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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Ein reaktionärer Briefwechsel

aber weder auszuführen noch zu verantworten hat, das über die administrativen
Gesichtspunkte keinerlei Erfahrung, von den gesamtpolitischen Rücksichten, die in
einem Bundesstaat so komplexe sind, und da sie sich zumeist nicht aussprechen
lassen, gewußt werden müssen, keine Kenntnis hat -- woraus soll ein solches
Parlament anders achten, als auf die mögliche Anpassung solcher Gesetze an
das Empfinden der Wähler, an die Sonderinteressen der Verbände, Berufs¬
vereine oder Produzenten, deren Vertreter in den Couloirs, vor den Türen der
Kommissionszimmer lauern, deren Flugblätter auf die Tische der Abgeordneten
fliegen und deren Proteste und Desiderats die Zeitungen füllen?

So haben wir denn eine Steuergesetzgebung bekommen, in der um der
Gerechtigkeit willen, die in diese ungerechte Welt einzuführen weder die wesentliche
noch eine überhaupt mögliche Aufgabe von Steuern ist, Paragraphen über
Paragraphen mit Klauseln und Ausnahmen überhäuft sind, so daß auch der
Gebildete in diesem Labyrinth sich nicht mehr zurechtfindet, und in jeder Stadt
Privatinstitute, die die Abfassung von Steuererklärungen übernehmen, blühen
und gedeihen können. Man hat auf diese Weise wenn auch nicht die Gerechtig¬
keit, so doch die Zahl der Beamten, die diese Steuern nachzurechnen und zu
verwalten haben, erhöht, also die Arbeiter vermehrt, die die Maschine zu bedienen
haben, und somit den Betriebsaufwand gesteigert. Man muß ein Drittel mehr
Geld nehmen als man nötig hat, weil man mit diesem Drittel die Kosten des
Geldnehmens bestreiten muß. Wir haben Steuern, bei denen mehr als die
Hälfte des Bruttoertrages auf die Kosten der Veranlagung geht, andere, wie
die Fahrkartensteuer, die dem Eisenbahnfiskus der Einzelstaaten mehr kostet, als
sie dem Steuerfiskus des Reichs einbringt. Und warum das alles? Weil wir
ein Parlament haben, das nur an die Popularität seiner Beschlüsse, nicht an
die administrative Ausführbarkeit zu denken nötig hat, das der demokratischen
Abneigung gegen die erster Klasse fahrenden Leute durch eine Staffelung der
Fahrkartensteucr Ausdruck gibt, ohne zu bedenken, daß man durch eine solche
Maßregel die Leute daran hindert, in die erste Klasse aufzusteigen, aus ihr die
weniger Reichen zugunsten der Reichsten entfernt, also einen durchaus undemo¬
kratischen Effekt erzielt, der noch dazu durch die Abwanderung in billigere Klassen
den Eisenbahnfiskus der Einzelstaaten schädigt.

Aus den gleichen Gründen sind wir schließlich soweit gekommen, daß wir,
die wir weltpolitisch und weltwirtschaftlich infolge mangelnden Sparsinns an
einer zu geringen Kapitalbildung kranken, die wir jährlich vier Milliarden Mark
für Bier ausgeben, eine Steuer auf die Sparsamkeit gelegt haben, statt auf
das Bier. Aus dem einfachen Grunde, weil es mehr Biertrinker gibt, die
Wähler sind, als Leute, die sich durch die Früchte ihrer eigenen Arbeit in die
Höhe arbeiten wollen. Wenn dann die Einsichtigen jammern, so klagen sie
immer die Regierung an, als ob die unglückliche Regierung, wenn sie Geld für
die als unausweichlich bezeichneten Bedürfnisse der Landesverteidigung braucht,
vom Reichstag andere Steuern fordern könnte, als dieser zu bewilligen besten-
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Ein reaktionärer Briefwechsel

aber weder auszuführen noch zu verantworten hat, das über die administrativen
Gesichtspunkte keinerlei Erfahrung, von den gesamtpolitischen Rücksichten, die in
einem Bundesstaat so komplexe sind, und da sie sich zumeist nicht aussprechen
lassen, gewußt werden müssen, keine Kenntnis hat — woraus soll ein solches
Parlament anders achten, als auf die mögliche Anpassung solcher Gesetze an
das Empfinden der Wähler, an die Sonderinteressen der Verbände, Berufs¬
vereine oder Produzenten, deren Vertreter in den Couloirs, vor den Türen der
Kommissionszimmer lauern, deren Flugblätter auf die Tische der Abgeordneten
fliegen und deren Proteste und Desiderats die Zeitungen füllen?

So haben wir denn eine Steuergesetzgebung bekommen, in der um der
Gerechtigkeit willen, die in diese ungerechte Welt einzuführen weder die wesentliche
noch eine überhaupt mögliche Aufgabe von Steuern ist, Paragraphen über
Paragraphen mit Klauseln und Ausnahmen überhäuft sind, so daß auch der
Gebildete in diesem Labyrinth sich nicht mehr zurechtfindet, und in jeder Stadt
Privatinstitute, die die Abfassung von Steuererklärungen übernehmen, blühen
und gedeihen können. Man hat auf diese Weise wenn auch nicht die Gerechtig¬
keit, so doch die Zahl der Beamten, die diese Steuern nachzurechnen und zu
verwalten haben, erhöht, also die Arbeiter vermehrt, die die Maschine zu bedienen
haben, und somit den Betriebsaufwand gesteigert. Man muß ein Drittel mehr
Geld nehmen als man nötig hat, weil man mit diesem Drittel die Kosten des
Geldnehmens bestreiten muß. Wir haben Steuern, bei denen mehr als die
Hälfte des Bruttoertrages auf die Kosten der Veranlagung geht, andere, wie
die Fahrkartensteuer, die dem Eisenbahnfiskus der Einzelstaaten mehr kostet, als
sie dem Steuerfiskus des Reichs einbringt. Und warum das alles? Weil wir
ein Parlament haben, das nur an die Popularität seiner Beschlüsse, nicht an
die administrative Ausführbarkeit zu denken nötig hat, das der demokratischen
Abneigung gegen die erster Klasse fahrenden Leute durch eine Staffelung der
Fahrkartensteucr Ausdruck gibt, ohne zu bedenken, daß man durch eine solche
Maßregel die Leute daran hindert, in die erste Klasse aufzusteigen, aus ihr die
weniger Reichen zugunsten der Reichsten entfernt, also einen durchaus undemo¬
kratischen Effekt erzielt, der noch dazu durch die Abwanderung in billigere Klassen
den Eisenbahnfiskus der Einzelstaaten schädigt.

