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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Illusion von Saloniki

erschlossen, wenn die Eisenbahn Mesopotamien durchzieht und der Persische
Meerbusen durch einen Schienenstmng mit Smyrna verknüpft sein wird, da
wird Mazedonien als Durchzugsverkehr für den großen Überlandverkehr zwischen
Mitteleuropa und Vorderasien wohl zu neuer Blüte emporsteigen und Saloniki
zu großer Bedeutung gelangen*),"

Diese Vorstellungen sind auch in Deutschland verbreitet, aber sie beruhen
offenbar auf einer optischen Täuschung, die durch das Bild der Landkarte ent¬
standen ist. Der Gedanke von dem großen Überlandverkehr über die orientalische
und die Bagdadbahn ist eine Utopie. Nur für den Personenverkehr, die Post
und hochwertige und gewichtleichte Güter, die etwa in Postpaketen versandt
werden können, wird diese direkte Bahnroute nach Vorderasien in Betracht
kommen. Für Massengüter von schwereren Gewicht wird die Bahn niemals
mit der billigen Seefracht in Wettbewerb treten können. Selbst wenn das Schicksal
es anders gewollt und Saloniki in den Bereich der schwarzgelben Pfähle gestellt
hätte, so würde die Stadt doch schwerlich im überseeischen Verkehr den Wett¬
bewerb mit den Häfen aushalten, die Österreich und Ungarn an der Adria
besitzen. Aber nicht nur Trieft und Finne, und nicht nur Marseille, sondern
auch London und Hamburg können erfolgreich mit Saloniki wetteifern.

Die einfache Tatsache, daß die Bahnstrecke von Wien nach Trieft
um etwa 600 Kilometer kürzer ist als die von Wien nach Saloniki,
macht Trieft und nicht Saloniki zu dem natürlichen, kommerziellen Ausfallstor
für diejenigen Gebiete Österreichs, die nicht bereits einen billigeren Weg zur
See besitzen. Denn man muß bedenken, daß schon Trieft von dem Zentrum
der österreichischen Industrie zu weit abliegt. Die Entfernung von Trieft nach
Wien beträgt bereits 660 Kilometer Bahnfahrt. Ein beträchtlicher Teil des
österreichischen Exports, zumal der in Böhmen und Mähren ansässigen Textil¬
industrie, wird nicht über Trieft, sondern über Hamburg ausgeführt, wohin ihr
die billige Wasserfracht auf der Elbe zu Gebote steht. Ebenso führt Österreich
den größten Teil seines Baumwollbedarfs über Hamburg ein. Der österreichische
Export nach Ostasien zieht noch immer den Wasserweg über Hamburg und
Gibraltar vor. Die österreichischen Exporteure finden es also vorteilhafter,
die Waren erst die ganze Elbe hinab und dann über Hamburg und Gibraltar
zu senden, nur die lange, kostspielige Bcchnfracht nach Trieft zu vermeiden.
Dabei ist Trieft, wie Anton von Moerl in seiner interessanten Broschüre "Das
Ende des Kontinentalismus in Österreich" betont, "eisenbahntarifarisch so begünstigt,
daß Hamburg, dessen Schiffe auf dem Wege nach dem Osten den Umweg um
ganz Europa machen müssen, unter der größere!: Anziehungskraft Triests leiden
müßte"**). Aber tatsächlich verhalten sich die Dinge umgekehrt. Trieft und
Fiume sind die natürlichen Ein- und Ausfuhrhäfen für Südösterreich und Ungarn,




*) Chlumetzky, S, 63, 66, 66, 2?Z.
*") S, 171,
Die Illusion von Saloniki

erschlossen, wenn die Eisenbahn Mesopotamien durchzieht und der Persische
Meerbusen durch einen Schienenstmng mit Smyrna verknüpft sein wird, da
wird Mazedonien als Durchzugsverkehr für den großen Überlandverkehr zwischen
Mitteleuropa und Vorderasien wohl zu neuer Blüte emporsteigen und Saloniki
zu großer Bedeutung gelangen*),"

Diese Vorstellungen sind auch in Deutschland verbreitet, aber sie beruhen
offenbar auf einer optischen Täuschung, die durch das Bild der Landkarte ent¬
standen ist. Der Gedanke von dem großen Überlandverkehr über die orientalische
und die Bagdadbahn ist eine Utopie. Nur für den Personenverkehr, die Post
und hochwertige und gewichtleichte Güter, die etwa in Postpaketen versandt
werden können, wird diese direkte Bahnroute nach Vorderasien in Betracht
kommen. Für Massengüter von schwereren Gewicht wird die Bahn niemals
mit der billigen Seefracht in Wettbewerb treten können. Selbst wenn das Schicksal
es anders gewollt und Saloniki in den Bereich der schwarzgelben Pfähle gestellt
hätte, so würde die Stadt doch schwerlich im überseeischen Verkehr den Wett¬
bewerb mit den Häfen aushalten, die Österreich und Ungarn an der Adria
besitzen. Aber nicht nur Trieft und Finne, und nicht nur Marseille, sondern
auch London und Hamburg können erfolgreich mit Saloniki wetteifern.

