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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Presse Indiens

von der autokratischen Regierung Englands in Indien weise und richtig ist, die
Kanäle der einheimischen öffentlichen Meinung, die nach Freiheit ringt, zu¬
zustopfen, ist eine Frage, deren Beantwortung nicht ganz leicht ist. Soviel
dürfte jedoch sicher sein, daß die Aufrechterhaltung der englischen Herrschaft in
Indien sich bei völliger Pressefreiheit noch erheblich schwieriger gestalten würde,
als dies ohnehin schon heute der Fall ist.

Was hier soeben über die presfegesetzliche Entwicklung in Indien gesagt
wurde, hat naturgemäß auch seinen Niederschlag in der Statistik der indischen
Presse gefunden. Unter den geschilderten Umständen ist das Wachstum der
Presse während der letzten fünfundzwanzig Jahre lange nicht so rasch vor sich
gegangen, wie man es vielleicht im Hinblick auf die Zunahme der Bevölkerung,
die Verbesserung der Verkehrsmittel, die wirtschaftliche Entfaltung des Landes usw.
hätte erwarten können. Im Jahre 1875 gab es nur insgesamt vierhundert-
achtundsiebzig Zeitungen. Von ihnen erschienen zweihundertvierundfünfzig in
einheimischen Sprachen (Tamil, Urdu, Gujarati, Maraldi, Bengalisch). Diese
Ziffer wurde erreicht, kurz bevor Lord Lvtton sein Verbot erließ. Aus einem
im Laufe des Jahres 1913 von der indischen Regierung veröffentlichten Bericht
über die geistigen und materiellen Fortschritte des Kaiserreiches ist ersichtlich,
daß im Jahre 1902 in Britisch-Indien sechshundertsiebenundsünfzig Zeitungen
existierten. Im Jahre 1907 wuchs die Zahl der Blätter auf Grund der starken
nationalistischen Bewegung auf siebenhundertdreiundfünfzig. Das war zugleich
die höchste bisher in Indien erreichte Rekordziffer. Sie fiel im Jahre 1910
(Kautionsvorschrift) wieder auf sechshundertachtundfünfzig und war Ende 1913
noch die gleiche.

In den obengenannten Ziffern ist nicht einbegriffen die verhältnismäßig
kleine Zahl von anglo-indischen Tageszeitungen, die von Mitgliedern der euro¬
päischen Siedlungen herausgegeben und verlegt werden. Die wichtigeren dieser
Blätter wie z, B. der Pioneer (Allhabad), die Times of Jndia (Bombay), der
Statesman (Kalkutta) und die Madras Mail sind in der ganzen Welt bekannt.
Sie sind reich, einflußreich und mächtig. Jedoch werden sie in erster Linie in
Regierungs- und Militärkreisen sowie in den europäischen und indischen Klubs
von der europäischen Bevölkerung, indischen Fürsten und allen einheimischen
Indern mit höherem Lebenshaltungsniveau gelesen. Mehrere dieser Organe
sind in den letzten Jahren in moderner Weise ausgestaltet worden. Obwohl
manche in der Aufmachung journalistischen Sachverständigen und Kritikern, die
sie mit deutschen oder englischen Blättern vergleichen, eigentümlich und primitiv
erscheinen mögen, so üben sie doch einen erheblichen Einfluß aus und sie werden
im allgemeinen auch in redaktioneller Hinsicht gut geleitet.

In der heimisch-indischen Presse geben die Hindu- und mohammedanischen
Organe den Ausschlag. Die Hindu-Organe, über die zunächst einige Worte
gesagt werden sollen, wenden sich naturgemäß an ein viel größeres Publikum,
als die indisch-englischen Blätter. Sie haben außerdem ein Publikum, das von den


Die Presse Indiens

von der autokratischen Regierung Englands in Indien weise und richtig ist, die
Kanäle der einheimischen öffentlichen Meinung, die nach Freiheit ringt, zu¬
zustopfen, ist eine Frage, deren Beantwortung nicht ganz leicht ist. Soviel
dürfte jedoch sicher sein, daß die Aufrechterhaltung der englischen Herrschaft in
Indien sich bei völliger Pressefreiheit noch erheblich schwieriger gestalten würde,
als dies ohnehin schon heute der Fall ist.

Was hier soeben über die presfegesetzliche Entwicklung in Indien gesagt
wurde, hat naturgemäß auch seinen Niederschlag in der Statistik der indischen
Presse gefunden. Unter den geschilderten Umständen ist das Wachstum der
Presse während der letzten fünfundzwanzig Jahre lange nicht so rasch vor sich
gegangen, wie man es vielleicht im Hinblick auf die Zunahme der Bevölkerung,
die Verbesserung der Verkehrsmittel, die wirtschaftliche Entfaltung des Landes usw.
hätte erwarten können. Im Jahre 1875 gab es nur insgesamt vierhundert-
achtundsiebzig Zeitungen. Von ihnen erschienen zweihundertvierundfünfzig in
einheimischen Sprachen (Tamil, Urdu, Gujarati, Maraldi, Bengalisch). Diese
Ziffer wurde erreicht, kurz bevor Lord Lvtton sein Verbot erließ. Aus einem
im Laufe des Jahres 1913 von der indischen Regierung veröffentlichten Bericht
über die geistigen und materiellen Fortschritte des Kaiserreiches ist ersichtlich,
daß im Jahre 1902 in Britisch-Indien sechshundertsiebenundsünfzig Zeitungen
existierten. Im Jahre 1907 wuchs die Zahl der Blätter auf Grund der starken
nationalistischen Bewegung auf siebenhundertdreiundfünfzig. Das war zugleich
die höchste bisher in Indien erreichte Rekordziffer. Sie fiel im Jahre 1910
(Kautionsvorschrift) wieder auf sechshundertachtundfünfzig und war Ende 1913
noch die gleiche.