Aus den gleichen Gründen sind wir schließlich soweit gekommen, daß wir,
die wir weltpolitisch und weltwirtschaftlich infolge mangelnden Sparsinns an
einer zu geringen Kapitalbildung kranken, die wir jährlich vier Milliarden Mark
für Bier ausgeben, eine Steuer auf die Sparsamkeit gelegt haben, statt auf
das Bier. Aus dem einfachen Grunde, weil es mehr Biertrinker gibt, die
Wähler sind, als Leute, die sich durch die Früchte ihrer eigenen Arbeit in die
Höhe arbeiten wollen. Wenn dann die Einsichtigen jammern, so klagen sie
immer die Regierung an, als ob die unglückliche Regierung, wenn sie Geld für
die als unausweichlich bezeichneten Bedürfnisse der Landesverteidigung braucht,
vom Reichstag andere Steuern fordern könnte, als dieser zu bewilligen besten-
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[0447] Ein reaktionärer Briefwechsel aber weder auszuführen noch zu verantworten hat, das über die administrativen Gesichtspunkte keinerlei Erfahrung, von den gesamtpolitischen Rücksichten, die in einem Bundesstaat so komplexe sind, und da sie sich zumeist nicht aussprechen lassen, gewußt werden müssen, keine Kenntnis hat — woraus soll ein solches Parlament anders achten, als auf die mögliche Anpassung solcher Gesetze an das Empfinden der Wähler, an die Sonderinteressen der Verbände, Berufs¬ vereine oder Produzenten, deren Vertreter in den Couloirs, vor den Türen der Kommissionszimmer lauern, deren Flugblätter auf die Tische der Abgeordneten fliegen und deren Proteste und Desiderats die Zeitungen füllen? So haben wir denn eine Steuergesetzgebung bekommen, in der um der Gerechtigkeit willen, die in diese ungerechte Welt einzuführen weder die wesentliche noch eine überhaupt mögliche Aufgabe von Steuern ist, Paragraphen über Paragraphen mit Klauseln und Ausnahmen überhäuft sind, so daß auch der Gebildete in diesem Labyrinth sich nicht mehr zurechtfindet, und in jeder Stadt Privatinstitute, die die Abfassung von Steuererklärungen übernehmen, blühen und gedeihen können. Man hat auf diese Weise wenn auch nicht die Gerechtig¬ keit, so doch die Zahl der Beamten, die diese Steuern nachzurechnen und zu verwalten haben, erhöht, also die Arbeiter vermehrt, die die Maschine zu bedienen haben, und somit den Betriebsaufwand gesteigert. Man muß ein Drittel mehr Geld nehmen als man nötig hat, weil man mit diesem Drittel die Kosten des Geldnehmens bestreiten muß. Wir haben Steuern, bei denen mehr als die Hälfte des Bruttoertrages auf die Kosten der Veranlagung geht, andere, wie die Fahrkartensteuer, die dem Eisenbahnfiskus der Einzelstaaten mehr kostet, als sie dem Steuerfiskus des Reichs einbringt. Und warum das alles? Weil wir ein Parlament haben, das nur an die Popularität seiner Beschlüsse, nicht an die administrative Ausführbarkeit zu denken nötig hat, das der demokratischen Abneigung gegen die erster Klasse fahrenden Leute durch eine Staffelung der Fahrkartensteucr Ausdruck gibt, ohne zu bedenken, daß man durch eine solche Maßregel die Leute daran hindert, in die erste Klasse aufzusteigen, aus ihr die weniger Reichen zugunsten der Reichsten entfernt, also einen durchaus undemo¬ kratischen Effekt erzielt, der noch dazu durch die Abwanderung in billigere Klassen den Eisenbahnfiskus der Einzelstaaten schädigt. Aus den gleichen Gründen sind wir schließlich soweit gekommen, daß wir, die wir weltpolitisch und weltwirtschaftlich infolge mangelnden Sparsinns an einer zu geringen Kapitalbildung kranken, die wir jährlich vier Milliarden Mark für Bier ausgeben, eine Steuer auf die Sparsamkeit gelegt haben, statt auf das Bier. Aus dem einfachen Grunde, weil es mehr Biertrinker gibt, die Wähler sind, als Leute, die sich durch die Früchte ihrer eigenen Arbeit in die Höhe arbeiten wollen. Wenn dann die Einsichtigen jammern, so klagen sie immer die Regierung an, als ob die unglückliche Regierung, wenn sie Geld für die als unausweichlich bezeichneten Bedürfnisse der Landesverteidigung braucht, vom Reichstag andere Steuern fordern könnte, als dieser zu bewilligen besten- * 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/447>, abgerufen am 04.07.2024.