Die einfache Tatsache, daß die Bahnstrecke von Wien nach Trieft
um etwa 600 Kilometer kürzer ist als die von Wien nach Saloniki,
macht Trieft und nicht Saloniki zu dem natürlichen, kommerziellen Ausfallstor
für diejenigen Gebiete Österreichs, die nicht bereits einen billigeren Weg zur
See besitzen. Denn man muß bedenken, daß schon Trieft von dem Zentrum
der österreichischen Industrie zu weit abliegt. Die Entfernung von Trieft nach
Wien beträgt bereits 660 Kilometer Bahnfahrt. Ein beträchtlicher Teil des
österreichischen Exports, zumal der in Böhmen und Mähren ansässigen Textil¬
industrie, wird nicht über Trieft, sondern über Hamburg ausgeführt, wohin ihr
die billige Wasserfracht auf der Elbe zu Gebote steht. Ebenso führt Österreich
den größten Teil seines Baumwollbedarfs über Hamburg ein. Der österreichische
Export nach Ostasien zieht noch immer den Wasserweg über Hamburg und
Gibraltar vor. Die österreichischen Exporteure finden es also vorteilhafter,
die Waren erst die ganze Elbe hinab und dann über Hamburg und Gibraltar
zu senden, nur die lange, kostspielige Bcchnfracht nach Trieft zu vermeiden.
Dabei ist Trieft, wie Anton von Moerl in seiner interessanten Broschüre „Das
Ende des Kontinentalismus in Österreich" betont, „eisenbahntarifarisch so begünstigt,
daß Hamburg, dessen Schiffe auf dem Wege nach dem Osten den Umweg um
ganz Europa machen müssen, unter der größere!: Anziehungskraft Triests leiden
müßte"**). Aber tatsächlich verhalten sich die Dinge umgekehrt. Trieft und
Fiume sind die natürlichen Ein- und Ausfuhrhäfen für Südösterreich und Ungarn,




*) Chlumetzky, S, 63, 66, 66, 2?Z.
*") S, 171,
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[0514] Die Illusion von Saloniki erschlossen, wenn die Eisenbahn Mesopotamien durchzieht und der Persische Meerbusen durch einen Schienenstmng mit Smyrna verknüpft sein wird, da wird Mazedonien als Durchzugsverkehr für den großen Überlandverkehr zwischen Mitteleuropa und Vorderasien wohl zu neuer Blüte emporsteigen und Saloniki zu großer Bedeutung gelangen*)," Diese Vorstellungen sind auch in Deutschland verbreitet, aber sie beruhen offenbar auf einer optischen Täuschung, die durch das Bild der Landkarte ent¬ standen ist. Der Gedanke von dem großen Überlandverkehr über die orientalische und die Bagdadbahn ist eine Utopie. Nur für den Personenverkehr, die Post und hochwertige und gewichtleichte Güter, die etwa in Postpaketen versandt werden können, wird diese direkte Bahnroute nach Vorderasien in Betracht kommen. Für Massengüter von schwereren Gewicht wird die Bahn niemals mit der billigen Seefracht in Wettbewerb treten können. Selbst wenn das Schicksal es anders gewollt und Saloniki in den Bereich der schwarzgelben Pfähle gestellt hätte, so würde die Stadt doch schwerlich im überseeischen Verkehr den Wett¬ bewerb mit den Häfen aushalten, die Österreich und Ungarn an der Adria besitzen. Aber nicht nur Trieft und Finne, und nicht nur Marseille, sondern auch London und Hamburg können erfolgreich mit Saloniki wetteifern. Die einfache Tatsache, daß die Bahnstrecke von Wien nach Trieft um etwa 600 Kilometer kürzer ist als die von Wien nach Saloniki, macht Trieft und nicht Saloniki zu dem natürlichen, kommerziellen Ausfallstor für diejenigen Gebiete Österreichs, die nicht bereits einen billigeren Weg zur See besitzen. Denn man muß bedenken, daß schon Trieft von dem Zentrum der österreichischen Industrie zu weit abliegt. Die Entfernung von Trieft nach Wien beträgt bereits 660 Kilometer Bahnfahrt. Ein beträchtlicher Teil des österreichischen Exports, zumal der in Böhmen und Mähren ansässigen Textil¬ industrie, wird nicht über Trieft, sondern über Hamburg ausgeführt, wohin ihr die billige Wasserfracht auf der Elbe zu Gebote steht. Ebenso führt Österreich den größten Teil seines Baumwollbedarfs über Hamburg ein. Der österreichische Export nach Ostasien zieht noch immer den Wasserweg über Hamburg und Gibraltar vor. Die österreichischen Exporteure finden es also vorteilhafter, die Waren erst die ganze Elbe hinab und dann über Hamburg und Gibraltar zu senden, nur die lange, kostspielige Bcchnfracht nach Trieft zu vermeiden. Dabei ist Trieft, wie Anton von Moerl in seiner interessanten Broschüre „Das Ende des Kontinentalismus in Österreich" betont, „eisenbahntarifarisch so begünstigt, daß Hamburg, dessen Schiffe auf dem Wege nach dem Osten den Umweg um ganz Europa machen müssen, unter der größere!: Anziehungskraft Triests leiden müßte"**). Aber tatsächlich verhalten sich die Dinge umgekehrt. Trieft und Fiume sind die natürlichen Ein- und Ausfuhrhäfen für Südösterreich und Ungarn, *) Chlumetzky, S, 63, 66, 66, 2?Z. *") S, 171,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/514>, abgerufen am 25.07.2024.