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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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trachten wird. Es fehlt ihnen eine gewisse
Klarheit und Frische; sinnend reicht das Alter
der Jugend die Hand; ein Scheideblick, ein
Abschied vom Sommer. Nun wird reifer,
ertragreicher, gütiger Herbst . . . Frauen¬
schicksale kündet uns A. de Nori" in seinen
"Madonnen" (Leipzig, L. Staackmann), ver¬
steckte, zehrende Leiden und Enttäuschungen.
Er weiß zu fesseln und mitunter zu er¬
greifen; trotz aller Realistik schlingen sich doch
geheime, zarte Schilderungen voll reiner Lyrik
durch diese herben, grausamen Versnovellen.
Man betrachte daraufhin den Anfang des
fünften und der beiden letzten Stücke. Hinter
diesem Buche steht ein gütiger, verstehender
Dichter, dem das Menschenherz in seinen
Qualen vertraut und teuer ist. Breitaus-
lndende Verse und umfängliche Schilderungen
gibt Ernst Tendler in dem "Ausbruch"
(Leipzig, Verlag der Weißen Bücher). Etwas
von Walt Whitman lebt in seinen Strophen,
ein kräftiges Allgefühl, ein weites Umfangen
aller Dinge. Nicht immer sind seine Bilder
treffend, unmittelbar; aber daneben stehen
Prächtige Gleichnisse.

Hier redet einer, der wirklich etwas zu
sagen hat, der abseits der Heerstraße schreitet;
nicht in fremder, kühler Ferne, sondern
suchend, verlangend, werbend. Ich gestehe,
daß die langgestreckten Verse manchmal er¬
müden und auch unnötige Füllworle auf¬
weisen; im ganzen freilich überwiegt der
günstige Eindruck und bleibt. Über Paul
Zech konnte ich schon früher manches Gute
sagen. Sein letztes Buch "Die eiserne
Brücke" (Leipzig, Verlag der Weißen Bücher)
offenbart einen schönen Fortschritt. Er ist
kräftiger, bedeutsamer, erdfester geworden.
Vielleicht knüpft er an VerhaerenS "l^Sö i?Is.-
manclos" an; er liebt gleichfalls das Sonett,
wenn er es auch freier formt; er sucht im

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Geringsten den bleibenden, fortpflanzenden
Wert. Eine Gefahr allerdings muß Zech
umgehen: er ist allzustark darauf bedacht,
nach Vergleichen zu spüren; so verflüchtigt sich
das Gegenständliche leicht ins Gegenstandlose.
Kann eine Novembernacht die Atemzüge "ver-
steinen"?" Ist es nicht sehr gewagt, von
"grünbeliderten" Fenstern zu reden? Und so
könnte ich noch mancherlei, meiner Ansicht
nach Verfehltes anführen. Aber ich glaube,
diese Irrtümer erwachsen nur aus allzudrän¬
gender Kraft, der man leicht den Damm der
Besonnenheit entgegenstellen kann. Paul Zech
ist kühn und freudig, und darum ist er eine
Verheißung. Dein schwellenden Frühling wird
ein reifender Sommer folgen. Ich freue mich,
ihm als kräftig Aufsteigendem begegnet zu sein!
Eine Überraschung bot mir das Buch "Im
Feld und Firnelicht" von Fridolin Hofer
(Kempten und München, Köselsche Buchhand¬
lung). Hier weht freie, kühne, labende Lust.
Reiches Pleinair. Ich begrüße einen Starken,
einen Frohen I All diese Lieder sind erlebt.
Wieviel treffende, wundervolle Bilder! Hier
ein kurzes Beispiel:

Schildwache
Mit Verworfnein Mittnachtspuke
Fegt der Föhn durch das Gefild.
War's nicht, ob ein Schwerthieb mele?
Aus zerfetzter Wolkenluke
Klemme ein Berg den Weißen Schild.

Oder man lese "Novembertag", "spätes
Pflügen", "Glühende Asche", "In Gärung",
"Heimlicher Zauber". Hofer ist Schweizer;
in seinen echten, schönen Gedichten liegt
"das große stille Leuchten" Conrad Ferdinand
Meyers. Ich sage: nehmt und lest! An
C. F. Meyer gemahnt auch Adolf Frey
in seinen "Gedichten" (Leipzig, Haessels
Verlag". Auch er liebt gereimte Verspaare,
auch er schreibt kräftige Balladen oder schlichte
Legenden. Aber er besitzt noch etwas mehr:
einen kecken, krausen Humor. Man lese "Die
Kinder der Muße" oder den "Sturm". Seine
Verden sind von ungewöhnlicher Plastik, er
scheut nicht vor Provinzialismen zurück; er
sieht frei umher, und überall findet er Mythen
und frische, unverbrauchte Schönheit. Gewiß
erreicht er Meyers monumentale, knappe

