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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Die Grundzüge einer Literaturbeurteilung

verkehr erhalten, auch so bleiben, denn wenn etwas wachsen soll, so bedarf es
nicht bloß des nationalen Ackers, der die Saat aufnimmt, der Same muß auch zu
dem Acker passen, muß auch wieder national sein, und nur etwa in der Bearbeitung
des Bodens, in der Züchtung des Samens kann man von Fremden lernen,
Sonnenschein und Regen aber, die das Gedeihen geben, sind auch noch nicht
einmal .international', sondern in ihrem Verhältnis zueinander der Lage und
Bildung des Landes entsprechend." Dies ist eine Philosophie die nach dem
Prinzip verfährt: Gleich und gleich gesellt sich gern! Irgendwelche Wahrheit
steckt nicht darin. Es bedarf des nationalen Ackers, gut! Muß der Same nun
auch wieder national sein? Nein und abermals nein! Wenn der Same nicht
unmittelbar zum Acker paßt, wird der Acker eben bearbeitet: das ist ja gerade
der Inhalt allen geistigen Lebens, das Ziel aller Kultur, das Bartels freilich
nicht anerkennt. Welcher Bauer wird auf seinen Acker nur den Samen säen,
der von Natur her zu dem unbearbeiteten Acker paßt! Es gibt Tausende von
Beispielen in der Geschichte unserer Literatur, daß fast stets internationaler
Samen auf den nationalen Acker paßte, der ja immer so oder so bearbeitet
war! Man denke nur an die Zeit Gottfrieds von Straßburg, der mittel¬
alterlichen Lyrik, des Gotischedianismus u. a.in. Mehr denn je in der Vergangenheit
wird aber der Acker jetzt und für die Zukunft so bearbeitet, daß er jede Art
Samen zu tragen fähig ist, also universale Befruchtung zu nutzen vermag.
Das Verhältnis dieser Gedankenreihe drückt sich im Bilde also wahrheitsgemäß
so aus: der Boden ist national im Gehalt, aber schon universal bearbeitet, die
Wurzel im Boden ist national oder international -- je nach der Herkunft des
Samens --, der nahrhaft ist national-universal und ebenso die Pflanze und
die Frucht, beide in ihrer höchsten Schönheit und Bedeutung aber schließlich rein
universal. Natürlich teilt sich die Aussaat und Befruchtung graduell ein, ist zum
größeren Teile national, zum kleineren international, wie sich infolge der sprachlichen
und staatlichen Gruppierungen von selbst versteht. National und international
ergeben eben den Begriff des Universalen, der durch "Regen und Sonnenschein" in
der Vergangenheit noch stärker national gefärbt wurde, als das in der Gegen¬
wart bereits der Fall ist und in der Zukunft sein wird. Denn alle Kultur
macht sich, in ihrem Bestreben nach dem Universalen hin, immer unabhängiger
von "Regen und Sonnenschein". Jeder Beobachter des wirtschaftlichen Lebens
-- und hier ist die Parallele aus der materiellen Welt zur ideellen hin möglich,
weil es sich um die geistigen Werte, wie sie etwa in maschinellen Erfindungen
zum Ausdruck kommen, des materiellen Lebens handelt -- sei er nun Agrarier
oder sei er Industrieller, wird die gleiche Erfahrung machen, die etwa im
>Maäe in Oermany" politischen Ausdruck findet.

(Fortsetzung folgt)




