Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Wilhelm Driewer, der Rinderfreund

Die Lampen waren fern und die weißen verschleierten Sterne gaben kein
Licht, sie standen wie eine Person in der Dunkelheit, und Nita wunderte sich,
daß es nicht hell um sie wurde bei ihrer ungehaltenen brennenden Liebe.

Rika machte sich eine neue Weltordnung in dieser Stunde. Danach gab
es keine Pflicht und keinen Stolz, und, was sie tat, war groß und frei und
einzig.

O du glückliche, sternenblasse Nacht, in der es hell um sie war, während
es in weiter Welt vielleicht Menschen gab, die, auf den Knien liegend, ein
einziges Licht von Gott erbaten.

Wenn sie sich nicht besonders küßten, so geschah es, weil sie sich lachend
sagten, es solle alles wie vor zwei Jahren sein, wo sie mit klopfendem Herzen
und Hand in Hand heimgegangen, bis zur Haustür Nikas. wo sie ihn um
zwei Uhr in der Nacht als Gast eingeladen habe. Sie war heilte noch freier
als damals, weil sie das Haus allein inne hatte, damals lebten die Alten
noch, und der Vater hatte am Morgen nach jener Tierschau die Katze vom
Milchnapf gejagt, weil sie in der Nacht ihre Pflicht nicht getan hatte, wie er
sagte, indem sie die Mäuse auf der Heudielc förmlich habe tanzen lassen.

Sie gingen den dunklen Tannenweg nach Hause, der von Heimkehrenden
bewandert war, so daß sie nur selten ihre Hände ergreifen und stumme Sprache
halten konnten. Als sie an der Stadt vorbeigingen, schlug es ein Viertel vor
zwei vom Turme. Hinter der Stadt hatten sie keinen Weggesellen mehr.
Der Kirchhof wollte sie noch an das Ende aller Freuden gemahnen, aber sie
nahmen das nicht ernst. Es lag viel Duft über den Roggenfeldern, der machte
die Luft so leicht, daß die beiden meinen mochten, der steigende Weg habe
plötzlich Gefälle, so frei schritten sie dahin. Nun waren sie in den Bergen.
Vom höchsten Wegepunkt hatten sie einen Blick über ihre Ortschaft im Tale;
Rikas Haus lag unten so nah, daß man es mit einem Stein von hier aus
treffen konnte. Wenn es in der Stadt zwei Uhr schlug, würden sie vor der
Tür sein. Es gab einen Richtweg seitlich durch das Strauchwerk hinunter.

Da, ehe sie hinunterstiegen, besann sich Nita und warf einen Blick über
die Ortschaft. Ihre Hand zuckte in der Wilhelm Driewers.

"Es brennt ein Licht in eurem Hofe," sagte sie laut. Ihr Gesicht ver¬
änderte sich und wurde fand- und glanzlos wi: die Sterne, aber die Dunkelheit
zeigte das nicht.

Wilhelm Driewer sah nach seinem Hof hinunter. Er zweifelte einen
Augenblick an dem Licht, dann fiel ihm die Erklärung ein.

"Die Frau hielt sich Knecht und Magd daheim, weil sie glaubte, die Sau
werfe Ferkel heute Nacht. Weiter ist es nichts."

"Wenn es doch um was anderes ginge?" wendete Nita ein. Das Licht
halte ihr den Kopf klargemacht. "Martha, Marthal" rief es in ihr. Seine
Hand, die sie zog, lag jetzt wie eine Fessel um ihr Handgelenk.

"Es ist nichts anderes," redete Wilhelm Driewer leicht.


Wilhelm Driewer, der Rinderfreund

Die Lampen waren fern und die weißen verschleierten Sterne gaben kein
Licht, sie standen wie eine Person in der Dunkelheit, und Nita wunderte sich,
daß es nicht hell um sie wurde bei ihrer ungehaltenen brennenden Liebe.

Rika machte sich eine neue Weltordnung in dieser Stunde. Danach gab
es keine Pflicht und keinen Stolz, und, was sie tat, war groß und frei und
einzig.

O du glückliche, sternenblasse Nacht, in der es hell um sie war, während
es in weiter Welt vielleicht Menschen gab, die, auf den Knien liegend, ein
einziges Licht von Gott erbaten.

Wenn sie sich nicht besonders küßten, so geschah es, weil sie sich lachend
sagten, es solle alles wie vor zwei Jahren sein, wo sie mit klopfendem Herzen
und Hand in Hand heimgegangen, bis zur Haustür Nikas. wo sie ihn um
zwei Uhr in der Nacht als Gast eingeladen habe. Sie war heilte noch freier
als damals, weil sie das Haus allein inne hatte, damals lebten die Alten
noch, und der Vater hatte am Morgen nach jener Tierschau die Katze vom
Milchnapf gejagt, weil sie in der Nacht ihre Pflicht nicht getan hatte, wie er
sagte, indem sie die Mäuse auf der Heudielc förmlich habe tanzen lassen.

