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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Presse Indiens

Über drei weitere wichtige und interessante Punkte der indischen Presse,
die journalistische Befähigung der Hindu und Parsen, über den Nachrichtendienst
und das Inseratengeschäft dürfte noch folgendes verdienen, hervorgehoben zu
werden.

Der gebildete Inder (der Hindu wie der Parse) hat ohne Frage seither
ein besonderes Talent zum Journalismus gezeigt. Er ist nicht nur ein scharfer
politischer Kopf, sondern auch ein geborener Polemiker. Hierzu gesellt sich sein
Sprachtalent, denn häufig trifft man eine auffallende Beherrschung der englischen
Sprache an. So kommt es denn auch, daß man bei den indischen Zeitungen
manchem geschickten und effektvoller Leitartikelschreiber begegnet, der in der Lage
ist, die öffentliche Meinung zu formen und manchmal sogar die Regierung zu
beeinflussen. Dagegen sind die indischen Journalisten fast ohne Ausnahme viel
weniger erfolgreich, wenn es sich um schnelle und zuverlässige Berichterstattung
und mechanische Dinge handelt. Berichterstattung und Korrekturlesen sind höchst
mangelhaft, und die Organisation der regelmäßigen Berichte per Brief und
Telegraph von den wichtigen Zentren aus über das ganze Land, besonders im
Innern, ist einstweilen noch sehr in den Anfangsgründen.

Oft genug wird die einheimisch-indische Zeitung unter Umständen her¬
gestellt, die wir Europäer als sehr primitiv bezeichnen müssen. Mr. Ramsay
McDonald erzählt gelegentlich, wie er bei seinem ersten Besuch in Kalkutta ein
Interview hatte mit einem bekannten, lästig gewordenen einheimischen Redakteur. Er
schreibt wörtlich: "Ich suchte ihn in dem Eingeborenteil der Stadt auf und
fand ihn unter einer Flut von Kreaturen, die einen Europäer verwirren und
kopflos machen. Es war in einem Hause, das auch ein italienischer Palast
hätte sein können. Dieses Haus zeigte einen weiten Vorhof, geschmackvolle Stein¬
metzarbeit, Balkone und schattige Treppen. Doch es sprach Verfall aus jedem
Stein." An diesem Platze arbeitete in einem ausgedehnten Betrieb mit etwa
hundert Gehilfen der alte bengalische Redakteur. McDonald hätte vielleicht
hier seiner Schilderung hinzufügen können, daß in dieser Umgebung und durch
diese Methode der Fertigstellung das alte patriarchalische Leben so recht wider¬
gespiegelt wurde, und zwar an einer Stätte, an der die erste Druckmaschine in
Indien aufgestellt wurde, um eine einheimische Zeitung für Nordindien zu
liefern.

Wenn man die einheimisch-indische Presse in bezug auf den Nachrichten¬
dienst unter die Lupe nimmt, so muß man allerdings auch hier noch einstweilen
von einer großen Primitivität sprechen.

Auf die Schwierigkeiten der Übermittlung bei den jetzigen Verkehrsverhält¬
nissen wurde, soeben schon hingedeutet. Weiter muß gesagt werden, daß das
teure Depeschenmaterial der englischen Reuter-Agentur noch nicht von allen
heimischen Blättern gebracht wird und aus ökonomischen Gründen auch nicht
kann. Was sodann die Grundsätze anlangt, die für die Auswahl und die
Aktualität des Nachrichtenstoffes in Frage kommen, so sind sie einstweilen noch


Die Presse Indiens

Über drei weitere wichtige und interessante Punkte der indischen Presse,
die journalistische Befähigung der Hindu und Parsen, über den Nachrichtendienst
und das Inseratengeschäft dürfte noch folgendes verdienen, hervorgehoben zu
werden.

Der gebildete Inder (der Hindu wie der Parse) hat ohne Frage seither
ein besonderes Talent zum Journalismus gezeigt. Er ist nicht nur ein scharfer
politischer Kopf, sondern auch ein geborener Polemiker. Hierzu gesellt sich sein
Sprachtalent, denn häufig trifft man eine auffallende Beherrschung der englischen
Sprache an. So kommt es denn auch, daß man bei den indischen Zeitungen
manchem geschickten und effektvoller Leitartikelschreiber begegnet, der in der Lage
ist, die öffentliche Meinung zu formen und manchmal sogar die Regierung zu
beeinflussen. Dagegen sind die indischen Journalisten fast ohne Ausnahme viel
weniger erfolgreich, wenn es sich um schnelle und zuverlässige Berichterstattung
und mechanische Dinge handelt. Berichterstattung und Korrekturlesen sind höchst
mangelhaft, und die Organisation der regelmäßigen Berichte per Brief und
Telegraph von den wichtigen Zentren aus über das ganze Land, besonders im
Innern, ist einstweilen noch sehr in den Anfangsgründen.