Die Grundzüge einer Literaturbeurteilung

verkehr erhalten, auch so bleiben, denn wenn etwas wachsen soll, so bedarf es
nicht bloß des nationalen Ackers, der die Saat aufnimmt, der Same muß auch zu
dem Acker passen, muß auch wieder national sein, und nur etwa in der Bearbeitung
des Bodens, in der Züchtung des Samens kann man von Fremden lernen,
Sonnenschein und Regen aber, die das Gedeihen geben, sind auch noch nicht
einmal .international', sondern in ihrem Verhältnis zueinander der Lage und
Bildung des Landes entsprechend." Dies ist eine Philosophie die nach dem
Prinzip verfährt: Gleich und gleich gesellt sich gern! Irgendwelche Wahrheit
steckt nicht darin. Es bedarf des nationalen Ackers, gut! Muß der Same nun
auch wieder national sein? Nein und abermals nein! Wenn der Same nicht
unmittelbar zum Acker paßt, wird der Acker eben bearbeitet: das ist ja gerade
der Inhalt allen geistigen Lebens, das Ziel aller Kultur, das Bartels freilich
nicht anerkennt. Welcher Bauer wird auf seinen Acker nur den Samen säen,
der von Natur her zu dem unbearbeiteten Acker paßt! Es gibt Tausende von
Beispielen in der Geschichte unserer Literatur, daß fast stets internationaler
Samen auf den nationalen Acker paßte, der ja immer so oder so bearbeitet
war! Man denke nur an die Zeit Gottfrieds von Straßburg, der mittel¬
alterlichen Lyrik, des Gotischedianismus u. a.in. Mehr denn je in der Vergangenheit
wird aber der Acker jetzt und für die Zukunft so bearbeitet, daß er jede Art
Samen zu tragen fähig ist, also universale Befruchtung zu nutzen vermag.
Das Verhältnis dieser Gedankenreihe drückt sich im Bilde also wahrheitsgemäß
so aus: der Boden ist national im Gehalt, aber schon universal bearbeitet, die
Wurzel im Boden ist national oder international — je nach der Herkunft des
Samens —, der nahrhaft ist national-universal und ebenso die Pflanze und
die Frucht, beide in ihrer höchsten Schönheit und Bedeutung aber schließlich rein
universal. Natürlich teilt sich die Aussaat und Befruchtung graduell ein, ist zum
größeren Teile national, zum kleineren international, wie sich infolge der sprachlichen
und staatlichen Gruppierungen von selbst versteht. National und international
ergeben eben den Begriff des Universalen, der durch „Regen und Sonnenschein" in
der Vergangenheit noch stärker national gefärbt wurde, als das in der Gegen¬
wart bereits der Fall ist und in der Zukunft sein wird. Denn alle Kultur
macht sich, in ihrem Bestreben nach dem Universalen hin, immer unabhängiger
von „Regen und Sonnenschein". Jeder Beobachter des wirtschaftlichen Lebens
— und hier ist die Parallele aus der materiellen Welt zur ideellen hin möglich,
weil es sich um die geistigen Werte, wie sie etwa in maschinellen Erfindungen
zum Ausdruck kommen, des materiellen Lebens handelt — sei er nun Agrarier
oder sei er Industrieller, wird die gleiche Erfahrung machen, die etwa im
>Maäe in Oermany" politischen Ausdruck findet.

(Fortsetzung folgt)




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[0465] Die Grundzüge einer Literaturbeurteilung verkehr erhalten, auch so bleiben, denn wenn etwas wachsen soll, so bedarf es nicht bloß des nationalen Ackers, der die Saat aufnimmt, der Same muß auch zu dem Acker passen, muß auch wieder national sein, und nur etwa in der Bearbeitung des Bodens, in der Züchtung des Samens kann man von Fremden lernen, Sonnenschein und Regen aber, die das Gedeihen geben, sind auch noch nicht einmal .international', sondern in ihrem Verhältnis zueinander der Lage und Bildung des Landes entsprechend." Dies ist eine Philosophie die nach dem Prinzip verfährt: Gleich und gleich gesellt sich gern! Irgendwelche Wahrheit steckt nicht darin. Es bedarf des nationalen Ackers, gut! Muß der Same nun auch wieder national sein? Nein und abermals nein! Wenn der Same nicht unmittelbar zum Acker paßt, wird der Acker eben bearbeitet: das ist ja gerade der Inhalt allen geistigen Lebens, das Ziel aller Kultur, das Bartels freilich nicht anerkennt. Welcher Bauer wird auf seinen Acker nur den Samen säen, der von Natur her zu dem unbearbeiteten Acker paßt! Es gibt Tausende von Beispielen in der Geschichte unserer Literatur, daß fast stets internationaler Samen auf den nationalen Acker paßte, der ja immer so oder so bearbeitet war! Man denke nur an die Zeit Gottfrieds von Straßburg, der mittel¬ alterlichen Lyrik, des Gotischedianismus u. a.in. Mehr denn je in der Vergangenheit wird aber der Acker jetzt und für die Zukunft so bearbeitet, daß er jede Art Samen zu tragen fähig ist, also universale Befruchtung zu nutzen vermag. Das Verhältnis dieser Gedankenreihe drückt sich im Bilde also wahrheitsgemäß so aus: der Boden ist national im Gehalt, aber schon universal bearbeitet, die Wurzel im Boden ist national oder international — je nach der Herkunft des Samens —, der nahrhaft ist national-universal und ebenso die Pflanze und die Frucht, beide in ihrer höchsten Schönheit und Bedeutung aber schließlich rein universal. Natürlich teilt sich die Aussaat und Befruchtung graduell ein, ist zum größeren Teile national, zum kleineren international, wie sich infolge der sprachlichen und staatlichen Gruppierungen von selbst versteht. National und international ergeben eben den Begriff des Universalen, der durch „Regen und Sonnenschein" in der Vergangenheit noch stärker national gefärbt wurde, als das in der Gegen¬ wart bereits der Fall ist und in der Zukunft sein wird. Denn alle Kultur macht sich, in ihrem Bestreben nach dem Universalen hin, immer unabhängiger von „Regen und Sonnenschein". Jeder Beobachter des wirtschaftlichen Lebens — und hier ist die Parallele aus der materiellen Welt zur ideellen hin möglich, weil es sich um die geistigen Werte, wie sie etwa in maschinellen Erfindungen zum Ausdruck kommen, des materiellen Lebens handelt — sei er nun Agrarier oder sei er Industrieller, wird die gleiche Erfahrung machen, die etwa im >Maäe in Oermany" politischen Ausdruck findet. (Fortsetzung folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/465>, abgerufen am 04.07.2024.