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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Wilhelm Driewer, der Ainderfreund

Sie wollte sich nicht ziehen lassen. "Wilhelm!" sagte sie.

Es kam ihm wie ein Notschrei vor. "Was glaubst du denn, was es ist?"
fragte er ungeduldig.

"Nichts," antwortete sie endlich, und als sie ihm den Nichtweg hinunter
folgen wollte, war es, als müsse sie, indem sie die Füße hochhob, Wurzeln aus
der Erde ziehen, so hatte sie wie ein Baum still dagestanden.

Sie hatte ihn mit ihrem gänzlichen Zurückbesinnen auf sich selbst ein wenig
aus dem Taumel gebracht, aber sie sagte sich, er müsse so wach werden wie sie,
doch sie brachte das Wort nicht heraus, das ihm heimgeleuchtet hätte, wie ihr
das Licht aus Marthas Kindeskammer heimgeleuchtet hatte.

Sie überhörte das Schlagen der Turmuhr hinter den Bergen, als sie ihr
Haus aufschloß und Wilhelm Driewer mit sich kommen ließ. Ihre Ohren
waren wie taub, ihre Glieder wie gelähmt. Endlich sag'e sie: "Bleib hier,
daß ich erst Licht mache, der Heuwagen steht auf der Teele, der noch nichz
abgestochen ist."

Sie trug das Stallicht in gehobener Hand heran. Wilhelm packte sich
ein paar Arme voll Heu vom Wagen auf die Decke in eine leere Ecke ab.
wo es wie Beleben lag, und er warf sich hinein, sagte mit wachen Augen,
er sei müde vom Fest, und ob sie nicht auch müde sei und die Augen mit ihm
menn wolle.

"Gleich," antwortete sie. Sie mußte ihn noch einmal ansehen, um zu
fühlen, wie lieb sie ihn hatte. Aber auf der Berghöhe eben our über ihrer
Liebe ein Licht aufgegangen, welches ihr zeigte, welchen Weg sie zu
gehen hatte.

Wilhelm Driewer wurde unruhig in seinem Heu, sprang auf und wollte
das Mädchen zu sich herabziehen. "Wenn du dich jetzt zierig machst, bin ich
stärker als du!" drohte er wild.

Sie besänftigte ihn, indem sie. die Hand auf seiue Schulter legend, ihn
von sich abhielt. "Ich sage dir mein Wort, daß ich gleich wieder da bin.
wenn du mich jetzt für einen Augenblick auf die Stube gehen läßt." bat sie
ihn. Da ließ er sie los.

Sie ging, zögerte noch einmal in der Tür nach ihm zurück und trat
hinein. Eine Stimme tönte aus der Kammer zu Wilhelm Driewer herüber,
nicht Ritas Stimme, sie war nur ein Laut,, der nach einem Wort verlangte
und doch noch keines zu geben wußte. Dann kam Rika heraus und trug ihr
Kind auf dem Arm. Sie setzte sich auf die Deichsel des Heuwagens Wilhelm
Driewer gegenüber, legte den Knaben an ihre Brust und sagte: "Er hat
am Abend meiner entbehren müssen, und nun muß er vorab zu seinem Recht
kommen."

Wilhelm Driewer widersprach dem nicht. Er hörte zu, wie Rika von
ihrem Kinde erzählte, von seinem Heranwachsen und Gedeihen, von seinen Ein-
fällen und allem Glück.


Wilhelm Driewer, der Ainderfreund

Sie wollte sich nicht ziehen lassen. „Wilhelm!" sagte sie.

Es kam ihm wie ein Notschrei vor. „Was glaubst du denn, was es ist?"
fragte er ungeduldig.

„Nichts," antwortete sie endlich, und als sie ihm den Nichtweg hinunter
folgen wollte, war es, als müsse sie, indem sie die Füße hochhob, Wurzeln aus
der Erde ziehen, so hatte sie wie ein Baum still dagestanden.

Sie hatte ihn mit ihrem gänzlichen Zurückbesinnen auf sich selbst ein wenig
aus dem Taumel gebracht, aber sie sagte sich, er müsse so wach werden wie sie,
doch sie brachte das Wort nicht heraus, das ihm heimgeleuchtet hätte, wie ihr
das Licht aus Marthas Kindeskammer heimgeleuchtet hatte.

Sie überhörte das Schlagen der Turmuhr hinter den Bergen, als sie ihr
Haus aufschloß und Wilhelm Driewer mit sich kommen ließ. Ihre Ohren
waren wie taub, ihre Glieder wie gelähmt. Endlich sag'e sie: „Bleib hier,
daß ich erst Licht mache, der Heuwagen steht auf der Teele, der noch nichz
abgestochen ist."

Sie trug das Stallicht in gehobener Hand heran. Wilhelm packte sich
ein paar Arme voll Heu vom Wagen auf die Decke in eine leere Ecke ab.
wo es wie Beleben lag, und er warf sich hinein, sagte mit wachen Augen,
er sei müde vom Fest, und ob sie nicht auch müde sei und die Augen mit ihm
menn wolle.