Sie gingen den dunklen Tannenweg nach Hause, der von Heimkehrenden
bewandert war, so daß sie nur selten ihre Hände ergreifen und stumme Sprache
halten konnten. Als sie an der Stadt vorbeigingen, schlug es ein Viertel vor
zwei vom Turme. Hinter der Stadt hatten sie keinen Weggesellen mehr.
Der Kirchhof wollte sie noch an das Ende aller Freuden gemahnen, aber sie
nahmen das nicht ernst. Es lag viel Duft über den Roggenfeldern, der machte
die Luft so leicht, daß die beiden meinen mochten, der steigende Weg habe
plötzlich Gefälle, so frei schritten sie dahin. Nun waren sie in den Bergen.
Vom höchsten Wegepunkt hatten sie einen Blick über ihre Ortschaft im Tale;
Rikas Haus lag unten so nah, daß man es mit einem Stein von hier aus
treffen konnte. Wenn es in der Stadt zwei Uhr schlug, würden sie vor der
Tür sein. Es gab einen Richtweg seitlich durch das Strauchwerk hinunter.

Da, ehe sie hinunterstiegen, besann sich Nita und warf einen Blick über
die Ortschaft. Ihre Hand zuckte in der Wilhelm Driewers.

„Es brennt ein Licht in eurem Hofe," sagte sie laut. Ihr Gesicht ver¬
änderte sich und wurde fand- und glanzlos wi: die Sterne, aber die Dunkelheit
zeigte das nicht.

Wilhelm Driewer sah nach seinem Hof hinunter. Er zweifelte einen
Augenblick an dem Licht, dann fiel ihm die Erklärung ein.

„Die Frau hielt sich Knecht und Magd daheim, weil sie glaubte, die Sau
werfe Ferkel heute Nacht. Weiter ist es nichts."

„Wenn es doch um was anderes ginge?" wendete Nita ein. Das Licht
halte ihr den Kopf klargemacht. „Martha, Marthal" rief es in ihr. Seine
Hand, die sie zog, lag jetzt wie eine Fessel um ihr Handgelenk.

