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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Wilhelm Driewer, der Kinderfreund

daran, die festliche Nacht als eine Prüfung zu nehmen, ob sie die Heirat eines
ehrlichen Mannes wert sei.

Der glückliche Wilhelm Driewer dachte indessen an nichts, was ihm den
Tag schwer machen konnte, während er vor der Honigkuchenbude stand und
den Kindern rote Herzen kaufen half, ihnen die Verse, die darauf gedruckt
waren, vorlas und die Freuden des Nachmittages mit ihnen teilte.

Das Fest mit Zelten und Buden, mit nach Hunderten zählenden geputzten
Gästen, nahm bei heiterem Wetter einen günstigen Verlauf. Das Kreisfest
hatte wie alljährlich beim Schloß des Landrath seinen mit Fahnen geschmückten
Platz inne. wo tags die Waldbuchen Bänke und Tische beschatteten, und wo
abends im Schloßteich das Feuerwerk sich so natürlich spiegelte, daß es doppelt
zu sehen war und eine zweifache Freude gab.

Um diese Zeit kam Rika auf den Platz und sah Wilhelm Driewer am
Ufer stehen, wo er ein paar Müttern hals, ihre Kinder aus den Tisch zu heben
und sich selbst die beiden kleinsten auf die Schultern setzen ließ, damit sie gute
Ausschau hatten, wenn nun die Feuerkugeln stiegen. Sie dachte an die Worte,
die Frau Martha ihrem Manne nachgesagt hatte: "Wo ein Kind ist, kann keine
Sünde sein." So kehrte sie sich um und blieb allein.

Später abends sahen sie sich im Zelt. Wilhelm Driewer tanzte leicht und gut,
und die Mädchen, die er schwenkte, mit denen er einen leichten, harmlosen
Scherz trieb, vergaßen seinen Ehering, vergafften sich in ihn und zeigten es ihm
ohne Scham. Zuweilen, wenn er sich frei machen konnte, kam er zu Rika und
sprach sie an. Das eine Mal fragte er mit seiner lieben Schalkhaftigkeit: "Paßt
du auch gut auf mich auf?" Damit zeigte er ihr, wie harmlos er nun Marthas
Fürsorge auffaßte. Und ein anderes Mal: "Tanzen wir auch einmal zu¬
sammen?" Er fragte das in einer Weise, als erinnere er sich nicht daran, wie
sie vor zwei Jahren zusammen getanzt hatten, und die einsilbigen, ablehnenden
Antworten Rikas ermunterten ihn nicht.

Er brachte ihr zu essen und bot ihr zu trinken an, und als sie ihn nicht
bezahlen lassen wollte, sagte er ihr, er handle so nach Marthas Willen, und
da mußte sie es annehmen. Sie fühlte, daß zwischen ihm und ihr kein inneres
Band mehr bestand, darüber war sie froh und enttäuscht zugleich.

"Wir wollen bald nach Haus," sagte er um Mitternacht, da wußte sie,
daß er sich als Kamerad zu ihr stellte, und sie konnte sich nicht einmal über
ihn wundern, weil er es leicht mit Dingen nahm, an denen andere zu tragen hatten.

Wenn Wilhelm Driewer tanzte, sprach nichts aus seinem Gebaren, als die
Lust an einem bißchen frohen Leben, und wo er einem Mädchen mit den Augen
schön tat, spürte man es doch, daß er mit dem Herzen seiner Frau treu war.
Auch Rika beobachtete und erkannte ihn dahin. Frau Martha hatte sie mit
einer törichten Rolle beauftragt. Wilhelm Driewer verwahrte sich selbst. "Man
fühlt sich doch verheiratet." sagte er einmal zu ihr. "Es hat doch keine rechte
Art mehr."


Grenzboten II 1914 ^
Wilhelm Driewer, der Kinderfreund

daran, die festliche Nacht als eine Prüfung zu nehmen, ob sie die Heirat eines
ehrlichen Mannes wert sei.

Der glückliche Wilhelm Driewer dachte indessen an nichts, was ihm den
Tag schwer machen konnte, während er vor der Honigkuchenbude stand und
den Kindern rote Herzen kaufen half, ihnen die Verse, die darauf gedruckt
waren, vorlas und die Freuden des Nachmittages mit ihnen teilte.

Das Fest mit Zelten und Buden, mit nach Hunderten zählenden geputzten
Gästen, nahm bei heiterem Wetter einen günstigen Verlauf. Das Kreisfest
hatte wie alljährlich beim Schloß des Landrath seinen mit Fahnen geschmückten
Platz inne. wo tags die Waldbuchen Bänke und Tische beschatteten, und wo
abends im Schloßteich das Feuerwerk sich so natürlich spiegelte, daß es doppelt
zu sehen war und eine zweifache Freude gab.

Um diese Zeit kam Rika auf den Platz und sah Wilhelm Driewer am
Ufer stehen, wo er ein paar Müttern hals, ihre Kinder aus den Tisch zu heben
und sich selbst die beiden kleinsten auf die Schultern setzen ließ, damit sie gute
Ausschau hatten, wenn nun die Feuerkugeln stiegen. Sie dachte an die Worte,
die Frau Martha ihrem Manne nachgesagt hatte: „Wo ein Kind ist, kann keine
Sünde sein." So kehrte sie sich um und blieb allein.