„Gleich," antwortete sie. Sie mußte ihn noch einmal ansehen, um zu
fühlen, wie lieb sie ihn hatte. Aber auf der Berghöhe eben our über ihrer
Liebe ein Licht aufgegangen, welches ihr zeigte, welchen Weg sie zu
gehen hatte.

Wilhelm Driewer wurde unruhig in seinem Heu, sprang auf und wollte
das Mädchen zu sich herabziehen. „Wenn du dich jetzt zierig machst, bin ich
stärker als du!" drohte er wild.

Sie besänftigte ihn, indem sie. die Hand auf seiue Schulter legend, ihn
von sich abhielt. „Ich sage dir mein Wort, daß ich gleich wieder da bin.
wenn du mich jetzt für einen Augenblick auf die Stube gehen läßt." bat sie
ihn. Da ließ er sie los.

Sie ging, zögerte noch einmal in der Tür nach ihm zurück und trat
hinein. Eine Stimme tönte aus der Kammer zu Wilhelm Driewer herüber,
nicht Ritas Stimme, sie war nur ein Laut,, der nach einem Wort verlangte
und doch noch keines zu geben wußte. Dann kam Rika heraus und trug ihr
Kind auf dem Arm. Sie setzte sich auf die Deichsel des Heuwagens Wilhelm
Driewer gegenüber, legte den Knaben an ihre Brust und sagte: „Er hat
am Abend meiner entbehren müssen, und nun muß er vorab zu seinem Recht
kommen."

Wilhelm Driewer widersprach dem nicht. Er hörte zu, wie Rika von
ihrem Kinde erzählte, von seinem Heranwachsen und Gedeihen, von seinen Ein-
fällen und allem Glück.


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[0521] Wilhelm Driewer, der Ainderfreund Sie wollte sich nicht ziehen lassen. „Wilhelm!" sagte sie. Es kam ihm wie ein Notschrei vor. „Was glaubst du denn, was es ist?" fragte er ungeduldig. „Nichts," antwortete sie endlich, und als sie ihm den Nichtweg hinunter folgen wollte, war es, als müsse sie, indem sie die Füße hochhob, Wurzeln aus der Erde ziehen, so hatte sie wie ein Baum still dagestanden. Sie hatte ihn mit ihrem gänzlichen Zurückbesinnen auf sich selbst ein wenig aus dem Taumel gebracht, aber sie sagte sich, er müsse so wach werden wie sie, doch sie brachte das Wort nicht heraus, das ihm heimgeleuchtet hätte, wie ihr das Licht aus Marthas Kindeskammer heimgeleuchtet hatte. Sie überhörte das Schlagen der Turmuhr hinter den Bergen, als sie ihr Haus aufschloß und Wilhelm Driewer mit sich kommen ließ. Ihre Ohren waren wie taub, ihre Glieder wie gelähmt. Endlich sag'e sie: „Bleib hier, daß ich erst Licht mache, der Heuwagen steht auf der Teele, der noch nichz abgestochen ist." Sie trug das Stallicht in gehobener Hand heran. Wilhelm packte sich ein paar Arme voll Heu vom Wagen auf die Decke in eine leere Ecke ab. wo es wie Beleben lag, und er warf sich hinein, sagte mit wachen Augen, er sei müde vom Fest, und ob sie nicht auch müde sei und die Augen mit ihm menn wolle. „Gleich," antwortete sie. Sie mußte ihn noch einmal ansehen, um zu fühlen, wie lieb sie ihn hatte. Aber auf der Berghöhe eben our über ihrer Liebe ein Licht aufgegangen, welches ihr zeigte, welchen Weg sie zu gehen hatte. Wilhelm Driewer wurde unruhig in seinem Heu, sprang auf und wollte das Mädchen zu sich herabziehen. „Wenn du dich jetzt zierig machst, bin ich stärker als du!" drohte er wild. Sie besänftigte ihn, indem sie. die Hand auf seiue Schulter legend, ihn von sich abhielt. „Ich sage dir mein Wort, daß ich gleich wieder da bin. wenn du mich jetzt für einen Augenblick auf die Stube gehen läßt." bat sie ihn. Da ließ er sie los. Sie ging, zögerte noch einmal in der Tür nach ihm zurück und trat hinein. Eine Stimme tönte aus der Kammer zu Wilhelm Driewer herüber, nicht Ritas Stimme, sie war nur ein Laut,, der nach einem Wort verlangte und doch noch keines zu geben wußte. Dann kam Rika heraus und trug ihr Kind auf dem Arm. Sie setzte sich auf die Deichsel des Heuwagens Wilhelm Driewer gegenüber, legte den Knaben an ihre Brust und sagte: „Er hat am Abend meiner entbehren müssen, und nun muß er vorab zu seinem Recht kommen." Wilhelm Driewer widersprach dem nicht. Er hörte zu, wie Rika von ihrem Kinde erzählte, von seinem Heranwachsen und Gedeihen, von seinen Ein- fällen und allem Glück.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/521>, abgerufen am 25.07.2024.