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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Presse Indiens

Pressefreiheit ein. Der einzige Vizekönig, der es während der letzten Hälfte
des neunzehnten Jahrhunderts für nötig erachtete, diese Freiheit etwas ein¬
zuschränken, war Lord Lytton. Sein Gesetz, betreffend die einheimische Presse,
das jedoch nach einigen Jahren von Lord Ripon wieder aufgehoben wurde,
sollte in erster Linie bewirken, daß die Abbildungen in den Witzblättern und
satyrischen Schriften usw. sich in den von den Behörden als nötig und passend
erachteten Grenzen hielten. Eine systematische Kontrolle der einheimisch-indischen
Presse setzte jedoch erst 1908 unter dem Vizekönig Lord Minto mit einer be¬
sonderen Gesetzgebung für die gesamte indische Presse ein. Bis dahin hatten
sich die staatlichen Autoritäten zur Hauptsache auf die Vorschriften des Aufruhr¬
paragraphen im indischen Strafgesetzbuch gestützt, der ihnen genügend Handhabe
bot, um gegen einen Redakteur oder Drucker vorzugehen, sobald er auf¬
rührerische und sonstwie beleidigende Artikel veröffentlicht hatte. Bis zum Ablauf
der Amtszeit des Lord Curzon waren derartige Anklagen jedoch ziemlich selten.
Seit 1906, als sich die nationalistische Agitation so rasch ausbreitete, erschienen
indische Redakteure und Drucker immer häufiger als Angeklagte vor den Ge¬
richten, die sie zu verschiedenen langen Freiheitsstrafen verurteilten. Dieses
Vorgehen hatte jedoch keineswegs den gewünschten Erfolg. So sah sich die
Regierung Indiens gezwungen, neue durchschlagende gesetzgeberische Maßnahmen
zu treffen.

Durch ein Gesetz vom Jahre 1908 wurde zunächst die Verwaltungs¬
behörde eines Bezirkes ermächtigt, die Konfiszierung mißliebig gewordener
Nummern anzuordnen. Ein weiteres Pressegesetz vom Jahre 1910 übte eine
noch schärfere und durchschlagendere Kontrolle dadurch aus, daß die Forderung
der Kautionsstellung (in Geld) erhoben wurde für sämtliche neu zu begründenden
Zeitungen. Auf Grund dieses Gesetzes müssen die Besitzer aller neuen
Zeitungen darauf vorbereitet sein, daß von ihnen eine Sicherheit bis zu
133 Pfund Sterling gefordert wird, und zwar unter gleichzeitiger Abgabe einer
Erklärung, daß sie die Verantwortung für das zu gründende Organ über¬
nehmen. Geben sie dann zu irgendwelchen Ärgernissen Anlaß, z. B. durch die
Veröffentlichung von Artikeln, die bezwecken, die Regierung in Mißkredit zu
bringen, oder die geeignet sind, zwischen rivalisierenden Gemeinwesen Zwietracht
zu säen usw., so kann die Ortsbehörde die Kaution als verfallen erklären.
Gleichzeitig wird eine weitere Kaution verlangt. Der Verlust der zweiten
Kaution kann bereits die endgültige Aufhebung der Zeitung und die Kon¬
fiszierung der Druckerei nach sich ziehen. Die hier soeben beschriebenen
Gesetzesvorschriften sind noch jetzt in Kraft. Es ist klar, daß sie einen großen
Zwang ausüben. Ja, man kann vielleicht noch besser sagen, daß sie furcht¬
erregend auf die indischen Verleger bzw. Druckereibesitzer wirken. Im Hinblick
auf das Gesetz vom Jahre 1910 ist es denn auch zu erklären, daß die Position
der indischen Presse heute ganz anders und viel ohnmächtiger ist, als sie es
vor fünf bis zehn Jahren war. Ob es jedoch im großen ganzen betrachtet


Die Presse Indiens

Pressefreiheit ein. Der einzige Vizekönig, der es während der letzten Hälfte
des neunzehnten Jahrhunderts für nötig erachtete, diese Freiheit etwas ein¬
zuschränken, war Lord Lytton. Sein Gesetz, betreffend die einheimische Presse,
das jedoch nach einigen Jahren von Lord Ripon wieder aufgehoben wurde,
sollte in erster Linie bewirken, daß die Abbildungen in den Witzblättern und
satyrischen Schriften usw. sich in den von den Behörden als nötig und passend
erachteten Grenzen hielten. Eine systematische Kontrolle der einheimisch-indischen
Presse setzte jedoch erst 1908 unter dem Vizekönig Lord Minto mit einer be¬
sonderen Gesetzgebung für die gesamte indische Presse ein. Bis dahin hatten
sich die staatlichen Autoritäten zur Hauptsache auf die Vorschriften des Aufruhr¬
paragraphen im indischen Strafgesetzbuch gestützt, der ihnen genügend Handhabe
bot, um gegen einen Redakteur oder Drucker vorzugehen, sobald er auf¬
rührerische und sonstwie beleidigende Artikel veröffentlicht hatte. Bis zum Ablauf
der Amtszeit des Lord Curzon waren derartige Anklagen jedoch ziemlich selten.
Seit 1906, als sich die nationalistische Agitation so rasch ausbreitete, erschienen
indische Redakteure und Drucker immer häufiger als Angeklagte vor den Ge¬
richten, die sie zu verschiedenen langen Freiheitsstrafen verurteilten. Dieses
Vorgehen hatte jedoch keineswegs den gewünschten Erfolg. So sah sich die
Regierung Indiens gezwungen, neue durchschlagende gesetzgeberische Maßnahmen
zu treffen.

