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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Grundzüge einer Üiteratnrbeurtcilung

Völker zu und üben, da sie sich von ihrem Rassetum nicht emanzipieren können,
meist einen unheilvollen, zersetzenden Einfluß auf diese aus. Das charakteristische
Beispiel ist der deutsche Jude Heine."

Bartels geht bei der ganzen Behandlung der Judenfrage -- daß sie
existiert, sieht jeder Unbefangene -- von einer falschen Voraussetzung aus. Er
glaubt, es sei die Aufgabe der Literaturwissenschaft, das Problem zu lösen.
Und das sei sofort festgestellt, daß dieser Glaube haltlos ist. Denn die Juden¬
frage ist nicht durch die Literaturwissenschaft, die Dichtung, die Kunst hervor¬
gerufen und entstanden, sondern durch soziale und politische Maßregeln. Es ist
deshalb die Aufgabe der Sozialpolitiker, die Frage zu lösen.

Der Literaturwissenschaftler hat sich allein mit dem künstlerischen Ergebnis
des Lebens, der dichterischen Lebensoffenbarung an sich zu beschäftigen, er hat
jedoch nicht, wie Bartels glaubt, die Lebensbedingungen für solche Lebens¬
offenbarung zu schaffen und von diesen Lebensbedingungen sein Urteil, mit
dem ja alle Literarwissenschaft beginnt, abhängig zu machen, wie das bei
Bartels der Fall ist. Sondern der universal Urteilende geht allein von der
Leistung aus, um deren Lebensbedingungen er sich nur für die historische
und psychologische Erkenntnis zu kümmern hat, niemals aber für sein geistiges Urteil.
So allein kann jene absolute Gerechtigkeit, jene rein geistige Gerechtigkeit erreicht
werden, die sich für den universalen Literaturwissenschaftler von selbst versteht,
und die Goethe einmal "Eigenschaft und Phantom der Deutschen" genannt,
damit als das unserem Wesen immanente Lebensziel hingestellt hat. Ihm nach¬
zustreben verleiht allein die Gabe, über allem Parteiischen zu stehen, also auch
über den Folgerungen, die man aus Arbeitsbedingungen, deren eine
die Rasse ist, zieht. Gerade die Rasse ist aber in den Händen der öffentlich
Wirkender zu einer Parteisache geworden, weil jede Nasse für sich die besten
Werte in Anspruch nimmt. Erst wenn wir in der Lage sind, die Werte jeder
Rasse unumstößlich zu beweisen, erhebt sich die ganze Nassenfrage über alles
Parteiische, kann sie für den universalen Geistesmenschen ein Hilfsmittel für die
Erkenntnis des Wertes einer Leistung werden. Dahin werden wir wohl nie¬
mals gelangen.-ü 5




Selbst Adolf Bartels muß zugeben, daß die Rassenfrage keinen Einfluß
auf die Literaturgeschichte haben dürfe, -- wonach er sich übrigens nirgends
richtet. So stimmt er denn auch (III, 744) den Rasseforschern, die außer der
historischen und soziologischen Betrachtung auch noch die Anthropologie zur
Bestimmung der Zusammenhänge zwischen Rasse und Kultur heranziehen, in
der Grundanschauung zu, obwohl er zugleich behauptet, nicht wie mancher An¬
hänger der Rasseforscher vom Range Ludwig Woltmanns des Glaubens zu
sein, "daß das bisher auf Grund von Porträts und Überlieferungen gewonnene
Material, das sich wesentlich auf Feststellung der Haar- und Augenfarbe


Die Grundzüge einer Üiteratnrbeurtcilung

Völker zu und üben, da sie sich von ihrem Rassetum nicht emanzipieren können,
meist einen unheilvollen, zersetzenden Einfluß auf diese aus. Das charakteristische
Beispiel ist der deutsche Jude Heine."

Bartels geht bei der ganzen Behandlung der Judenfrage — daß sie
existiert, sieht jeder Unbefangene — von einer falschen Voraussetzung aus. Er
glaubt, es sei die Aufgabe der Literaturwissenschaft, das Problem zu lösen.
Und das sei sofort festgestellt, daß dieser Glaube haltlos ist. Denn die Juden¬
frage ist nicht durch die Literaturwissenschaft, die Dichtung, die Kunst hervor¬
gerufen und entstanden, sondern durch soziale und politische Maßregeln. Es ist
deshalb die Aufgabe der Sozialpolitiker, die Frage zu lösen.

Der Literaturwissenschaftler hat sich allein mit dem künstlerischen Ergebnis
des Lebens, der dichterischen Lebensoffenbarung an sich zu beschäftigen, er hat
jedoch nicht, wie Bartels glaubt, die Lebensbedingungen für solche Lebens¬
offenbarung zu schaffen und von diesen Lebensbedingungen sein Urteil, mit
dem ja alle Literarwissenschaft beginnt, abhängig zu machen, wie das bei
Bartels der Fall ist. Sondern der universal Urteilende geht allein von der
Leistung aus, um deren Lebensbedingungen er sich nur für die historische
und psychologische Erkenntnis zu kümmern hat, niemals aber für sein geistiges Urteil.
So allein kann jene absolute Gerechtigkeit, jene rein geistige Gerechtigkeit erreicht
werden, die sich für den universalen Literaturwissenschaftler von selbst versteht,
und die Goethe einmal „Eigenschaft und Phantom der Deutschen" genannt,
damit als das unserem Wesen immanente Lebensziel hingestellt hat. Ihm nach¬
zustreben verleiht allein die Gabe, über allem Parteiischen zu stehen, also auch
über den Folgerungen, die man aus Arbeitsbedingungen, deren eine
die Rasse ist, zieht. Gerade die Rasse ist aber in den Händen der öffentlich
Wirkender zu einer Parteisache geworden, weil jede Nasse für sich die besten
Werte in Anspruch nimmt. Erst wenn wir in der Lage sind, die Werte jeder
Rasse unumstößlich zu beweisen, erhebt sich die ganze Nassenfrage über alles
Parteiische, kann sie für den universalen Geistesmenschen ein Hilfsmittel für die
Erkenntnis des Wertes einer Leistung werden. Dahin werden wir wohl nie¬
mals gelangen.-ü 5




Selbst Adolf Bartels muß zugeben, daß die Rassenfrage keinen Einfluß
auf die Literaturgeschichte haben dürfe, — wonach er sich übrigens nirgends
richtet. So stimmt er denn auch (III, 744) den Rasseforschern, die außer der
historischen und soziologischen Betrachtung auch noch die Anthropologie zur
Bestimmung der Zusammenhänge zwischen Rasse und Kultur heranziehen, in
der Grundanschauung zu, obwohl er zugleich behauptet, nicht wie mancher An¬
hänger der Rasseforscher vom Range Ludwig Woltmanns des Glaubens zu
sein, „daß das bisher auf Grund von Porträts und Überlieferungen gewonnene
Material, das sich wesentlich auf Feststellung der Haar- und Augenfarbe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/506>, abgerufen am 25.07.2024.