„Es ist nichts anderes," redete Wilhelm Driewer leicht.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0520" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328620"/>
          <fw type="header" place="top"> Wilhelm Driewer, der Rinderfreund</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2074"> Die Lampen waren fern und die weißen verschleierten Sterne gaben kein<lb/>
Licht, sie standen wie eine Person in der Dunkelheit, und Nita wunderte sich,<lb/>
daß es nicht hell um sie wurde bei ihrer ungehaltenen brennenden Liebe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2075"> Rika machte sich eine neue Weltordnung in dieser Stunde. Danach gab<lb/>
es keine Pflicht und keinen Stolz, und, was sie tat, war groß und frei und<lb/>
einzig.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2076"> O du glückliche, sternenblasse Nacht, in der es hell um sie war, während<lb/>
es in weiter Welt vielleicht Menschen gab, die, auf den Knien liegend, ein<lb/>
einziges Licht von Gott erbaten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2077"> Wenn sie sich nicht besonders küßten, so geschah es, weil sie sich lachend<lb/>
sagten, es solle alles wie vor zwei Jahren sein, wo sie mit klopfendem Herzen<lb/>
und Hand in Hand heimgegangen, bis zur Haustür Nikas. wo sie ihn um<lb/>
zwei Uhr in der Nacht als Gast eingeladen habe. Sie war heilte noch freier<lb/>
als damals, weil sie das Haus allein inne hatte, damals lebten die Alten<lb/>
noch, und der Vater hatte am Morgen nach jener Tierschau die Katze vom<lb/>
Milchnapf gejagt, weil sie in der Nacht ihre Pflicht nicht getan hatte, wie er<lb/>
sagte, indem sie die Mäuse auf der Heudielc förmlich habe tanzen lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2078"> Sie gingen den dunklen Tannenweg nach Hause, der von Heimkehrenden<lb/>
bewandert war, so daß sie nur selten ihre Hände ergreifen und stumme Sprache<lb/>
halten konnten. Als sie an der Stadt vorbeigingen, schlug es ein Viertel vor<lb/>
zwei vom Turme. Hinter der Stadt hatten sie keinen Weggesellen mehr.<lb/>
Der Kirchhof wollte sie noch an das Ende aller Freuden gemahnen, aber sie<lb/>
nahmen das nicht ernst. Es lag viel Duft über den Roggenfeldern, der machte<lb/>
die Luft so leicht, daß die beiden meinen mochten, der steigende Weg habe<lb/>
plötzlich Gefälle, so frei schritten sie dahin. Nun waren sie in den Bergen.<lb/>
Vom höchsten Wegepunkt hatten sie einen Blick über ihre Ortschaft im Tale;<lb/>
Rikas Haus lag unten so nah, daß man es mit einem Stein von hier aus<lb/>
treffen konnte. Wenn es in der Stadt zwei Uhr schlug, würden sie vor der<lb/>
Tür sein.  Es gab einen Richtweg seitlich durch das Strauchwerk hinunter.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2079"> Da, ehe sie hinunterstiegen, besann sich Nita und warf einen Blick über<lb/>
die Ortschaft.  Ihre Hand zuckte in der Wilhelm Driewers.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2080"> &#x201E;Es brennt ein Licht in eurem Hofe," sagte sie laut. Ihr Gesicht ver¬<lb/>
änderte sich und wurde fand- und glanzlos wi: die Sterne, aber die Dunkelheit<lb/>
zeigte das nicht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2081"> Wilhelm Driewer sah nach seinem Hof hinunter. Er zweifelte einen<lb/>
Augenblick an dem Licht, dann fiel ihm die Erklärung ein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2082"> &#x201E;Die Frau hielt sich Knecht und Magd daheim, weil sie glaubte, die Sau<lb/>
werfe Ferkel heute Nacht.  Weiter ist es nichts."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2083"> &#x201E;Wenn es doch um was anderes ginge?" wendete Nita ein. Das Licht<lb/>
halte ihr den Kopf klargemacht. &#x201E;Martha, Marthal" rief es in ihr. Seine<lb/>
Hand, die sie zog, lag jetzt wie eine Fessel um ihr Handgelenk.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2084"> &#x201E;Es ist nichts anderes," redete Wilhelm Driewer leicht.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0520] Wilhelm Driewer, der Rinderfreund Die Lampen waren fern und die weißen verschleierten Sterne gaben kein Licht, sie standen wie eine Person in der Dunkelheit, und Nita wunderte sich, daß es nicht hell um sie wurde bei ihrer ungehaltenen brennenden Liebe. Rika machte sich eine neue Weltordnung in dieser Stunde. Danach gab es keine Pflicht und keinen Stolz, und, was sie tat, war groß und frei und einzig. O du glückliche, sternenblasse Nacht, in der es hell um sie war, während es in weiter Welt vielleicht Menschen gab, die, auf den Knien liegend, ein einziges Licht von Gott erbaten. Wenn sie sich nicht besonders küßten, so geschah es, weil sie sich lachend sagten, es solle alles wie vor zwei Jahren sein, wo sie mit klopfendem Herzen und Hand in Hand heimgegangen, bis zur Haustür Nikas. wo sie ihn um zwei Uhr in der Nacht als Gast eingeladen habe. Sie war heilte noch freier als damals, weil sie das Haus allein inne hatte, damals lebten die Alten noch, und der Vater hatte am Morgen nach jener Tierschau die Katze vom Milchnapf gejagt, weil sie in der Nacht ihre Pflicht nicht getan hatte, wie er sagte, indem sie die Mäuse auf der Heudielc förmlich habe tanzen lassen. Sie gingen den dunklen Tannenweg nach Hause, der von Heimkehrenden bewandert war, so daß sie nur selten ihre Hände ergreifen und stumme Sprache halten konnten. Als sie an der Stadt vorbeigingen, schlug es ein Viertel vor zwei vom Turme. Hinter der Stadt hatten sie keinen Weggesellen mehr. Der Kirchhof wollte sie noch an das Ende aller Freuden gemahnen, aber sie nahmen das nicht ernst. Es lag viel Duft über den Roggenfeldern, der machte die Luft so leicht, daß die beiden meinen mochten, der steigende Weg habe plötzlich Gefälle, so frei schritten sie dahin. Nun waren sie in den Bergen. Vom höchsten Wegepunkt hatten sie einen Blick über ihre Ortschaft im Tale; Rikas Haus lag unten so nah, daß man es mit einem Stein von hier aus treffen konnte. Wenn es in der Stadt zwei Uhr schlug, würden sie vor der Tür sein. Es gab einen Richtweg seitlich durch das Strauchwerk hinunter. Da, ehe sie hinunterstiegen, besann sich Nita und warf einen Blick über die Ortschaft. Ihre Hand zuckte in der Wilhelm Driewers. „Es brennt ein Licht in eurem Hofe," sagte sie laut. Ihr Gesicht ver¬ änderte sich und wurde fand- und glanzlos wi: die Sterne, aber die Dunkelheit zeigte das nicht. Wilhelm Driewer sah nach seinem Hof hinunter. Er zweifelte einen Augenblick an dem Licht, dann fiel ihm die Erklärung ein. „Die Frau hielt sich Knecht und Magd daheim, weil sie glaubte, die Sau werfe Ferkel heute Nacht. Weiter ist es nichts." „Wenn es doch um was anderes ginge?" wendete Nita ein. Das Licht halte ihr den Kopf klargemacht. „Martha, Marthal" rief es in ihr. Seine Hand, die sie zog, lag jetzt wie eine Fessel um ihr Handgelenk. „Es ist nichts anderes," redete Wilhelm Driewer leicht.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/520
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/520>, abgerufen am 24.07.2024.