbt. (Er starb, liebe Freunde, mit einem bitteren Wort, das
Osterreich noch ein paar Jahrhunderte in den Ohren klingen sollte: "Gerade jetzt
soll ich gehen, wo ich ruhig leben könnte, gerade jetzt meine Kunst verlassen, wo
ich nicht mehr Sklave der Mode und der Spekulation bin.") Aber wie gesagt,
das Museum ist in dieser Hinsicht vollkommen. Und höchstens die lebensgroßen
Porträts aller seiner Kastellane fehlen ....

In Berlin und in München bilden wir, Regisseure, Kritiker, Musikanten,
Musikwissenschaftler, zwei große Gruppen, die dem schneller zum Leben verhelfen
wollen, was -- rasend wächst die Fülle der Zeichen, die dafür sprechen -- kommen
wird: eine neue Epoche Mozarts. Die erste vielleicht, die seine Welt ganz umfaßt.
Weil unsere Festspiele, seit Jahren sorglich gehegt, immer mehr zu diesem Fühlen
der Zeit sprechen, weil wir die besten Mozartausgaben, die besten Regiepläne für
seine Opern haben, wird Österreich eifersüchtig; erinnert sich der Unterlassungs¬
sünden von einst und von heute, läßt aber die Sammlung klassischer Erinnerungen
an ihn in diesem unglaublichen Wust von Kitsch und Schund verkommen, ver¬
nachlässigt ihn an seiner Hofoper ebenso, wie es ihn vor dreißig Jahren ver¬
nachlässigte. Und wird trotzdem eifersüchtig auf uns. Hermann Bahr, der auch
hier wieder einmal die Konjunktur ein wenig schneller erkannt hat als seine Lands¬
leute, schilt uns, weil wir ihn seiner Heimat entfremden. Mit gutem Grunde:
wir können diese Sammlung (die eine von Mozart bitter gehaßte Stadt birgt)
nicht an uns reißen. Können und wollen es nicht. Werden aber durch bitteren
Spott dafür sorgen, daß Osterreich aus dieser Provinz seines heiteren Traumreiches
gerüttelt wird. Durch Spott und Kritik nicht nur, sondern vor allem durch die
positiven Taten unserer Bemühungen um die Kunst eines Genius, der bisher
zwischen Jnn und Leitha tauben Ohren gesungen hat. Und dann wird vielleicht
sich das unwiderruflich vollzogen haben, was der kluge Wiener heute fürchtet:
die Entführung Mozarts nach Deutschland.




Mozart, Österreich und wir

Zur weiteren Vervollständigung schlage ich vor: eine vollständige Sammlung
von Grammophonausnahmen der gangbarsten allgemeinen Redensarten über
Mozart. Die vorhandenen, von bildender Kunst geschaffenen Erinnerungen zu
vervollständigen, ist nicht mehr möglich. Denn es hängen an den Wänden
von Leopold Mozarts Wohnzimmer die Photographien aller Mitglieder der
k. k. Hofoper in Wien, die. ich glaube vor siebenundzwanzig Jahren. Mozart
gesungen haben. Ebenso fehlt es nicht an einem lebensgroßen Porträt des Herrn
Sternecker, der bekanntlich einmal Präsident des Mozarteums war. Und außer¬
dem hat sich die neuere Kunst des Meisters in unzähligen symbolischen Meister¬
werken angenommen, die hier in ihren Originalen zu bewundern sind. Mozart
am Klavier und ein rosenwangiger Plockhorstengel, der ihn mit Lorbeer kränzt.
OderMozart, wie er mit irgendeiner großen pathetischenKompositionsgebärdevoreiner
Kommission prachtvoll gekleideter, zu diesem Zweck offenbar feierlich geladener
Augenzeugen stirbt. (Er starb, liebe Freunde, mit einem bitteren Wort, das
Osterreich noch ein paar Jahrhunderte in den Ohren klingen sollte: „Gerade jetzt
soll ich gehen, wo ich ruhig leben könnte, gerade jetzt meine Kunst verlassen, wo
ich nicht mehr Sklave der Mode und der Spekulation bin.") Aber wie gesagt,
das Museum ist in dieser Hinsicht vollkommen. Und höchstens die lebensgroßen
Porträts aller seiner Kastellane fehlen ....

