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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Das Aaiserhoch und die Sozialdemokratie

Ungezogenheit, sondern eine planvolle Änderung der sozialdemokratischen
Taktik vor.

Das Protokoll des Jenaer Parteitages der Sozialdemokratie enthält bereits
eine Reihe von Hinweisen. Bei der Diskussion über den Bericht der Reichstags¬
fraktion brachte dort Dr. Rosenfeld das Verhalten der sozialdemokratischen
Parlamentarier gegenüber "höfischen Kundgebungen" zur Sprache, verlangte
eine gründliche Behandlung und generelle Regelung. "Es scheint uns nicht
richtig, daß die Fraktion den Sitzungssaal nicht betritt oder ihn schleunigst
verläßt, wenn solche Kundgebungen erfolgen. Wir wählen unsere Abgeordneten
nicht dazu, daß sie in gewissen Fällen außerhalb des Sitzungssaales sich be-
tätigen, sondern wir wählen sie, damit sie im Sitzungssaale unsere Ausfassung
vertreten, insbesondere auch dann, wenn höfische Kundgebungen vor sich gehen
sollen" (Protokoll S. 348).

Diese Anregung nahm alsbald der Abgeordnete Ledebour auf: "Ich stimme
Rosenfeld zu, daß die Frage der Taktik gegenüber monarchischen Kundgebungen
künstig geändert werden muß. Wir haben in der Fraktion schon bei zwei
Gelegenheiten die Frage erörtert. Wenn eine Änderung bei jenen beiden
Gelegenheiten noch nicht eine Majorität gefunden hat, so lag das daran, daß
damals eine große Anzahl Parteigenossen einwandten: wir können nicht eine
alte bewährte Taktik ohne weiteres ändern auf Grund einer augenblicklichen
Situation. Aber bei Beginn der nächsten Session wollen wir die Sache
gründlich von neuem vornehmen. Ich hoffe, daß dann der Beschluß gesaßt
wird, daß wir künftig bei den fraglichen Anlässen im Saale bleiben, selbst¬
verständlich sitzen bleiben, nicht stehen. Ich muß das betonen, weil vielleicht
sonst infolge eines früheren Vorkommnisses Mißverständnisse bei einzelnen
Genossen entstehen könnten" (Protokoll S. 357).

Diesen Auffassungen des Herrn Ledebour ist von keiner Seite auf dem
Parteitage widersprochen worden. Der Berichterstatter Schulz erklärte in seinem
Schlußworte: "Die Fraktion wird bei ihrem nächsten Zusammentreten Ge¬
legenheit nehmen, in Ruhe und Gründlichkeit die Frage der monarchischen
Kundgebungen zu erörtern ... Die Fraktion wird also ihre Stellung zu dieser
Frage revidieren und vielleicht zu einer anderen Auffassung als der bisherigen
kommen" (Protokoll S. 375).

Das ist alsbald geschehen. Wie der Abgeordnete Heine in den sozialistischen
Monatsheften mitgeteilt hat. ist der Fraktionsbeschluß, beim Kaiserhoch sitzen
zu bleiben, statt wie früher hinauszugehen, mit einer geringen relativen Mehrheit
gefaßt worden. Dem Beschluß hätten sich dann auch solche Abgeordnete gefügt,
die persönlich anderer Meinung gewesen wären.

So wird denn auch der Reichstag die Mittel revidieren müssen, die ihm
gegen Disziplinbruch der Abgeordneten zur Verfügung stehen. Daß er sich
selber für imstande hält, Fragen der Sitzungsdisziplin autonom zu erledigen,
hat er der Reichsregierung bei verschiedenen Gelegenheiten zu verstehen gegeben.


Das Aaiserhoch und die Sozialdemokratie

Ungezogenheit, sondern eine planvolle Änderung der sozialdemokratischen
Taktik vor.

Das Protokoll des Jenaer Parteitages der Sozialdemokratie enthält bereits
eine Reihe von Hinweisen. Bei der Diskussion über den Bericht der Reichstags¬
fraktion brachte dort Dr. Rosenfeld das Verhalten der sozialdemokratischen
Parlamentarier gegenüber „höfischen Kundgebungen" zur Sprache, verlangte
eine gründliche Behandlung und generelle Regelung. „Es scheint uns nicht
richtig, daß die Fraktion den Sitzungssaal nicht betritt oder ihn schleunigst
verläßt, wenn solche Kundgebungen erfolgen. Wir wählen unsere Abgeordneten
nicht dazu, daß sie in gewissen Fällen außerhalb des Sitzungssaales sich be-
tätigen, sondern wir wählen sie, damit sie im Sitzungssaale unsere Ausfassung
vertreten, insbesondere auch dann, wenn höfische Kundgebungen vor sich gehen
sollen" (Protokoll S. 348).

Diese Anregung nahm alsbald der Abgeordnete Ledebour auf: „Ich stimme
Rosenfeld zu, daß die Frage der Taktik gegenüber monarchischen Kundgebungen
künstig geändert werden muß. Wir haben in der Fraktion schon bei zwei
Gelegenheiten die Frage erörtert. Wenn eine Änderung bei jenen beiden
Gelegenheiten noch nicht eine Majorität gefunden hat, so lag das daran, daß
damals eine große Anzahl Parteigenossen einwandten: wir können nicht eine
alte bewährte Taktik ohne weiteres ändern auf Grund einer augenblicklichen
Situation. Aber bei Beginn der nächsten Session wollen wir die Sache
gründlich von neuem vornehmen. Ich hoffe, daß dann der Beschluß gesaßt
wird, daß wir künftig bei den fraglichen Anlässen im Saale bleiben, selbst¬
verständlich sitzen bleiben, nicht stehen. Ich muß das betonen, weil vielleicht
sonst infolge eines früheren Vorkommnisses Mißverständnisse bei einzelnen
Genossen entstehen könnten" (Protokoll S. 357).

Diesen Auffassungen des Herrn Ledebour ist von keiner Seite auf dem
Parteitage widersprochen worden. Der Berichterstatter Schulz erklärte in seinem
Schlußworte: „Die Fraktion wird bei ihrem nächsten Zusammentreten Ge¬
legenheit nehmen, in Ruhe und Gründlichkeit die Frage der monarchischen
Kundgebungen zu erörtern ... Die Fraktion wird also ihre Stellung zu dieser
Frage revidieren und vielleicht zu einer anderen Auffassung als der bisherigen
kommen" (Protokoll S. 375).

Das ist alsbald geschehen. Wie der Abgeordnete Heine in den sozialistischen
Monatsheften mitgeteilt hat. ist der Fraktionsbeschluß, beim Kaiserhoch sitzen
zu bleiben, statt wie früher hinauszugehen, mit einer geringen relativen Mehrheit
gefaßt worden. Dem Beschluß hätten sich dann auch solche Abgeordnete gefügt,
die persönlich anderer Meinung gewesen wären.

So wird denn auch der Reichstag die Mittel revidieren müssen, die ihm
gegen Disziplinbruch der Abgeordneten zur Verfügung stehen. Daß er sich
selber für imstande hält, Fragen der Sitzungsdisziplin autonom zu erledigen,
hat er der Reichsregierung bei verschiedenen Gelegenheiten zu verstehen gegeben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/451>, abgerufen am 24.07.2024.