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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Das ZVahlproblem

worden sei, und dessen Ersatz durch ein neues, den modernen Anschauungen
angepaßtes Wahlsystem gelegentlich des letzten Reformversuches von der großen
Mehrzahl des preußischen Volkes erhofft wurde. Wer möchte behaupten, daß
er diese Hoffnung als erfüllt betrachtet habe, als die einzelnen Bestimmungen
jenes Regierungsentwurfes bekannt wurden? Sicherlich niemand! Denn der
Kern des ganzen Wahlgesetzes, die Abstufung der drei gleichbewerteten Steuer¬
klassen, war in dem Reformentwurfe unangetastet geblieben; der Effekt dieser
Abstufung aber mußte durch eine sehr umständliche Prozentrechnung erreicht
werden, da man auf die indirekte Wahl verzichtet hatte; beibehalten war ferner
auch die Öffentlichkeit der Wahl. So erstreckte sich die eigentliche "Reform"
im wesentlichen nur auf Nebensachen: man hatte sich bemüht, die Härten des
Systems in der Zusammensetzung der drei Klassen zu mildern. Zu dem Zwecke
war einmal die Vorherrschaft der Multimillionäre in der ersten Klasse durch die
sogenannte "Maximierung", d.h. durch die Bestimmung beschnitten, daß, wenn
der Gesamtsteuerbetrag eines Wählers die Summe von 5000 Mark überstiege,
dieser Überschuß bei der Drittelung der Steuerbeträge nicht zur Anrechnung
kommen sollte. Sodann hatte man kein Bedenken getragen, das ganze System,
das keine Persönlichkeiten kennt, sondern nur Steuerbeträge personifiziert, zu¬
gunsten der Bildung und öffentlicher Verdienste zu durchbrechen, indem umfang¬
reiche Schiebungen in höhere Klassen vorgeschlagen wurden: so sollten von den
Wählern der zweiten und dritten Abteilung der nächst höheren zugewiesen
werden diejenigen, die eine akademische Prüfung abgelegt haben, die Mitglieder
des Reichstags, des Landtags, verschiedener Behörden, die früheren Offiziere,
von den Wählern der dritten Abteilung der zweiten diejenigen, die das Ein¬
jährigenzeugnis besitzen, die Mitglieder verschiedener mittlerer Behörden, endlich
die früheren Unteroffiziere, die im Besitze des Zivilversorgungsscheines sind.

Es würde nun die Aufgabe dieses Aufsatzes bedeutend übersteigen, die
Schicksale des Reformentwurfes in der Kommission und sodann im Plenum
des Abgeordnetenhauses genauer zu verfolgen. Für den Entwurf traten nur
die Konservativen ein, nachdem sie ausdrücklich hervorgehoben, daß sie eigentlich
die Reformbedürftigkeit des bestehenden preußischen Wahlgesetzes nicht anerkennen
könnten, immerhin aber dem höheren Orts ausgesprochenen Wunsche nach einer
solchen Reform nicht widerstreben möchten; die übrigen Parteien verhielten sich
im Prinzip gegen den vorgelegten Entwurf durchaus ablehnend: während die
Linke und das Zentrum sich zum geheimen, direkten und gleichen Wahlrecht
bekannten, gaben die Nationalliberalen ihrer Vorliebe für ein geheimes, direktes,
aber nicht gleiches Wahlrecht, das sogenannte Pluralwahlrecht, Ausdruck. So
wäre das Schicksal der Vorlage von vornherein entschieden gewesen, wenn nicht
der Wunsch, wenigstens in etwas das bestehende Wahlrecht zu bessern, das Ver¬
langen nach Kommissionsberatung gezeitigt hätte. Bei dieser aber spielte sich
sehr bald genau derselbe Vorgang ab wie bei den gleichzeitigen denkwürdigen
Sitzungen der Steuerkommission des Reichstags: der Januskopf des Zentrums,


