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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Mitbeten Driewer, der Kinderfreund

Wilhelm Driewer hatte es sich in Wahrheit leichter gemacht, indem er Hut,
Kragen und Rock in das Haus gebracht hatte, der blonde Kopf, der freie Hals
und die weißen Hemdsürmel kleideten ihn alltäglich und gut. Sein Gesicht zeigte
alles, was sein Leben glücklich machte: Jugend, Frische und Gesundheit, frohen
Kindersinn und überschießende Manneskraft. Wen er ernsthaft anblickte, dem
schwor er Treue zu, und wen er wie ein Schelm anlachte, dem verriet er seinen
köstlichen Leichtsinn und Übermut, die so weit gehen konnten, daß er für Augen¬
blicke seine Treue vergaß. Er hatte etwas an sich, das ihn überall gefällig
machte, allen Menschen lieb, auch denen, welchen er, nicht mit Absicht, aber
unvorsichtig weh tun konnte.

"Allen Menschen lieb, auch denen er weh tut," mußte Nita denken, als
er so frei im Äußeren, so gefällig herantrat. Martha ging und besorgte ihm
die Pfeife. Da kam von seinem befreiten Äußeren etwas in sein Inneres --
und mochte er nun wissen, daß Rikas Blick an ihm hing, oder achtete er es nicht
-- er sah sie nun an und fühlte sich einen Augenblick in ihrem Gesicht froh
und wie losgelassen. Rika meinte zu hören, daß er wieder wie eben sagte:
"Traust du es dir nicht zu?" Da stemmte sie die Ellenbogen auf den Tisch,
sah ihn dreist und trotzig an, und mit dem Kopf in den Händen, die ihr
Festigkeit geben sollten, antwortete sie: "Ich traue es mir schon zu." Und
mit diesen" Wort gab sie zugleich der Base ihre Zustimmung zu jenem Gang
zur Tierschaunacht.

Frau Martha brachte die Pfeife. Es war um den Tisch herum, um Baum
und Garten und bis an die Berge ein schöner dämmriger Abend geworden.
Die Blumen, die der Juni blühen ließ, dufteten so stark, als spielten sie ein
Blumenmärchen und zögen im Reigen um den Tisch. Die letzte sommerliche
Nachtigall sang von einer frühen Frühliugsliebe, an die kein Wort mehr rühren
durfte, die aber noch nicht schweigen konnte und sich im Liede leise ausklagen
mußte. Die Berge erschienen höher in der Dunkelheit. Rika mußte von ihrem
Platze die Werther Egge hinaufsehen, die sich wie eine Wand vor sie hin¬
baute, sich wie eine Unmöglichkeit in den Weg der starken Sehnsucht des hei߬
blütigen jungen Mädchens stellte. Nun kam der Mond und beleuchtete die
Apothekerköpfe, die runden Berge am Ende des Tales, die Rikas Haus schon
früh am Abend in den Schatten stellten, während Wilhelm Driewer mit seiner Frau
noch in der Sonne wohnte. Er habe sich warm eingeheiratet, mußte Rika denken,
und wie gut es doch einer habe, der das Leben auf leichten Schultern trage!

Wilhelm Driewer nahm mit dem Qualm seiner Pfeife Luft und Duft
hinweg, da schickte Rika sich an, nach Hause zu gehen, und die Driewers
brachten sie auf den Weg. Bis zur Höhe des Weges gingen sie mit. Die
Hunde bellten solange in der zerstreuten Ortschaft, wie auf den? steinigen Wege
ein Schritt zu hören war.

"Weißt du ein Mädchen, das sich im Grunde besser hält als Rika?" fragte
Frau Martha, allein mit ihrem Mann.


Mitbeten Driewer, der Kinderfreund

Wilhelm Driewer hatte es sich in Wahrheit leichter gemacht, indem er Hut,
Kragen und Rock in das Haus gebracht hatte, der blonde Kopf, der freie Hals
und die weißen Hemdsürmel kleideten ihn alltäglich und gut. Sein Gesicht zeigte
alles, was sein Leben glücklich machte: Jugend, Frische und Gesundheit, frohen
Kindersinn und überschießende Manneskraft. Wen er ernsthaft anblickte, dem
schwor er Treue zu, und wen er wie ein Schelm anlachte, dem verriet er seinen
köstlichen Leichtsinn und Übermut, die so weit gehen konnten, daß er für Augen¬
blicke seine Treue vergaß. Er hatte etwas an sich, das ihn überall gefällig
machte, allen Menschen lieb, auch denen, welchen er, nicht mit Absicht, aber
unvorsichtig weh tun konnte.

„Allen Menschen lieb, auch denen er weh tut," mußte Nita denken, als
er so frei im Äußeren, so gefällig herantrat. Martha ging und besorgte ihm
die Pfeife. Da kam von seinem befreiten Äußeren etwas in sein Inneres —
und mochte er nun wissen, daß Rikas Blick an ihm hing, oder achtete er es nicht
— er sah sie nun an und fühlte sich einen Augenblick in ihrem Gesicht froh
und wie losgelassen. Rika meinte zu hören, daß er wieder wie eben sagte:
„Traust du es dir nicht zu?" Da stemmte sie die Ellenbogen auf den Tisch,
sah ihn dreist und trotzig an, und mit dem Kopf in den Händen, die ihr
Festigkeit geben sollten, antwortete sie: „Ich traue es mir schon zu." Und
mit diesen» Wort gab sie zugleich der Base ihre Zustimmung zu jenem Gang
zur Tierschaunacht.

