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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Wilhelm Driewer, der Kinderfreund

Sie machte den Tisch mit Brot, Butter und Milch zurecht, holte Tassen
heran und brüske einen köstlich duftenden Kaffee auf. Dann rief sie ihn, und
als er sich über ihr Tun wunderte, sagte sie lächelnd, sie wollten es halten wie
damals, daß er ihr Gast sei, er möge zugreifen, es sei ein sauberes Brot,
welches sie heute gebacken habe. Es war bitter für sie, zu denken, daß er ihr
Gast am Tische war, während er das Kind noch auf dem Arm hielt, welches
ihm glich, so daß ihr einfallen mußte, sie säßen wie eine kleine glückliche Familie
in ihrem Hause im frühen Schatten der runden Berge.

Draußen fing der Tag an zu grauen, da mußte sie ihn erinnern, daß er
als heimlicher Gast bei ihr war und daß er ungesehen an den Nachbarhäusern
vorbei müsse. Sie hätte ihn halten mögen mit ihren Armen fest wie Stricke
und mußte inwendig doch noch mehr Kraft haben, indem sie ihre Arme an
sich hielt, "Es ist nicht für dich." sprach sie sich Kraft zu. "Was läge an
dir? Es ist für dein Kind und für Maltha Driewer ihr Glück."

Sie nahm ihm das Kind ab und brachte ihn unter die Tür. Als er
draußen den Tag sah, fiel ihn: ein, mit welchen Wünschen ihn die Nacht in
dieses Haus gebracht hatte. "Nita, ich weiß nicht, soll ich dir böse sein, weil
du mich genarrt hast, oder soll ich dir danken?"

"Du bist nur heute so wenig schuldig gewesen wie je," antwortete das
Mädchen, "was ich tat, tat ich für mein Kind und für Martha. Gehe heim
und danke nur deiner Frau, daß sie dir Rika mitgegeben hat, sage ihr, Nita
habe dich bewahrt und schicke dich ihr zurück."

Sie schob ihn durch die Tür und schloß sie hinter ihm. In der Kammer
legte sie ihr Kind in das große Bett, das sie mit ihm teilte, deckte es zu und
wartete, bis es einschlief. Dann kniete sie vor dem Bett nieder und weinte in
die Kissen. Sie weinte wie vor Übermüdung, wie vor Einsamkeit. Sie mußte
sich noch einmal ausweinen um alles, was sie vor zwei Jahren beweint hatte:
darum, daß sie a',s Mädchen in das Leben gestellt war und daß es doch v.in
ihr gefordert wurde, geistig stärker als ein Mann zu sein, stärker als ein Wilhelm
Dritwer. Sie weinte noch einmal wie aus Kummer darum, daß sie ihn lieben
mußte, ihm alles geben zu müssen, um wenig wieder zu haben, nicht einmal
das an ihm zu sehen, was einen Mann der Frau liebenswert macht: Stärke
und Mannestat. Sie weinte endlich darum, daß sie all das Geringe von ihm
dachte, von ihm, der gut wie keiner neben ihm war, weil ein Kind Gewalt
über ihn hatte. Sie streichelte ihren schlafenden Knaben und dachte: "Ich
wußte es, daß keine Sünde über ihn kommen konnte, wenn ich ihm das Kind
brachte." Und dann dankte sie Gott, dankte ihm für die Kraft, die er ihr
gegeben hatte, ihm das Kind heranzutragen.

Sie schloß in dieser Nacht mit ihrer Liebe ab. War er damals von ihr
gegangen, so hatte sie noch an ihm hängen müssen, weil sie sich nicht von ihm
hatte loslösen können. Heute hatte sie die Kraft gehabt, ihn von sich weg zu
schicken, und einmal gesiegt über sich selbst war sie sich ihres Sieges für immer


Wilhelm Driewer, der Kinderfreund

Sie machte den Tisch mit Brot, Butter und Milch zurecht, holte Tassen
heran und brüske einen köstlich duftenden Kaffee auf. Dann rief sie ihn, und
als er sich über ihr Tun wunderte, sagte sie lächelnd, sie wollten es halten wie
damals, daß er ihr Gast sei, er möge zugreifen, es sei ein sauberes Brot,
welches sie heute gebacken habe. Es war bitter für sie, zu denken, daß er ihr
Gast am Tische war, während er das Kind noch auf dem Arm hielt, welches
ihm glich, so daß ihr einfallen mußte, sie säßen wie eine kleine glückliche Familie
in ihrem Hause im frühen Schatten der runden Berge.

Draußen fing der Tag an zu grauen, da mußte sie ihn erinnern, daß er
als heimlicher Gast bei ihr war und daß er ungesehen an den Nachbarhäusern
vorbei müsse. Sie hätte ihn halten mögen mit ihren Armen fest wie Stricke
und mußte inwendig doch noch mehr Kraft haben, indem sie ihre Arme an
sich hielt, „Es ist nicht für dich." sprach sie sich Kraft zu. „Was läge an
dir? Es ist für dein Kind und für Maltha Driewer ihr Glück."

Sie nahm ihm das Kind ab und brachte ihn unter die Tür. Als er
draußen den Tag sah, fiel ihn: ein, mit welchen Wünschen ihn die Nacht in
dieses Haus gebracht hatte. „Nita, ich weiß nicht, soll ich dir böse sein, weil
du mich genarrt hast, oder soll ich dir danken?"

„Du bist nur heute so wenig schuldig gewesen wie je," antwortete das
Mädchen, „was ich tat, tat ich für mein Kind und für Martha. Gehe heim
und danke nur deiner Frau, daß sie dir Rika mitgegeben hat, sage ihr, Nita
habe dich bewahrt und schicke dich ihr zurück."