Das ZVahlproblem

worden sei, und dessen Ersatz durch ein neues, den modernen Anschauungen
angepaßtes Wahlsystem gelegentlich des letzten Reformversuches von der großen
Mehrzahl des preußischen Volkes erhofft wurde. Wer möchte behaupten, daß
er diese Hoffnung als erfüllt betrachtet habe, als die einzelnen Bestimmungen
jenes Regierungsentwurfes bekannt wurden? Sicherlich niemand! Denn der
Kern des ganzen Wahlgesetzes, die Abstufung der drei gleichbewerteten Steuer¬
klassen, war in dem Reformentwurfe unangetastet geblieben; der Effekt dieser
Abstufung aber mußte durch eine sehr umständliche Prozentrechnung erreicht
werden, da man auf die indirekte Wahl verzichtet hatte; beibehalten war ferner
auch die Öffentlichkeit der Wahl. So erstreckte sich die eigentliche „Reform"
im wesentlichen nur auf Nebensachen: man hatte sich bemüht, die Härten des
Systems in der Zusammensetzung der drei Klassen zu mildern. Zu dem Zwecke
war einmal die Vorherrschaft der Multimillionäre in der ersten Klasse durch die
sogenannte „Maximierung", d.h. durch die Bestimmung beschnitten, daß, wenn
der Gesamtsteuerbetrag eines Wählers die Summe von 5000 Mark überstiege,
dieser Überschuß bei der Drittelung der Steuerbeträge nicht zur Anrechnung
kommen sollte. Sodann hatte man kein Bedenken getragen, das ganze System,
das keine Persönlichkeiten kennt, sondern nur Steuerbeträge personifiziert, zu¬
gunsten der Bildung und öffentlicher Verdienste zu durchbrechen, indem umfang¬
reiche Schiebungen in höhere Klassen vorgeschlagen wurden: so sollten von den
Wählern der zweiten und dritten Abteilung der nächst höheren zugewiesen
werden diejenigen, die eine akademische Prüfung abgelegt haben, die Mitglieder
des Reichstags, des Landtags, verschiedener Behörden, die früheren Offiziere,
von den Wählern der dritten Abteilung der zweiten diejenigen, die das Ein¬
jährigenzeugnis besitzen, die Mitglieder verschiedener mittlerer Behörden, endlich
die früheren Unteroffiziere, die im Besitze des Zivilversorgungsscheines sind.

Es würde nun die Aufgabe dieses Aufsatzes bedeutend übersteigen, die
Schicksale des Reformentwurfes in der Kommission und sodann im Plenum
des Abgeordnetenhauses genauer zu verfolgen. Für den Entwurf traten nur
die Konservativen ein, nachdem sie ausdrücklich hervorgehoben, daß sie eigentlich
die Reformbedürftigkeit des bestehenden preußischen Wahlgesetzes nicht anerkennen
könnten, immerhin aber dem höheren Orts ausgesprochenen Wunsche nach einer
solchen Reform nicht widerstreben möchten; die übrigen Parteien verhielten sich
im Prinzip gegen den vorgelegten Entwurf durchaus ablehnend: während die
Linke und das Zentrum sich zum geheimen, direkten und gleichen Wahlrecht
bekannten, gaben die Nationalliberalen ihrer Vorliebe für ein geheimes, direktes,
aber nicht gleiches Wahlrecht, das sogenannte Pluralwahlrecht, Ausdruck. So
wäre das Schicksal der Vorlage von vornherein entschieden gewesen, wenn nicht
der Wunsch, wenigstens in etwas das bestehende Wahlrecht zu bessern, das Ver¬
langen nach Kommissionsberatung gezeitigt hätte. Bei dieser aber spielte sich
sehr bald genau derselbe Vorgang ab wie bei den gleichzeitigen denkwürdigen
Sitzungen der Steuerkommission des Reichstags: der Januskopf des Zentrums,