In den obengenannten Ziffern ist nicht einbegriffen die verhältnismäßig
kleine Zahl von anglo-indischen Tageszeitungen, die von Mitgliedern der euro¬
päischen Siedlungen herausgegeben und verlegt werden. Die wichtigeren dieser
Blätter wie z, B. der Pioneer (Allhabad), die Times of Jndia (Bombay), der
Statesman (Kalkutta) und die Madras Mail sind in der ganzen Welt bekannt.
Sie sind reich, einflußreich und mächtig. Jedoch werden sie in erster Linie in
Regierungs- und Militärkreisen sowie in den europäischen und indischen Klubs
von der europäischen Bevölkerung, indischen Fürsten und allen einheimischen
Indern mit höherem Lebenshaltungsniveau gelesen. Mehrere dieser Organe
sind in den letzten Jahren in moderner Weise ausgestaltet worden. Obwohl
manche in der Aufmachung journalistischen Sachverständigen und Kritikern, die
sie mit deutschen oder englischen Blättern vergleichen, eigentümlich und primitiv
erscheinen mögen, so üben sie doch einen erheblichen Einfluß aus und sie werden
im allgemeinen auch in redaktioneller Hinsicht gut geleitet.

In der heimisch-indischen Presse geben die Hindu- und mohammedanischen
Organe den Ausschlag. Die Hindu-Organe, über die zunächst einige Worte
gesagt werden sollen, wenden sich naturgemäß an ein viel größeres Publikum,
als die indisch-englischen Blätter. Sie haben außerdem ein Publikum, das von den


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[0468] Die Presse Indiens von der autokratischen Regierung Englands in Indien weise und richtig ist, die Kanäle der einheimischen öffentlichen Meinung, die nach Freiheit ringt, zu¬ zustopfen, ist eine Frage, deren Beantwortung nicht ganz leicht ist. Soviel dürfte jedoch sicher sein, daß die Aufrechterhaltung der englischen Herrschaft in Indien sich bei völliger Pressefreiheit noch erheblich schwieriger gestalten würde, als dies ohnehin schon heute der Fall ist. Was hier soeben über die presfegesetzliche Entwicklung in Indien gesagt wurde, hat naturgemäß auch seinen Niederschlag in der Statistik der indischen Presse gefunden. Unter den geschilderten Umständen ist das Wachstum der Presse während der letzten fünfundzwanzig Jahre lange nicht so rasch vor sich gegangen, wie man es vielleicht im Hinblick auf die Zunahme der Bevölkerung, die Verbesserung der Verkehrsmittel, die wirtschaftliche Entfaltung des Landes usw. hätte erwarten können. Im Jahre 1875 gab es nur insgesamt vierhundert- achtundsiebzig Zeitungen. Von ihnen erschienen zweihundertvierundfünfzig in einheimischen Sprachen (Tamil, Urdu, Gujarati, Maraldi, Bengalisch). Diese Ziffer wurde erreicht, kurz bevor Lord Lvtton sein Verbot erließ. Aus einem im Laufe des Jahres 1913 von der indischen Regierung veröffentlichten Bericht über die geistigen und materiellen Fortschritte des Kaiserreiches ist ersichtlich, daß im Jahre 1902 in Britisch-Indien sechshundertsiebenundsünfzig Zeitungen existierten. Im Jahre 1907 wuchs die Zahl der Blätter auf Grund der starken nationalistischen Bewegung auf siebenhundertdreiundfünfzig. Das war zugleich die höchste bisher in Indien erreichte Rekordziffer. Sie fiel im Jahre 1910 (Kautionsvorschrift) wieder auf sechshundertachtundfünfzig und war Ende 1913 noch die gleiche. In den obengenannten Ziffern ist nicht einbegriffen die verhältnismäßig kleine Zahl von anglo-indischen Tageszeitungen, die von Mitgliedern der euro¬ päischen Siedlungen herausgegeben und verlegt werden. Die wichtigeren dieser Blätter wie z, B. der Pioneer (Allhabad), die Times of Jndia (Bombay), der Statesman (Kalkutta) und die Madras Mail sind in der ganzen Welt bekannt. Sie sind reich, einflußreich und mächtig. Jedoch werden sie in erster Linie in Regierungs- und Militärkreisen sowie in den europäischen und indischen Klubs von der europäischen Bevölkerung, indischen Fürsten und allen einheimischen Indern mit höherem Lebenshaltungsniveau gelesen. Mehrere dieser Organe sind in den letzten Jahren in moderner Weise ausgestaltet worden. Obwohl manche in der Aufmachung journalistischen Sachverständigen und Kritikern, die sie mit deutschen oder englischen Blättern vergleichen, eigentümlich und primitiv erscheinen mögen, so üben sie doch einen erheblichen Einfluß aus und sie werden im allgemeinen auch in redaktioneller Hinsicht gut geleitet. In der heimisch-indischen Presse geben die Hindu- und mohammedanischen Organe den Ausschlag. Die Hindu-Organe, über die zunächst einige Worte gesagt werden sollen, wenden sich naturgemäß an ein viel größeres Publikum, als die indisch-englischen Blätter. Sie haben außerdem ein Publikum, das von den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/468>, abgerufen am 11.02.2025.