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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Grundzüge einer Literatnrbeurteilung

links das Gute und Schlechte sieht, im Erleben das Verstehen erreicht und im
Verstehen das Erleben, wie die universale Persönlichkeit sie mit aristokratischer
Souveränität besitzt und verwendet, die gerade Goethe sein Eigen nannte, der
allen Mäklern entgegenwarf:

Aus solcher Hingabe an die Allseitigkeit und die Kraft der Persönlichkeit,
aus solchem Vertrauen, daß die gesetzte Aufgabe, die Verwaltung des geistigen
Gutes, auch die naturgegebene, angeborene und ausgebildete in jedem Sinne
sei, gelangt der Literaturmissenschaftler allein zu der wahren Vermittlung des
Kunsterlebnisses, die nicht hinter die Werke unserer Dichter weist, sondern hinein,
die "das Kunstwerk begreifen und nach Kräften erfühlen" macht, wie Oskar
Walzel einmal gesagt hat.

Indem Bartels aber, wohlverstanden in seiner Wissenschaft und sie aus¬
nutzend, als Parteigänger der Rechten, der er als Staatsbürger nach seinem
Belieben ungestört sein könnte, miteintritt in den Kampf gegen die Linke,
kommt er nur zu einseitigen Urteilen. Kritiken, Meinungen und Anschauungen,
verwendet er einen großen Teil seiner Kräfte dazu. Literaturwissenschaftler, bei
denen er liberale Gedanken findet oder auch nur wittert, zurückzuweisen und
die deutsche Welt in ihrem Wesen für konservativ zu erklären, alle positiven
Geister in die Reihen seiner Partei einzuordnen, z. B. auch Goethe, dein nichts
serner lag, als irgendeinen Parteiausdruck, schon weil er Universalmcnsch war.
Und er bringt es schließlich fertig, zu schreiben (I, 692): "Auch darüber, daß
Shakespeare Aristokrat oder, wie ich lieber sagen möchte, konservativ war, kann
kein Zweifel sein," also die universalen Begriffe politisch zu infizieren, so
daß man ihm belehren muß, daß man wohl Aristokrat sein kann, ohne einen
Tropfen konservativer Anschauungen im Blute zu haben I Das ist ja gerade
das^Wesen des Aristokraten, daß er sich nicht um Parteiformen -- höchstens
beruflich oder aus Liebhaberei -- kümmert, sondern jede Lebensform und -an-
schauimg aus seinem Innern, aus seinem Leben, aus seinem subjektiven Ver¬
hältnis zur Welt holt, in souveräner Jchheit und Freiheit den Menschen gegen¬
übersteht wie Bismarck oder Luther, die sowohl konservativ wie liberal waren.
Um den Aristokraten zu verstehen und verständlich zu macheu, sind die Partei¬
begriffe zu eng. Sie können nur Leuten ausreichend erscheinen, die die Ge¬
schichte des geistigen, menschheitlicher, nationalen Lebens und dessen Gegenwart
färben, tendenziös sehen und gestalten wollen, niemals aber denen, die allseitig


Die Grundzüge einer Literatnrbeurteilung

links das Gute und Schlechte sieht, im Erleben das Verstehen erreicht und im
Verstehen das Erleben, wie die universale Persönlichkeit sie mit aristokratischer
Souveränität besitzt und verwendet, die gerade Goethe sein Eigen nannte, der
allen Mäklern entgegenwarf:

Aus solcher Hingabe an die Allseitigkeit und die Kraft der Persönlichkeit,
aus solchem Vertrauen, daß die gesetzte Aufgabe, die Verwaltung des geistigen
Gutes, auch die naturgegebene, angeborene und ausgebildete in jedem Sinne
sei, gelangt der Literaturmissenschaftler allein zu der wahren Vermittlung des
Kunsterlebnisses, die nicht hinter die Werke unserer Dichter weist, sondern hinein,
die „das Kunstwerk begreifen und nach Kräften erfühlen" macht, wie Oskar
Walzel einmal gesagt hat.

Indem Bartels aber, wohlverstanden in seiner Wissenschaft und sie aus¬
nutzend, als Parteigänger der Rechten, der er als Staatsbürger nach seinem
Belieben ungestört sein könnte, miteintritt in den Kampf gegen die Linke,
kommt er nur zu einseitigen Urteilen. Kritiken, Meinungen und Anschauungen,
verwendet er einen großen Teil seiner Kräfte dazu. Literaturwissenschaftler, bei
denen er liberale Gedanken findet oder auch nur wittert, zurückzuweisen und
die deutsche Welt in ihrem Wesen für konservativ zu erklären, alle positiven
Geister in die Reihen seiner Partei einzuordnen, z. B. auch Goethe, dein nichts
serner lag, als irgendeinen Parteiausdruck, schon weil er Universalmcnsch war.
Und er bringt es schließlich fertig, zu schreiben (I, 692): „Auch darüber, daß
Shakespeare Aristokrat oder, wie ich lieber sagen möchte, konservativ war, kann
kein Zweifel sein," also die universalen Begriffe politisch zu infizieren, so
daß man ihm belehren muß, daß man wohl Aristokrat sein kann, ohne einen
Tropfen konservativer Anschauungen im Blute zu haben I Das ist ja gerade
das^Wesen des Aristokraten, daß er sich nicht um Parteiformen — höchstens
beruflich oder aus Liebhaberei — kümmert, sondern jede Lebensform und -an-
schauimg aus seinem Innern, aus seinem Leben, aus seinem subjektiven Ver¬
hältnis zur Welt holt, in souveräner Jchheit und Freiheit den Menschen gegen¬
übersteht wie Bismarck oder Luther, die sowohl konservativ wie liberal waren.
Um den Aristokraten zu verstehen und verständlich zu macheu, sind die Partei¬
begriffe zu eng. Sie können nur Leuten ausreichend erscheinen, die die Ge¬
schichte des geistigen, menschheitlicher, nationalen Lebens und dessen Gegenwart
färben, tendenziös sehen und gestalten wollen, niemals aber denen, die allseitig


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/500>, abgerufen am 25.07.2024.