Frau Martha brachte die Pfeife. Es war um den Tisch herum, um Baum
und Garten und bis an die Berge ein schöner dämmriger Abend geworden.
Die Blumen, die der Juni blühen ließ, dufteten so stark, als spielten sie ein
Blumenmärchen und zögen im Reigen um den Tisch. Die letzte sommerliche
Nachtigall sang von einer frühen Frühliugsliebe, an die kein Wort mehr rühren
durfte, die aber noch nicht schweigen konnte und sich im Liede leise ausklagen
mußte. Die Berge erschienen höher in der Dunkelheit. Rika mußte von ihrem
Platze die Werther Egge hinaufsehen, die sich wie eine Wand vor sie hin¬
baute, sich wie eine Unmöglichkeit in den Weg der starken Sehnsucht des hei߬
blütigen jungen Mädchens stellte. Nun kam der Mond und beleuchtete die
Apothekerköpfe, die runden Berge am Ende des Tales, die Rikas Haus schon
früh am Abend in den Schatten stellten, während Wilhelm Driewer mit seiner Frau
noch in der Sonne wohnte. Er habe sich warm eingeheiratet, mußte Rika denken,
und wie gut es doch einer habe, der das Leben auf leichten Schultern trage!

Wilhelm Driewer nahm mit dem Qualm seiner Pfeife Luft und Duft
hinweg, da schickte Rika sich an, nach Hause zu gehen, und die Driewers
brachten sie auf den Weg. Bis zur Höhe des Weges gingen sie mit. Die
Hunde bellten solange in der zerstreuten Ortschaft, wie auf den? steinigen Wege
ein Schritt zu hören war.

„Weißt du ein Mädchen, das sich im Grunde besser hält als Rika?" fragte
Frau Martha, allein mit ihrem Mann.


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[0474] Mitbeten Driewer, der Kinderfreund Wilhelm Driewer hatte es sich in Wahrheit leichter gemacht, indem er Hut, Kragen und Rock in das Haus gebracht hatte, der blonde Kopf, der freie Hals und die weißen Hemdsürmel kleideten ihn alltäglich und gut. Sein Gesicht zeigte alles, was sein Leben glücklich machte: Jugend, Frische und Gesundheit, frohen Kindersinn und überschießende Manneskraft. Wen er ernsthaft anblickte, dem schwor er Treue zu, und wen er wie ein Schelm anlachte, dem verriet er seinen köstlichen Leichtsinn und Übermut, die so weit gehen konnten, daß er für Augen¬ blicke seine Treue vergaß. Er hatte etwas an sich, das ihn überall gefällig machte, allen Menschen lieb, auch denen, welchen er, nicht mit Absicht, aber unvorsichtig weh tun konnte. „Allen Menschen lieb, auch denen er weh tut," mußte Nita denken, als er so frei im Äußeren, so gefällig herantrat. Martha ging und besorgte ihm die Pfeife. Da kam von seinem befreiten Äußeren etwas in sein Inneres — und mochte er nun wissen, daß Rikas Blick an ihm hing, oder achtete er es nicht — er sah sie nun an und fühlte sich einen Augenblick in ihrem Gesicht froh und wie losgelassen. Rika meinte zu hören, daß er wieder wie eben sagte: „Traust du es dir nicht zu?" Da stemmte sie die Ellenbogen auf den Tisch, sah ihn dreist und trotzig an, und mit dem Kopf in den Händen, die ihr Festigkeit geben sollten, antwortete sie: „Ich traue es mir schon zu." Und mit diesen» Wort gab sie zugleich der Base ihre Zustimmung zu jenem Gang zur Tierschaunacht. Frau Martha brachte die Pfeife. Es war um den Tisch herum, um Baum und Garten und bis an die Berge ein schöner dämmriger Abend geworden. Die Blumen, die der Juni blühen ließ, dufteten so stark, als spielten sie ein Blumenmärchen und zögen im Reigen um den Tisch. Die letzte sommerliche Nachtigall sang von einer frühen Frühliugsliebe, an die kein Wort mehr rühren durfte, die aber noch nicht schweigen konnte und sich im Liede leise ausklagen mußte. Die Berge erschienen höher in der Dunkelheit. Rika mußte von ihrem Platze die Werther Egge hinaufsehen, die sich wie eine Wand vor sie hin¬ baute, sich wie eine Unmöglichkeit in den Weg der starken Sehnsucht des hei߬ blütigen jungen Mädchens stellte. Nun kam der Mond und beleuchtete die Apothekerköpfe, die runden Berge am Ende des Tales, die Rikas Haus schon früh am Abend in den Schatten stellten, während Wilhelm Driewer mit seiner Frau noch in der Sonne wohnte. Er habe sich warm eingeheiratet, mußte Rika denken, und wie gut es doch einer habe, der das Leben auf leichten Schultern trage! Wilhelm Driewer nahm mit dem Qualm seiner Pfeife Luft und Duft hinweg, da schickte Rika sich an, nach Hause zu gehen, und die Driewers brachten sie auf den Weg. Bis zur Höhe des Weges gingen sie mit. Die Hunde bellten solange in der zerstreuten Ortschaft, wie auf den? steinigen Wege ein Schritt zu hören war. „Weißt du ein Mädchen, das sich im Grunde besser hält als Rika?" fragte Frau Martha, allein mit ihrem Mann.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/474>, abgerufen am 04.07.2024.