Oft genug wird die einheimisch-indische Zeitung unter Umständen her¬
gestellt, die wir Europäer als sehr primitiv bezeichnen müssen. Mr. Ramsay
McDonald erzählt gelegentlich, wie er bei seinem ersten Besuch in Kalkutta ein
Interview hatte mit einem bekannten, lästig gewordenen einheimischen Redakteur. Er
schreibt wörtlich: „Ich suchte ihn in dem Eingeborenteil der Stadt auf und
fand ihn unter einer Flut von Kreaturen, die einen Europäer verwirren und
kopflos machen. Es war in einem Hause, das auch ein italienischer Palast
hätte sein können. Dieses Haus zeigte einen weiten Vorhof, geschmackvolle Stein¬
metzarbeit, Balkone und schattige Treppen. Doch es sprach Verfall aus jedem
Stein." An diesem Platze arbeitete in einem ausgedehnten Betrieb mit etwa
hundert Gehilfen der alte bengalische Redakteur. McDonald hätte vielleicht
hier seiner Schilderung hinzufügen können, daß in dieser Umgebung und durch
diese Methode der Fertigstellung das alte patriarchalische Leben so recht wider¬
gespiegelt wurde, und zwar an einer Stätte, an der die erste Druckmaschine in
Indien aufgestellt wurde, um eine einheimische Zeitung für Nordindien zu
liefern.

Wenn man die einheimisch-indische Presse in bezug auf den Nachrichten¬
dienst unter die Lupe nimmt, so muß man allerdings auch hier noch einstweilen
von einer großen Primitivität sprechen.

Auf die Schwierigkeiten der Übermittlung bei den jetzigen Verkehrsverhält¬
nissen wurde, soeben schon hingedeutet. Weiter muß gesagt werden, daß das
teure Depeschenmaterial der englischen Reuter-Agentur noch nicht von allen
heimischen Blättern gebracht wird und aus ökonomischen Gründen auch nicht
kann. Was sodann die Grundsätze anlangt, die für die Auswahl und die
Aktualität des Nachrichtenstoffes in Frage kommen, so sind sie einstweilen noch


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[0470] Die Presse Indiens Über drei weitere wichtige und interessante Punkte der indischen Presse, die journalistische Befähigung der Hindu und Parsen, über den Nachrichtendienst und das Inseratengeschäft dürfte noch folgendes verdienen, hervorgehoben zu werden. Der gebildete Inder (der Hindu wie der Parse) hat ohne Frage seither ein besonderes Talent zum Journalismus gezeigt. Er ist nicht nur ein scharfer politischer Kopf, sondern auch ein geborener Polemiker. Hierzu gesellt sich sein Sprachtalent, denn häufig trifft man eine auffallende Beherrschung der englischen Sprache an. So kommt es denn auch, daß man bei den indischen Zeitungen manchem geschickten und effektvoller Leitartikelschreiber begegnet, der in der Lage ist, die öffentliche Meinung zu formen und manchmal sogar die Regierung zu beeinflussen. Dagegen sind die indischen Journalisten fast ohne Ausnahme viel weniger erfolgreich, wenn es sich um schnelle und zuverlässige Berichterstattung und mechanische Dinge handelt. Berichterstattung und Korrekturlesen sind höchst mangelhaft, und die Organisation der regelmäßigen Berichte per Brief und Telegraph von den wichtigen Zentren aus über das ganze Land, besonders im Innern, ist einstweilen noch sehr in den Anfangsgründen. Oft genug wird die einheimisch-indische Zeitung unter Umständen her¬ gestellt, die wir Europäer als sehr primitiv bezeichnen müssen. Mr. Ramsay McDonald erzählt gelegentlich, wie er bei seinem ersten Besuch in Kalkutta ein Interview hatte mit einem bekannten, lästig gewordenen einheimischen Redakteur. Er schreibt wörtlich: „Ich suchte ihn in dem Eingeborenteil der Stadt auf und fand ihn unter einer Flut von Kreaturen, die einen Europäer verwirren und kopflos machen. Es war in einem Hause, das auch ein italienischer Palast hätte sein können. Dieses Haus zeigte einen weiten Vorhof, geschmackvolle Stein¬ metzarbeit, Balkone und schattige Treppen. Doch es sprach Verfall aus jedem Stein." An diesem Platze arbeitete in einem ausgedehnten Betrieb mit etwa hundert Gehilfen der alte bengalische Redakteur. McDonald hätte vielleicht hier seiner Schilderung hinzufügen können, daß in dieser Umgebung und durch diese Methode der Fertigstellung das alte patriarchalische Leben so recht wider¬ gespiegelt wurde, und zwar an einer Stätte, an der die erste Druckmaschine in Indien aufgestellt wurde, um eine einheimische Zeitung für Nordindien zu liefern. Wenn man die einheimisch-indische Presse in bezug auf den Nachrichten¬ dienst unter die Lupe nimmt, so muß man allerdings auch hier noch einstweilen von einer großen Primitivität sprechen. Auf die Schwierigkeiten der Übermittlung bei den jetzigen Verkehrsverhält¬ nissen wurde, soeben schon hingedeutet. Weiter muß gesagt werden, daß das teure Depeschenmaterial der englischen Reuter-Agentur noch nicht von allen heimischen Blättern gebracht wird und aus ökonomischen Gründen auch nicht kann. Was sodann die Grundsätze anlangt, die für die Auswahl und die Aktualität des Nachrichtenstoffes in Frage kommen, so sind sie einstweilen noch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/470>, abgerufen am 04.07.2024.