Sie schob ihn durch die Tür und schloß sie hinter ihm. In der Kammer
legte sie ihr Kind in das große Bett, das sie mit ihm teilte, deckte es zu und
wartete, bis es einschlief. Dann kniete sie vor dem Bett nieder und weinte in
die Kissen. Sie weinte wie vor Übermüdung, wie vor Einsamkeit. Sie mußte
sich noch einmal ausweinen um alles, was sie vor zwei Jahren beweint hatte:
darum, daß sie a',s Mädchen in das Leben gestellt war und daß es doch v.in
ihr gefordert wurde, geistig stärker als ein Mann zu sein, stärker als ein Wilhelm
Dritwer. Sie weinte noch einmal wie aus Kummer darum, daß sie ihn lieben
mußte, ihm alles geben zu müssen, um wenig wieder zu haben, nicht einmal
das an ihm zu sehen, was einen Mann der Frau liebenswert macht: Stärke
und Mannestat. Sie weinte endlich darum, daß sie all das Geringe von ihm
dachte, von ihm, der gut wie keiner neben ihm war, weil ein Kind Gewalt
über ihn hatte. Sie streichelte ihren schlafenden Knaben und dachte: „Ich
wußte es, daß keine Sünde über ihn kommen konnte, wenn ich ihm das Kind
brachte." Und dann dankte sie Gott, dankte ihm für die Kraft, die er ihr
gegeben hatte, ihm das Kind heranzutragen.

Sie schloß in dieser Nacht mit ihrer Liebe ab. War er damals von ihr
gegangen, so hatte sie noch an ihm hängen müssen, weil sie sich nicht von ihm
hatte loslösen können. Heute hatte sie die Kraft gehabt, ihn von sich weg zu
schicken, und einmal gesiegt über sich selbst war sie sich ihres Sieges für immer


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[0524] Wilhelm Driewer, der Kinderfreund Sie machte den Tisch mit Brot, Butter und Milch zurecht, holte Tassen heran und brüske einen köstlich duftenden Kaffee auf. Dann rief sie ihn, und als er sich über ihr Tun wunderte, sagte sie lächelnd, sie wollten es halten wie damals, daß er ihr Gast sei, er möge zugreifen, es sei ein sauberes Brot, welches sie heute gebacken habe. Es war bitter für sie, zu denken, daß er ihr Gast am Tische war, während er das Kind noch auf dem Arm hielt, welches ihm glich, so daß ihr einfallen mußte, sie säßen wie eine kleine glückliche Familie in ihrem Hause im frühen Schatten der runden Berge. Draußen fing der Tag an zu grauen, da mußte sie ihn erinnern, daß er als heimlicher Gast bei ihr war und daß er ungesehen an den Nachbarhäusern vorbei müsse. Sie hätte ihn halten mögen mit ihren Armen fest wie Stricke und mußte inwendig doch noch mehr Kraft haben, indem sie ihre Arme an sich hielt, „Es ist nicht für dich." sprach sie sich Kraft zu. „Was läge an dir? Es ist für dein Kind und für Maltha Driewer ihr Glück." Sie nahm ihm das Kind ab und brachte ihn unter die Tür. Als er draußen den Tag sah, fiel ihn: ein, mit welchen Wünschen ihn die Nacht in dieses Haus gebracht hatte. „Nita, ich weiß nicht, soll ich dir böse sein, weil du mich genarrt hast, oder soll ich dir danken?" „Du bist nur heute so wenig schuldig gewesen wie je," antwortete das Mädchen, „was ich tat, tat ich für mein Kind und für Martha. Gehe heim und danke nur deiner Frau, daß sie dir Rika mitgegeben hat, sage ihr, Nita habe dich bewahrt und schicke dich ihr zurück." Sie schob ihn durch die Tür und schloß sie hinter ihm. In der Kammer legte sie ihr Kind in das große Bett, das sie mit ihm teilte, deckte es zu und wartete, bis es einschlief. Dann kniete sie vor dem Bett nieder und weinte in die Kissen. Sie weinte wie vor Übermüdung, wie vor Einsamkeit. Sie mußte sich noch einmal ausweinen um alles, was sie vor zwei Jahren beweint hatte: darum, daß sie a',s Mädchen in das Leben gestellt war und daß es doch v.in ihr gefordert wurde, geistig stärker als ein Mann zu sein, stärker als ein Wilhelm Dritwer. Sie weinte noch einmal wie aus Kummer darum, daß sie ihn lieben mußte, ihm alles geben zu müssen, um wenig wieder zu haben, nicht einmal das an ihm zu sehen, was einen Mann der Frau liebenswert macht: Stärke und Mannestat. Sie weinte endlich darum, daß sie all das Geringe von ihm dachte, von ihm, der gut wie keiner neben ihm war, weil ein Kind Gewalt über ihn hatte. Sie streichelte ihren schlafenden Knaben und dachte: „Ich wußte es, daß keine Sünde über ihn kommen konnte, wenn ich ihm das Kind brachte." Und dann dankte sie Gott, dankte ihm für die Kraft, die er ihr gegeben hatte, ihm das Kind heranzutragen. Sie schloß in dieser Nacht mit ihrer Liebe ab. War er damals von ihr gegangen, so hatte sie noch an ihm hängen müssen, weil sie sich nicht von ihm hatte loslösen können. Heute hatte sie die Kraft gehabt, ihn von sich weg zu schicken, und einmal gesiegt über sich selbst war sie sich ihres Sieges für immer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/524>, abgerufen am 25.07.2024.