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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Grundzüge einer Literaturbeurteilung

soviel vom nationalen enthalten, daß sie das Verhältnis von nationalen und
Internationalen richtig zu bewerten vermag. Die nationalen Literatur- und
Kulturpolitiker kommen bei dieser Gesinnung selbst am ersten aus ihre Rechnung.
Alle Politik strebt darauf hin, daß ihre Arbeit einen Nutzen zeitigt. Und so
werden die Literaturpolitiker durch die nationale Universalität überhaupt erst
die Mittel an die Hand bekommen, ihrer Nation zu zeigen, was gut und
schlecht ist, wobei sie allerdings auch ohne Furcht und Vorurteile das Böse einmal
aus seine unabhängigen Werte hin müssen untersuchen können. Sie unterscheiden
sich natürlich, eben weil sie die Literatur als Politiker zu politischen Zwecken
benutzen, scharf vom universalen Literaturwissenschaftler. Er hat stets und
durchaus reiner Wissenschaftler ohne alle politischen Absichten zu sein und sich
nur dauernd im Bewußtsein zu halten, daß er auf nationalem Boden steht
und daß das für ihn "Internationale" wieder der Ausdruck anderer Nationen ist!

Bartels verkennt dieses Verhältnis vollständig, weil er diese Trennung
von Literaturwissenschaftler und Literaturpolitiker nicht vorzunehmen vermag,
weil er für seine Person seine politischen Staatsbürgeranschauungen nicht von
seinen literarwissenschastlichen Forschungen und Erkenntnissen scheiden kann.
Er, der als Politiker ein Idealist ist -- denn er kämpft in der Politik um
ideale Begriffe wie den seines "Volkstumes" -- wird mit seiner Literaturdar¬
stellung zum Handlanger der praktischen Politiker, indem er von den Ansichten
einer politischen Partei aus die Entwicklung der Literatur beurteilt und auf¬
baut, ohne selbst praktischer Politiker zu sein. Er geht dabei zuerst von der
politischen Historie aus. Mit ihr vertraut zu sein, versteht sich für einen Literar-
wissenschaftler, der universal ist, von selbst, während er niemals einer politischen
Partei seiner Zeit so angehören darf, daß dadurch seine Weltanschauung, sein
Urteil beeinflußt wird. Als Staatsbürger, das sei nochmals gemerkt, mag er
Parteianhänger sein, soweit er will; als Wissenschaftler hat er aber über allen
Parteien zu stehen. Dies ist nun bei Bartels nicht der Fall. Er ist, als er
sich mit der reinen Weltgeschichte vertraut machte, besonders durch Treitschke
politischer Parteimann geworden und von den Parteimeinungen sowohl in seiner
Weltanschauung wie in seinem Urteil beeinflußt, ja geradezu abhängig. Wir
könnten von keinem Parteistandpunkt bei ihm reden, wenn es sich um die
nationale Richtung seiner Literaturbeurteilung handelte, denn das Nationale
in der von mir festgestellten Definition und charakteristischen geistigen Sonderung
an sich ist niemals parteiisch und politisch, sondern ein ebenso allgemeingültiger
Begriff wie der des Universalen, mit dem es sich zu der Verbindung der
"nationalen Universalität" zusammenschließt, die ich anstrebe und die die
Grundlage der Literaturwissenschaft, wie dargelegt, sein muß. Adolf Bartels ist
darum nicht bemüht. Er macht die große Zweiteilung, die unser Volk nach
seiner Auffassung zurzeit politisch erfährt, vollkommen mit. Sie geschieht für
ihn einfach nach den Wirtschaftsformen: Industrie und Ackerbau, die die beiden
Hauptgruppen: Liberalismus (mit dem Sozialismus) und Konservativismus


Die Grundzüge einer Literaturbeurteilung

soviel vom nationalen enthalten, daß sie das Verhältnis von nationalen und
Internationalen richtig zu bewerten vermag. Die nationalen Literatur- und
Kulturpolitiker kommen bei dieser Gesinnung selbst am ersten aus ihre Rechnung.
Alle Politik strebt darauf hin, daß ihre Arbeit einen Nutzen zeitigt. Und so
werden die Literaturpolitiker durch die nationale Universalität überhaupt erst
die Mittel an die Hand bekommen, ihrer Nation zu zeigen, was gut und
schlecht ist, wobei sie allerdings auch ohne Furcht und Vorurteile das Böse einmal
aus seine unabhängigen Werte hin müssen untersuchen können. Sie unterscheiden
sich natürlich, eben weil sie die Literatur als Politiker zu politischen Zwecken
benutzen, scharf vom universalen Literaturwissenschaftler. Er hat stets und
durchaus reiner Wissenschaftler ohne alle politischen Absichten zu sein und sich
nur dauernd im Bewußtsein zu halten, daß er auf nationalem Boden steht
und daß das für ihn „Internationale" wieder der Ausdruck anderer Nationen ist!