In Berlin und in München bilden wir, Regisseure, Kritiker, Musikanten,
Musikwissenschaftler, zwei große Gruppen, die dem schneller zum Leben verhelfen
wollen, was — rasend wächst die Fülle der Zeichen, die dafür sprechen — kommen
wird: eine neue Epoche Mozarts. Die erste vielleicht, die seine Welt ganz umfaßt.
Weil unsere Festspiele, seit Jahren sorglich gehegt, immer mehr zu diesem Fühlen
der Zeit sprechen, weil wir die besten Mozartausgaben, die besten Regiepläne für
seine Opern haben, wird Österreich eifersüchtig; erinnert sich der Unterlassungs¬
sünden von einst und von heute, läßt aber die Sammlung klassischer Erinnerungen
an ihn in diesem unglaublichen Wust von Kitsch und Schund verkommen, ver¬
nachlässigt ihn an seiner Hofoper ebenso, wie es ihn vor dreißig Jahren ver¬
nachlässigte. Und wird trotzdem eifersüchtig auf uns. Hermann Bahr, der auch
hier wieder einmal die Konjunktur ein wenig schneller erkannt hat als seine Lands¬
leute, schilt uns, weil wir ihn seiner Heimat entfremden. Mit gutem Grunde:
wir können diese Sammlung (die eine von Mozart bitter gehaßte Stadt birgt)
nicht an uns reißen. Können und wollen es nicht. Werden aber durch bitteren
Spott dafür sorgen, daß Osterreich aus dieser Provinz seines heiteren Traumreiches
gerüttelt wird. Durch Spott und Kritik nicht nur, sondern vor allem durch die
positiven Taten unserer Bemühungen um die Kunst eines Genius, der bisher
zwischen Jnn und Leitha tauben Ohren gesungen hat. Und dann wird vielleicht
sich das unwiderruflich vollzogen haben, was der kluge Wiener heute fürchtet:
die Entführung Mozarts nach Deutschland.




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[0528] Mozart, Österreich und wir Zur weiteren Vervollständigung schlage ich vor: eine vollständige Sammlung von Grammophonausnahmen der gangbarsten allgemeinen Redensarten über Mozart. Die vorhandenen, von bildender Kunst geschaffenen Erinnerungen zu vervollständigen, ist nicht mehr möglich. Denn es hängen an den Wänden von Leopold Mozarts Wohnzimmer die Photographien aller Mitglieder der k. k. Hofoper in Wien, die. ich glaube vor siebenundzwanzig Jahren. Mozart gesungen haben. Ebenso fehlt es nicht an einem lebensgroßen Porträt des Herrn Sternecker, der bekanntlich einmal Präsident des Mozarteums war. Und außer¬ dem hat sich die neuere Kunst des Meisters in unzähligen symbolischen Meister¬ werken angenommen, die hier in ihren Originalen zu bewundern sind. Mozart am Klavier und ein rosenwangiger Plockhorstengel, der ihn mit Lorbeer kränzt. OderMozart, wie er mit irgendeiner großen pathetischenKompositionsgebärdevoreiner Kommission prachtvoll gekleideter, zu diesem Zweck offenbar feierlich geladener Augenzeugen stirbt. (Er starb, liebe Freunde, mit einem bitteren Wort, das Osterreich noch ein paar Jahrhunderte in den Ohren klingen sollte: „Gerade jetzt soll ich gehen, wo ich ruhig leben könnte, gerade jetzt meine Kunst verlassen, wo ich nicht mehr Sklave der Mode und der Spekulation bin.") Aber wie gesagt, das Museum ist in dieser Hinsicht vollkommen. Und höchstens die lebensgroßen Porträts aller seiner Kastellane fehlen .... In Berlin und in München bilden wir, Regisseure, Kritiker, Musikanten, Musikwissenschaftler, zwei große Gruppen, die dem schneller zum Leben verhelfen wollen, was — rasend wächst die Fülle der Zeichen, die dafür sprechen — kommen wird: eine neue Epoche Mozarts. Die erste vielleicht, die seine Welt ganz umfaßt. Weil unsere Festspiele, seit Jahren sorglich gehegt, immer mehr zu diesem Fühlen der Zeit sprechen, weil wir die besten Mozartausgaben, die besten Regiepläne für seine Opern haben, wird Österreich eifersüchtig; erinnert sich der Unterlassungs¬ sünden von einst und von heute, läßt aber die Sammlung klassischer Erinnerungen an ihn in diesem unglaublichen Wust von Kitsch und Schund verkommen, ver¬ nachlässigt ihn an seiner Hofoper ebenso, wie es ihn vor dreißig Jahren ver¬ nachlässigte. Und wird trotzdem eifersüchtig auf uns. Hermann Bahr, der auch hier wieder einmal die Konjunktur ein wenig schneller erkannt hat als seine Lands¬ leute, schilt uns, weil wir ihn seiner Heimat entfremden. Mit gutem Grunde: wir können diese Sammlung (die eine von Mozart bitter gehaßte Stadt birgt) nicht an uns reißen. Können und wollen es nicht. Werden aber durch bitteren Spott dafür sorgen, daß Osterreich aus dieser Provinz seines heiteren Traumreiches gerüttelt wird. Durch Spott und Kritik nicht nur, sondern vor allem durch die positiven Taten unserer Bemühungen um die Kunst eines Genius, der bisher zwischen Jnn und Leitha tauben Ohren gesungen hat. Und dann wird vielleicht sich das unwiderruflich vollzogen haben, was der kluge Wiener heute fürchtet: die Entführung Mozarts nach Deutschland.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/528>, abgerufen am 26.07.2024.