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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Paul Hopfe

der Durchbildung der Charaktere durchaus genuggetan zu haben." Es ging
der Niederschrift eine bis ins einzelne dringende Phantasiearbeit voraus, und
der Dichter zeichnete dann so sachlich und klar auf, als ob er ohne Umschweife
einer anwesenden Person zu berichten habe. Heyses Theorie der Novelle ist
aus seiner Einleitung zum deutschen Nooellenschcch allgemein bekannt. Es
kommt ihm vor allem auf den Umriß der Geschichte an, sie soll "eine starke,
deutliche Silhouette" haben, die, in wenige Worte zusammengefaßt, schon
Interesse erweckt.

So sind Heyse und Storm als Novellisten im allgemeinen Gegensätze.
Bei Storm erwächst die Novelle aus der Lyrik, ist besonders in der früheren
Zeit aufgelöste Lyrik; Heyse dagegen ist der geborene Erzähler und Fabulierer
und als solcher dem oft tieferen Storm überlegen. Freilich bleibt es bei dem,
was er selbst eingestellt: sein Fabuliertrieb bringt ihn dazu, Bedeutendes und Un¬
bedeutendes durcheinander zu erzählen, und unter der großen Menge der Geschichten
wird die Zukunft Auslese halten müssen (die von Heyse selbst besorgte drei¬
bändige "Auswahl fürs Haus" ist weder inhaltsreich genug, noch bringt sie
überall das beste). Auch wer nur die guten Heyseschen Novellen aufzählen
wollte, müßte schon sehr viele nennen; ich führe als einen Gipfel meisterhaft
kühler Sachlichkeit "Andrea Delfin" (1359) an, daneben den wärmer erzählten
"Weinhütcr von Meran" (1861). Hie und da, wie in "Helene Morden", nähert
Heyse sich auch wohl einmal der Stormschen Stimmungsnovelle, im ganzen
ist er sich in seiner Art bis ans Ende gleichgeblieben. Sehr graziös und über¬
legen erzählt war z. B. noch die 1911 in Velhagen und Klasings Monats¬
heften erschienene kleine Novelle "Das schwächere Geschlecht". Doch das sind
nur ein paar Titel, unter vielen Dutzenden hervorgehoben.

Wenn Heyse so gern betonte, wie spielend er seine Novellen hingeschrieben
habe, so tat er das nicht zum mindesten deshalb, weil er gleichzeitig besonderes
Gewicht auf seine Dramen legen wollte, die er immer von neuem umgebildet
und durchgearbeitet habe. Der Leser seiner Lebenserinnerungen sollte empfinden,
wie viel höher er dramatisches Schaffen stelle; und Heyse hat sich auch bemüht,
in einem besonderen Abschnitt "Mein Verhältnis zum Theater" seine Ansicht
vom Dramatischen klarzulegen. Diese Auseinandersetzungen sind freilich fast
durchweg eine Selbstverteidigung geworden, und keine glückliche. Der Dichter
will sich gegen den ihm unverständlichen Vorwurf schützen, daß er seine Dramen
novellistisch durchgeführt habe. Im Gegenteil, sagt er, habe er jeden dichterischen
Stoff, ehe er ihn dramatisch behandelt habe, scharf darauf angesehen, "ob sein
spezifischer Gehalt an Charakteren und ihren Konflikten nicht schlagender zum
Ausdruck kommen möchte, wenn er mit den feiner und individueller arbeitenden
Mitteln der Novelle dargestellt würde, oder umgekehrt bei einem Novellenmotiv,
ob die Wirkung eine tiefere sein würde in der breiten Freskotechnik des Dramas."
Es liegt in diesen Worten, daß Heyse gerade von dem Hauptunterschied zwischen
Erzählen und dramatischem Gestalten trotz allen Versicherungen keine rechte


Paul Hopfe

der Durchbildung der Charaktere durchaus genuggetan zu haben." Es ging
der Niederschrift eine bis ins einzelne dringende Phantasiearbeit voraus, und
der Dichter zeichnete dann so sachlich und klar auf, als ob er ohne Umschweife
einer anwesenden Person zu berichten habe. Heyses Theorie der Novelle ist
aus seiner Einleitung zum deutschen Nooellenschcch allgemein bekannt. Es
kommt ihm vor allem auf den Umriß der Geschichte an, sie soll „eine starke,
deutliche Silhouette" haben, die, in wenige Worte zusammengefaßt, schon
Interesse erweckt.

So sind Heyse und Storm als Novellisten im allgemeinen Gegensätze.
Bei Storm erwächst die Novelle aus der Lyrik, ist besonders in der früheren
Zeit aufgelöste Lyrik; Heyse dagegen ist der geborene Erzähler und Fabulierer
und als solcher dem oft tieferen Storm überlegen. Freilich bleibt es bei dem,
was er selbst eingestellt: sein Fabuliertrieb bringt ihn dazu, Bedeutendes und Un¬
bedeutendes durcheinander zu erzählen, und unter der großen Menge der Geschichten
wird die Zukunft Auslese halten müssen (die von Heyse selbst besorgte drei¬
bändige „Auswahl fürs Haus" ist weder inhaltsreich genug, noch bringt sie
überall das beste). Auch wer nur die guten Heyseschen Novellen aufzählen
wollte, müßte schon sehr viele nennen; ich führe als einen Gipfel meisterhaft
kühler Sachlichkeit „Andrea Delfin" (1359) an, daneben den wärmer erzählten
„Weinhütcr von Meran" (1861). Hie und da, wie in „Helene Morden", nähert
Heyse sich auch wohl einmal der Stormschen Stimmungsnovelle, im ganzen
ist er sich in seiner Art bis ans Ende gleichgeblieben. Sehr graziös und über¬
legen erzählt war z. B. noch die 1911 in Velhagen und Klasings Monats¬
heften erschienene kleine Novelle „Das schwächere Geschlecht". Doch das sind
nur ein paar Titel, unter vielen Dutzenden hervorgehoben.

Wenn Heyse so gern betonte, wie spielend er seine Novellen hingeschrieben
habe, so tat er das nicht zum mindesten deshalb, weil er gleichzeitig besonderes
Gewicht auf seine Dramen legen wollte, die er immer von neuem umgebildet
und durchgearbeitet habe. Der Leser seiner Lebenserinnerungen sollte empfinden,
wie viel höher er dramatisches Schaffen stelle; und Heyse hat sich auch bemüht,
in einem besonderen Abschnitt „Mein Verhältnis zum Theater" seine Ansicht
vom Dramatischen klarzulegen. Diese Auseinandersetzungen sind freilich fast
durchweg eine Selbstverteidigung geworden, und keine glückliche. Der Dichter
will sich gegen den ihm unverständlichen Vorwurf schützen, daß er seine Dramen
novellistisch durchgeführt habe. Im Gegenteil, sagt er, habe er jeden dichterischen
Stoff, ehe er ihn dramatisch behandelt habe, scharf darauf angesehen, „ob sein
spezifischer Gehalt an Charakteren und ihren Konflikten nicht schlagender zum
Ausdruck kommen möchte, wenn er mit den feiner und individueller arbeitenden
Mitteln der Novelle dargestellt würde, oder umgekehrt bei einem Novellenmotiv,
ob die Wirkung eine tiefere sein würde in der breiten Freskotechnik des Dramas."
Es liegt in diesen Worten, daß Heyse gerade von dem Hauptunterschied zwischen
Erzählen und dramatischem Gestalten trotz allen Versicherungen keine rechte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/49>, abgerufen am 27.06.2024.