Bartels verkennt dieses Verhältnis vollständig, weil er diese Trennung
von Literaturwissenschaftler und Literaturpolitiker nicht vorzunehmen vermag,
weil er für seine Person seine politischen Staatsbürgeranschauungen nicht von
seinen literarwissenschastlichen Forschungen und Erkenntnissen scheiden kann.
Er, der als Politiker ein Idealist ist — denn er kämpft in der Politik um
ideale Begriffe wie den seines „Volkstumes" — wird mit seiner Literaturdar¬
stellung zum Handlanger der praktischen Politiker, indem er von den Ansichten
einer politischen Partei aus die Entwicklung der Literatur beurteilt und auf¬
baut, ohne selbst praktischer Politiker zu sein. Er geht dabei zuerst von der
politischen Historie aus. Mit ihr vertraut zu sein, versteht sich für einen Literar-
wissenschaftler, der universal ist, von selbst, während er niemals einer politischen
Partei seiner Zeit so angehören darf, daß dadurch seine Weltanschauung, sein
Urteil beeinflußt wird. Als Staatsbürger, das sei nochmals gemerkt, mag er
Parteianhänger sein, soweit er will; als Wissenschaftler hat er aber über allen
Parteien zu stehen. Dies ist nun bei Bartels nicht der Fall. Er ist, als er
sich mit der reinen Weltgeschichte vertraut machte, besonders durch Treitschke
politischer Parteimann geworden und von den Parteimeinungen sowohl in seiner
Weltanschauung wie in seinem Urteil beeinflußt, ja geradezu abhängig. Wir
könnten von keinem Parteistandpunkt bei ihm reden, wenn es sich um die
nationale Richtung seiner Literaturbeurteilung handelte, denn das Nationale
in der von mir festgestellten Definition und charakteristischen geistigen Sonderung
an sich ist niemals parteiisch und politisch, sondern ein ebenso allgemeingültiger
Begriff wie der des Universalen, mit dem es sich zu der Verbindung der
„nationalen Universalität" zusammenschließt, die ich anstrebe und die die
Grundlage der Literaturwissenschaft, wie dargelegt, sein muß. Adolf Bartels ist
darum nicht bemüht. Er macht die große Zweiteilung, die unser Volk nach
seiner Auffassung zurzeit politisch erfährt, vollkommen mit. Sie geschieht für
ihn einfach nach den Wirtschaftsformen: Industrie und Ackerbau, die die beiden
Hauptgruppen: Liberalismus (mit dem Sozialismus) und Konservativismus


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[0498] Die Grundzüge einer Literaturbeurteilung soviel vom nationalen enthalten, daß sie das Verhältnis von nationalen und Internationalen richtig zu bewerten vermag. Die nationalen Literatur- und Kulturpolitiker kommen bei dieser Gesinnung selbst am ersten aus ihre Rechnung. Alle Politik strebt darauf hin, daß ihre Arbeit einen Nutzen zeitigt. Und so werden die Literaturpolitiker durch die nationale Universalität überhaupt erst die Mittel an die Hand bekommen, ihrer Nation zu zeigen, was gut und schlecht ist, wobei sie allerdings auch ohne Furcht und Vorurteile das Böse einmal aus seine unabhängigen Werte hin müssen untersuchen können. Sie unterscheiden sich natürlich, eben weil sie die Literatur als Politiker zu politischen Zwecken benutzen, scharf vom universalen Literaturwissenschaftler. Er hat stets und durchaus reiner Wissenschaftler ohne alle politischen Absichten zu sein und sich nur dauernd im Bewußtsein zu halten, daß er auf nationalem Boden steht und daß das für ihn „Internationale" wieder der Ausdruck anderer Nationen ist! Bartels verkennt dieses Verhältnis vollständig, weil er diese Trennung von Literaturwissenschaftler und Literaturpolitiker nicht vorzunehmen vermag, weil er für seine Person seine politischen Staatsbürgeranschauungen nicht von seinen literarwissenschastlichen Forschungen und Erkenntnissen scheiden kann. Er, der als Politiker ein Idealist ist — denn er kämpft in der Politik um ideale Begriffe wie den seines „Volkstumes" — wird mit seiner Literaturdar¬ stellung zum Handlanger der praktischen Politiker, indem er von den Ansichten einer politischen Partei aus die Entwicklung der Literatur beurteilt und auf¬ baut, ohne selbst praktischer Politiker zu sein. Er geht dabei zuerst von der politischen Historie aus. Mit ihr vertraut zu sein, versteht sich für einen Literar- wissenschaftler, der universal ist, von selbst, während er niemals einer politischen Partei seiner Zeit so angehören darf, daß dadurch seine Weltanschauung, sein Urteil beeinflußt wird. Als Staatsbürger, das sei nochmals gemerkt, mag er Parteianhänger sein, soweit er will; als Wissenschaftler hat er aber über allen Parteien zu stehen. Dies ist nun bei Bartels nicht der Fall. Er ist, als er sich mit der reinen Weltgeschichte vertraut machte, besonders durch Treitschke politischer Parteimann geworden und von den Parteimeinungen sowohl in seiner Weltanschauung wie in seinem Urteil beeinflußt, ja geradezu abhängig. Wir könnten von keinem Parteistandpunkt bei ihm reden, wenn es sich um die nationale Richtung seiner Literaturbeurteilung handelte, denn das Nationale in der von mir festgestellten Definition und charakteristischen geistigen Sonderung an sich ist niemals parteiisch und politisch, sondern ein ebenso allgemeingültiger Begriff wie der des Universalen, mit dem es sich zu der Verbindung der „nationalen Universalität" zusammenschließt, die ich anstrebe und die die Grundlage der Literaturwissenschaft, wie dargelegt, sein muß. Adolf Bartels ist darum nicht bemüht. Er macht die große Zweiteilung, die unser Volk nach seiner Auffassung zurzeit politisch erfährt, vollkommen mit. Sie geschieht für ihn einfach nach den Wirtschaftsformen: Industrie und Ackerbau, die die beiden Hauptgruppen: Liberalismus (mit dem Sozialismus) und Konservativismus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/498>, abgerufen am 24.07.2024.