Später abends sahen sie sich im Zelt. Wilhelm Driewer tanzte leicht und gut,
und die Mädchen, die er schwenkte, mit denen er einen leichten, harmlosen
Scherz trieb, vergaßen seinen Ehering, vergafften sich in ihn und zeigten es ihm
ohne Scham. Zuweilen, wenn er sich frei machen konnte, kam er zu Rika und
sprach sie an. Das eine Mal fragte er mit seiner lieben Schalkhaftigkeit: „Paßt
du auch gut auf mich auf?" Damit zeigte er ihr, wie harmlos er nun Marthas
Fürsorge auffaßte. Und ein anderes Mal: „Tanzen wir auch einmal zu¬
sammen?" Er fragte das in einer Weise, als erinnere er sich nicht daran, wie
sie vor zwei Jahren zusammen getanzt hatten, und die einsilbigen, ablehnenden
Antworten Rikas ermunterten ihn nicht.

Er brachte ihr zu essen und bot ihr zu trinken an, und als sie ihn nicht
bezahlen lassen wollte, sagte er ihr, er handle so nach Marthas Willen, und
da mußte sie es annehmen. Sie fühlte, daß zwischen ihm und ihr kein inneres
Band mehr bestand, darüber war sie froh und enttäuscht zugleich.

„Wir wollen bald nach Haus," sagte er um Mitternacht, da wußte sie,
daß er sich als Kamerad zu ihr stellte, und sie konnte sich nicht einmal über
ihn wundern, weil er es leicht mit Dingen nahm, an denen andere zu tragen hatten.

Wenn Wilhelm Driewer tanzte, sprach nichts aus seinem Gebaren, als die
Lust an einem bißchen frohen Leben, und wo er einem Mädchen mit den Augen
schön tat, spürte man es doch, daß er mit dem Herzen seiner Frau treu war.
Auch Rika beobachtete und erkannte ihn dahin. Frau Martha hatte sie mit
einer törichten Rolle beauftragt. Wilhelm Driewer verwahrte sich selbst. „Man
fühlt sich doch verheiratet." sagte er einmal zu ihr. „Es hat doch keine rechte
Art mehr."


Grenzboten II 1914 ^
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[0477] Wilhelm Driewer, der Kinderfreund daran, die festliche Nacht als eine Prüfung zu nehmen, ob sie die Heirat eines ehrlichen Mannes wert sei. Der glückliche Wilhelm Driewer dachte indessen an nichts, was ihm den Tag schwer machen konnte, während er vor der Honigkuchenbude stand und den Kindern rote Herzen kaufen half, ihnen die Verse, die darauf gedruckt waren, vorlas und die Freuden des Nachmittages mit ihnen teilte. Das Fest mit Zelten und Buden, mit nach Hunderten zählenden geputzten Gästen, nahm bei heiterem Wetter einen günstigen Verlauf. Das Kreisfest hatte wie alljährlich beim Schloß des Landrath seinen mit Fahnen geschmückten Platz inne. wo tags die Waldbuchen Bänke und Tische beschatteten, und wo abends im Schloßteich das Feuerwerk sich so natürlich spiegelte, daß es doppelt zu sehen war und eine zweifache Freude gab. Um diese Zeit kam Rika auf den Platz und sah Wilhelm Driewer am Ufer stehen, wo er ein paar Müttern hals, ihre Kinder aus den Tisch zu heben und sich selbst die beiden kleinsten auf die Schultern setzen ließ, damit sie gute Ausschau hatten, wenn nun die Feuerkugeln stiegen. Sie dachte an die Worte, die Frau Martha ihrem Manne nachgesagt hatte: „Wo ein Kind ist, kann keine Sünde sein." So kehrte sie sich um und blieb allein. Später abends sahen sie sich im Zelt. Wilhelm Driewer tanzte leicht und gut, und die Mädchen, die er schwenkte, mit denen er einen leichten, harmlosen Scherz trieb, vergaßen seinen Ehering, vergafften sich in ihn und zeigten es ihm ohne Scham. Zuweilen, wenn er sich frei machen konnte, kam er zu Rika und sprach sie an. Das eine Mal fragte er mit seiner lieben Schalkhaftigkeit: „Paßt du auch gut auf mich auf?" Damit zeigte er ihr, wie harmlos er nun Marthas Fürsorge auffaßte. Und ein anderes Mal: „Tanzen wir auch einmal zu¬ sammen?" Er fragte das in einer Weise, als erinnere er sich nicht daran, wie sie vor zwei Jahren zusammen getanzt hatten, und die einsilbigen, ablehnenden Antworten Rikas ermunterten ihn nicht. Er brachte ihr zu essen und bot ihr zu trinken an, und als sie ihn nicht bezahlen lassen wollte, sagte er ihr, er handle so nach Marthas Willen, und da mußte sie es annehmen. Sie fühlte, daß zwischen ihm und ihr kein inneres Band mehr bestand, darüber war sie froh und enttäuscht zugleich. „Wir wollen bald nach Haus," sagte er um Mitternacht, da wußte sie, daß er sich als Kamerad zu ihr stellte, und sie konnte sich nicht einmal über ihn wundern, weil er es leicht mit Dingen nahm, an denen andere zu tragen hatten. Wenn Wilhelm Driewer tanzte, sprach nichts aus seinem Gebaren, als die Lust an einem bißchen frohen Leben, und wo er einem Mädchen mit den Augen schön tat, spürte man es doch, daß er mit dem Herzen seiner Frau treu war. Auch Rika beobachtete und erkannte ihn dahin. Frau Martha hatte sie mit einer törichten Rolle beauftragt. Wilhelm Driewer verwahrte sich selbst. „Man fühlt sich doch verheiratet." sagte er einmal zu ihr. „Es hat doch keine rechte Art mehr." Grenzboten II 1914 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/477>, abgerufen am 25.07.2024.