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[0401] Das ZVahlproblem worden sei, und dessen Ersatz durch ein neues, den modernen Anschauungen angepaßtes Wahlsystem gelegentlich des letzten Reformversuches von der großen Mehrzahl des preußischen Volkes erhofft wurde. Wer möchte behaupten, daß er diese Hoffnung als erfüllt betrachtet habe, als die einzelnen Bestimmungen jenes Regierungsentwurfes bekannt wurden? Sicherlich niemand! Denn der Kern des ganzen Wahlgesetzes, die Abstufung der drei gleichbewerteten Steuer¬ klassen, war in dem Reformentwurfe unangetastet geblieben; der Effekt dieser Abstufung aber mußte durch eine sehr umständliche Prozentrechnung erreicht werden, da man auf die indirekte Wahl verzichtet hatte; beibehalten war ferner auch die Öffentlichkeit der Wahl. So erstreckte sich die eigentliche „Reform" im wesentlichen nur auf Nebensachen: man hatte sich bemüht, die Härten des Systems in der Zusammensetzung der drei Klassen zu mildern. Zu dem Zwecke war einmal die Vorherrschaft der Multimillionäre in der ersten Klasse durch die sogenannte „Maximierung", d.h. durch die Bestimmung beschnitten, daß, wenn der Gesamtsteuerbetrag eines Wählers die Summe von 5000 Mark überstiege, dieser Überschuß bei der Drittelung der Steuerbeträge nicht zur Anrechnung kommen sollte. Sodann hatte man kein Bedenken getragen, das ganze System, das keine Persönlichkeiten kennt, sondern nur Steuerbeträge personifiziert, zu¬ gunsten der Bildung und öffentlicher Verdienste zu durchbrechen, indem umfang¬ reiche Schiebungen in höhere Klassen vorgeschlagen wurden: so sollten von den Wählern der zweiten und dritten Abteilung der nächst höheren zugewiesen werden diejenigen, die eine akademische Prüfung abgelegt haben, die Mitglieder des Reichstags, des Landtags, verschiedener Behörden, die früheren Offiziere, von den Wählern der dritten Abteilung der zweiten diejenigen, die das Ein¬ jährigenzeugnis besitzen, die Mitglieder verschiedener mittlerer Behörden, endlich die früheren Unteroffiziere, die im Besitze des Zivilversorgungsscheines sind. Es würde nun die Aufgabe dieses Aufsatzes bedeutend übersteigen, die Schicksale des Reformentwurfes in der Kommission und sodann im Plenum des Abgeordnetenhauses genauer zu verfolgen. Für den Entwurf traten nur die Konservativen ein, nachdem sie ausdrücklich hervorgehoben, daß sie eigentlich die Reformbedürftigkeit des bestehenden preußischen Wahlgesetzes nicht anerkennen könnten, immerhin aber dem höheren Orts ausgesprochenen Wunsche nach einer solchen Reform nicht widerstreben möchten; die übrigen Parteien verhielten sich im Prinzip gegen den vorgelegten Entwurf durchaus ablehnend: während die Linke und das Zentrum sich zum geheimen, direkten und gleichen Wahlrecht bekannten, gaben die Nationalliberalen ihrer Vorliebe für ein geheimes, direktes, aber nicht gleiches Wahlrecht, das sogenannte Pluralwahlrecht, Ausdruck. So wäre das Schicksal der Vorlage von vornherein entschieden gewesen, wenn nicht der Wunsch, wenigstens in etwas das bestehende Wahlrecht zu bessern, das Ver¬ langen nach Kommissionsberatung gezeitigt hätte. Bei dieser aber spielte sich sehr bald genau derselbe Vorgang ab wie bei den gleichzeitigen denkwürdigen Sitzungen der Steuerkommission des Reichstags: der Januskopf des Zentrums,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/401>, abgerufen am 25.07.2024.