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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Presse Indiens

so gut wie gar nicht anzutreffen. Die Stärke der indischen Redakteure besteht
vor allem darin, daß sie unermüdlich in Leitartikeln immer die Hauptthemata
des öffentlichen Interesses behandeln und über sie polemisieren. Die besten
Artikel nehmen dann ihren Weg durch alle bedeutenden indischen Zeitungen. Es
gibt keinen Paragraphen oder einen hervorragenden Artikel, der nicht unerbittlich
die Runde durch den Blätterwald macht. Der Feld-, Wald- und Wiesenrand
kann in Indien so erfolgreich blühen, weil es kein eigentliches Urheberrecht und
auch kein geistig anerkanntes Eigentumsrecht gibt. Platz für Artikel ist immer
da. Aber Nachrichten, wenn sie nicht in der Form von kurzen Auszügen in
der Landessprache gebracht werden, sind einstweilen noch recht spärlich in der
heimischen Presse anzutreffen.

In diesem Zusammenhange möge noch auf die politische Rolle hingewiesen
werden, die vor mehr als zehn Jahren der "mohammedanischen Agentur", einer
Reuterschen Gründung, zugedacht war. Die näheren Umstände liegen so, daß
Reuter seinerzeit gemeinsam mit einem Inder dieses Nachrichteninstitut begründet
hat, nachdem Reuter dem Inder ein Parlamentsmandat besorgt hatte. Reuter
selbst hat an seinen einstigen Mitinhaber Dr. Engländer hierüber folgende Zeilen
in einem Briefe geschrieben: "Ich teile Ihnen mit. daß die Wahl des Inders
Navrojie mein Werk ist. Der Inder und ich haben eine Muhamedaen
Agency' gegründet, um die Reformbewegung im Islam, die so manchen
europäischen Staatsmännern Kopfschmerzen verursacht, mit der auffälligen Er¬
scheinung des Proselytismus in England im engsten Zusammenhange steht,
politisch und finanziell zu sruktifizieren. Die Endziele sind dahin gerichtet, um
bei der mohammedanischen Welt den Glauben zu wecken, daß der Islam berufen
sei, noch einmal die Welt zu erobern. Weiter soll der moslemitische Prosely¬
tismus zum neuen Ausgangspunkt einer Hedschra mit den Endzielen London
und Liverpool werden. Unter den mohammedanischen Bewohnern Kleinasiens
soll Unzufriedenheit mit ihrem Los und der Wunsch nach Anschluß an die
indischen Brüder geweckt werden." Daß an diesem Programm inzwischen fest
und zielbewußt gearbeitet worden ist, bedarf wohl kaum der Erwähnung. Un¬
ruhen unter der mohammedanischen Bevölkerung Indiens, Gärungen in Ägypten,
Speisung der jungtürkischenKassen mit englischen Geldern vor Ausbruch des Balkan¬
krieges und Englands ganze Haltung gegenüber der mohammedanischen Welt
während des Balkankrieges und auch jetzt sind hierfür wichtige Belege.

Über die Bedeutung des kaufmännischen Inserates in der Presse Indiens
und über die rationellsten Jnseratmethoden hat sich im Daily Consular Trade
Report vom 9. Oktober 1913 der nordamerikanische Konsul in Indien. Henry
D. Baker, in einem interessanten Spezialbericht geäußert. Die in diesem Bericht
gegebenen Daten über Zahl, Auflage und Leserkreis der indischen Blätter decken
sich im wesentlichen mit den weiter oben von mir gelieferten Detailangaben.
Als Ergänzung sei hinzugefügt, daß die indischen Jnseratpreise im Vergleich zur
Auflagehöhe und zu den Preisen, die deutsche, englische und nordamerikanische


Die Presse Indiens

so gut wie gar nicht anzutreffen. Die Stärke der indischen Redakteure besteht
vor allem darin, daß sie unermüdlich in Leitartikeln immer die Hauptthemata
des öffentlichen Interesses behandeln und über sie polemisieren. Die besten
Artikel nehmen dann ihren Weg durch alle bedeutenden indischen Zeitungen. Es
gibt keinen Paragraphen oder einen hervorragenden Artikel, der nicht unerbittlich
die Runde durch den Blätterwald macht. Der Feld-, Wald- und Wiesenrand
kann in Indien so erfolgreich blühen, weil es kein eigentliches Urheberrecht und
auch kein geistig anerkanntes Eigentumsrecht gibt. Platz für Artikel ist immer
da. Aber Nachrichten, wenn sie nicht in der Form von kurzen Auszügen in
der Landessprache gebracht werden, sind einstweilen noch recht spärlich in der
heimischen Presse anzutreffen.