Durch ein Gesetz vom Jahre 1908 wurde zunächst die Verwaltungs¬
behörde eines Bezirkes ermächtigt, die Konfiszierung mißliebig gewordener
Nummern anzuordnen. Ein weiteres Pressegesetz vom Jahre 1910 übte eine
noch schärfere und durchschlagendere Kontrolle dadurch aus, daß die Forderung
der Kautionsstellung (in Geld) erhoben wurde für sämtliche neu zu begründenden
Zeitungen. Auf Grund dieses Gesetzes müssen die Besitzer aller neuen
Zeitungen darauf vorbereitet sein, daß von ihnen eine Sicherheit bis zu
133 Pfund Sterling gefordert wird, und zwar unter gleichzeitiger Abgabe einer
Erklärung, daß sie die Verantwortung für das zu gründende Organ über¬
nehmen. Geben sie dann zu irgendwelchen Ärgernissen Anlaß, z. B. durch die
Veröffentlichung von Artikeln, die bezwecken, die Regierung in Mißkredit zu
bringen, oder die geeignet sind, zwischen rivalisierenden Gemeinwesen Zwietracht
zu säen usw., so kann die Ortsbehörde die Kaution als verfallen erklären.
Gleichzeitig wird eine weitere Kaution verlangt. Der Verlust der zweiten
Kaution kann bereits die endgültige Aufhebung der Zeitung und die Kon¬
fiszierung der Druckerei nach sich ziehen. Die hier soeben beschriebenen
Gesetzesvorschriften sind noch jetzt in Kraft. Es ist klar, daß sie einen großen
Zwang ausüben. Ja, man kann vielleicht noch besser sagen, daß sie furcht¬
erregend auf die indischen Verleger bzw. Druckereibesitzer wirken. Im Hinblick
auf das Gesetz vom Jahre 1910 ist es denn auch zu erklären, daß die Position
der indischen Presse heute ganz anders und viel ohnmächtiger ist, als sie es
vor fünf bis zehn Jahren war. Ob es jedoch im großen ganzen betrachtet


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[0467] Die Presse Indiens Pressefreiheit ein. Der einzige Vizekönig, der es während der letzten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts für nötig erachtete, diese Freiheit etwas ein¬ zuschränken, war Lord Lytton. Sein Gesetz, betreffend die einheimische Presse, das jedoch nach einigen Jahren von Lord Ripon wieder aufgehoben wurde, sollte in erster Linie bewirken, daß die Abbildungen in den Witzblättern und satyrischen Schriften usw. sich in den von den Behörden als nötig und passend erachteten Grenzen hielten. Eine systematische Kontrolle der einheimisch-indischen Presse setzte jedoch erst 1908 unter dem Vizekönig Lord Minto mit einer be¬ sonderen Gesetzgebung für die gesamte indische Presse ein. Bis dahin hatten sich die staatlichen Autoritäten zur Hauptsache auf die Vorschriften des Aufruhr¬ paragraphen im indischen Strafgesetzbuch gestützt, der ihnen genügend Handhabe bot, um gegen einen Redakteur oder Drucker vorzugehen, sobald er auf¬ rührerische und sonstwie beleidigende Artikel veröffentlicht hatte. Bis zum Ablauf der Amtszeit des Lord Curzon waren derartige Anklagen jedoch ziemlich selten. Seit 1906, als sich die nationalistische Agitation so rasch ausbreitete, erschienen indische Redakteure und Drucker immer häufiger als Angeklagte vor den Ge¬ richten, die sie zu verschiedenen langen Freiheitsstrafen verurteilten. Dieses Vorgehen hatte jedoch keineswegs den gewünschten Erfolg. So sah sich die Regierung Indiens gezwungen, neue durchschlagende gesetzgeberische Maßnahmen zu treffen. Durch ein Gesetz vom Jahre 1908 wurde zunächst die Verwaltungs¬ behörde eines Bezirkes ermächtigt, die Konfiszierung mißliebig gewordener Nummern anzuordnen. Ein weiteres Pressegesetz vom Jahre 1910 übte eine noch schärfere und durchschlagendere Kontrolle dadurch aus, daß die Forderung der Kautionsstellung (in Geld) erhoben wurde für sämtliche neu zu begründenden Zeitungen. Auf Grund dieses Gesetzes müssen die Besitzer aller neuen Zeitungen darauf vorbereitet sein, daß von ihnen eine Sicherheit bis zu 133 Pfund Sterling gefordert wird, und zwar unter gleichzeitiger Abgabe einer Erklärung, daß sie die Verantwortung für das zu gründende Organ über¬ nehmen. Geben sie dann zu irgendwelchen Ärgernissen Anlaß, z. B. durch die Veröffentlichung von Artikeln, die bezwecken, die Regierung in Mißkredit zu bringen, oder die geeignet sind, zwischen rivalisierenden Gemeinwesen Zwietracht zu säen usw., so kann die Ortsbehörde die Kaution als verfallen erklären. Gleichzeitig wird eine weitere Kaution verlangt. Der Verlust der zweiten Kaution kann bereits die endgültige Aufhebung der Zeitung und die Kon¬ fiszierung der Druckerei nach sich ziehen. Die hier soeben beschriebenen Gesetzesvorschriften sind noch jetzt in Kraft. Es ist klar, daß sie einen großen Zwang ausüben. Ja, man kann vielleicht noch besser sagen, daß sie furcht¬ erregend auf die indischen Verleger bzw. Druckereibesitzer wirken. Im Hinblick auf das Gesetz vom Jahre 1910 ist es denn auch zu erklären, daß die Position der indischen Presse heute ganz anders und viel ohnmächtiger ist, als sie es vor fünf bis zehn Jahren war. Ob es jedoch im großen ganzen betrachtet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/467>, abgerufen am 25.07.2024.