In diesem Zusammenhange möge noch auf die politische Rolle hingewiesen
werden, die vor mehr als zehn Jahren der „mohammedanischen Agentur", einer
Reuterschen Gründung, zugedacht war. Die näheren Umstände liegen so, daß
Reuter seinerzeit gemeinsam mit einem Inder dieses Nachrichteninstitut begründet
hat, nachdem Reuter dem Inder ein Parlamentsmandat besorgt hatte. Reuter
selbst hat an seinen einstigen Mitinhaber Dr. Engländer hierüber folgende Zeilen
in einem Briefe geschrieben: „Ich teile Ihnen mit. daß die Wahl des Inders
Navrojie mein Werk ist. Der Inder und ich haben eine Muhamedaen
Agency' gegründet, um die Reformbewegung im Islam, die so manchen
europäischen Staatsmännern Kopfschmerzen verursacht, mit der auffälligen Er¬
scheinung des Proselytismus in England im engsten Zusammenhange steht,
politisch und finanziell zu sruktifizieren. Die Endziele sind dahin gerichtet, um
bei der mohammedanischen Welt den Glauben zu wecken, daß der Islam berufen
sei, noch einmal die Welt zu erobern. Weiter soll der moslemitische Prosely¬
tismus zum neuen Ausgangspunkt einer Hedschra mit den Endzielen London
und Liverpool werden. Unter den mohammedanischen Bewohnern Kleinasiens
soll Unzufriedenheit mit ihrem Los und der Wunsch nach Anschluß an die
indischen Brüder geweckt werden." Daß an diesem Programm inzwischen fest
und zielbewußt gearbeitet worden ist, bedarf wohl kaum der Erwähnung. Un¬
ruhen unter der mohammedanischen Bevölkerung Indiens, Gärungen in Ägypten,
Speisung der jungtürkischenKassen mit englischen Geldern vor Ausbruch des Balkan¬
krieges und Englands ganze Haltung gegenüber der mohammedanischen Welt
während des Balkankrieges und auch jetzt sind hierfür wichtige Belege.

Über die Bedeutung des kaufmännischen Inserates in der Presse Indiens
und über die rationellsten Jnseratmethoden hat sich im Daily Consular Trade
Report vom 9. Oktober 1913 der nordamerikanische Konsul in Indien. Henry
D. Baker, in einem interessanten Spezialbericht geäußert. Die in diesem Bericht
gegebenen Daten über Zahl, Auflage und Leserkreis der indischen Blätter decken
sich im wesentlichen mit den weiter oben von mir gelieferten Detailangaben.
Als Ergänzung sei hinzugefügt, daß die indischen Jnseratpreise im Vergleich zur
Auflagehöhe und zu den Preisen, die deutsche, englische und nordamerikanische


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[0471] Die Presse Indiens so gut wie gar nicht anzutreffen. Die Stärke der indischen Redakteure besteht vor allem darin, daß sie unermüdlich in Leitartikeln immer die Hauptthemata des öffentlichen Interesses behandeln und über sie polemisieren. Die besten Artikel nehmen dann ihren Weg durch alle bedeutenden indischen Zeitungen. Es gibt keinen Paragraphen oder einen hervorragenden Artikel, der nicht unerbittlich die Runde durch den Blätterwald macht. Der Feld-, Wald- und Wiesenrand kann in Indien so erfolgreich blühen, weil es kein eigentliches Urheberrecht und auch kein geistig anerkanntes Eigentumsrecht gibt. Platz für Artikel ist immer da. Aber Nachrichten, wenn sie nicht in der Form von kurzen Auszügen in der Landessprache gebracht werden, sind einstweilen noch recht spärlich in der heimischen Presse anzutreffen. In diesem Zusammenhange möge noch auf die politische Rolle hingewiesen werden, die vor mehr als zehn Jahren der „mohammedanischen Agentur", einer Reuterschen Gründung, zugedacht war. Die näheren Umstände liegen so, daß Reuter seinerzeit gemeinsam mit einem Inder dieses Nachrichteninstitut begründet hat, nachdem Reuter dem Inder ein Parlamentsmandat besorgt hatte. Reuter selbst hat an seinen einstigen Mitinhaber Dr. Engländer hierüber folgende Zeilen in einem Briefe geschrieben: „Ich teile Ihnen mit. daß die Wahl des Inders Navrojie mein Werk ist. Der Inder und ich haben eine Muhamedaen Agency' gegründet, um die Reformbewegung im Islam, die so manchen europäischen Staatsmännern Kopfschmerzen verursacht, mit der auffälligen Er¬ scheinung des Proselytismus in England im engsten Zusammenhange steht, politisch und finanziell zu sruktifizieren. Die Endziele sind dahin gerichtet, um bei der mohammedanischen Welt den Glauben zu wecken, daß der Islam berufen sei, noch einmal die Welt zu erobern. Weiter soll der moslemitische Prosely¬ tismus zum neuen Ausgangspunkt einer Hedschra mit den Endzielen London und Liverpool werden. Unter den mohammedanischen Bewohnern Kleinasiens soll Unzufriedenheit mit ihrem Los und der Wunsch nach Anschluß an die indischen Brüder geweckt werden." Daß an diesem Programm inzwischen fest und zielbewußt gearbeitet worden ist, bedarf wohl kaum der Erwähnung. Un¬ ruhen unter der mohammedanischen Bevölkerung Indiens, Gärungen in Ägypten, Speisung der jungtürkischenKassen mit englischen Geldern vor Ausbruch des Balkan¬ krieges und Englands ganze Haltung gegenüber der mohammedanischen Welt während des Balkankrieges und auch jetzt sind hierfür wichtige Belege. Über die Bedeutung des kaufmännischen Inserates in der Presse Indiens und über die rationellsten Jnseratmethoden hat sich im Daily Consular Trade Report vom 9. Oktober 1913 der nordamerikanische Konsul in Indien. Henry D. Baker, in einem interessanten Spezialbericht geäußert. Die in diesem Bericht gegebenen Daten über Zahl, Auflage und Leserkreis der indischen Blätter decken sich im wesentlichen mit den weiter oben von mir gelieferten Detailangaben. Als Ergänzung sei hinzugefügt, daß die indischen Jnseratpreise im Vergleich zur Auflagehöhe und zu den Preisen, die deutsche, englische und nordamerikanische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/471>, abgerufen am 04.07.2024.