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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trachten wird. Es fehlt ihnen eine gewisse
Klarheit und Frische; sinnend reicht das Alter
der Jugend die Hand; ein Scheideblick, ein
Abschied vom Sommer. Nun wird reifer,
ertragreicher, gütiger Herbst . . . Frauen¬
schicksale kündet uns A. de Nori» in seinen
„Madonnen" (Leipzig, L. Staackmann), ver¬
steckte, zehrende Leiden und Enttäuschungen.
Er weiß zu fesseln und mitunter zu er¬
greifen; trotz aller Realistik schlingen sich doch
geheime, zarte Schilderungen voll reiner Lyrik
durch diese herben, grausamen Versnovellen.
Man betrachte daraufhin den Anfang des
fünften und der beiden letzten Stücke. Hinter
diesem Buche steht ein gütiger, verstehender
Dichter, dem das Menschenherz in seinen
Qualen vertraut und teuer ist. Breitaus-
lndende Verse und umfängliche Schilderungen
gibt Ernst Tendler in dem „Ausbruch"
(Leipzig, Verlag der Weißen Bücher). Etwas
von Walt Whitman lebt in seinen Strophen,
ein kräftiges Allgefühl, ein weites Umfangen
aller Dinge. Nicht immer sind seine Bilder
treffend, unmittelbar; aber daneben stehen
Prächtige Gleichnisse.

Hier redet einer, der wirklich etwas zu
sagen hat, der abseits der Heerstraße schreitet;
nicht in fremder, kühler Ferne, sondern
suchend, verlangend, werbend. Ich gestehe,
daß die langgestreckten Verse manchmal er¬
müden und auch unnötige Füllworle auf¬
weisen; im ganzen freilich überwiegt der
günstige Eindruck und bleibt. Über Paul
Zech konnte ich schon früher manches Gute
sagen. Sein letztes Buch „Die eiserne
Brücke" (Leipzig, Verlag der Weißen Bücher)
offenbart einen schönen Fortschritt. Er ist
kräftiger, bedeutsamer, erdfester geworden.
Vielleicht knüpft er an VerhaerenS „l^Sö i?Is.-
manclos" an; er liebt gleichfalls das Sonett,
wenn er es auch freier formt; er sucht im

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Geringsten den bleibenden, fortpflanzenden
Wert. Eine Gefahr allerdings muß Zech
umgehen: er ist allzustark darauf bedacht,
nach Vergleichen zu spüren; so verflüchtigt sich
das Gegenständliche leicht ins Gegenstandlose.
Kann eine Novembernacht die Atemzüge „ver-
steinen"?" Ist es nicht sehr gewagt, von
„grünbeliderten" Fenstern zu reden? Und so
könnte ich noch mancherlei, meiner Ansicht
nach Verfehltes anführen. Aber ich glaube,
diese Irrtümer erwachsen nur aus allzudrän¬
gender Kraft, der man leicht den Damm der
Besonnenheit entgegenstellen kann. Paul Zech
ist kühn und freudig, und darum ist er eine
Verheißung. Dein schwellenden Frühling wird
ein reifender Sommer folgen. Ich freue mich,
ihm als kräftig Aufsteigendem begegnet zu sein!
Eine Überraschung bot mir das Buch „Im
Feld und Firnelicht" von Fridolin Hofer
(Kempten und München, Köselsche Buchhand¬
lung). Hier weht freie, kühne, labende Lust.
Reiches Pleinair. Ich begrüße einen Starken,
einen Frohen I All diese Lieder sind erlebt.
Wieviel treffende, wundervolle Bilder! Hier
ein kurzes Beispiel:

Schildwache
Mit Verworfnein Mittnachtspuke
Fegt der Föhn durch das Gefild.
War's nicht, ob ein Schwerthieb mele?
Aus zerfetzter Wolkenluke
Klemme ein Berg den Weißen Schild.

Oder man lese „Novembertag", „spätes
Pflügen", „Glühende Asche", „In Gärung",
„Heimlicher Zauber". Hofer ist Schweizer;
in seinen echten, schönen Gedichten liegt
„das große stille Leuchten" Conrad Ferdinand
Meyers. Ich sage: nehmt und lest! An
C. F. Meyer gemahnt auch Adolf Frey
in seinen „Gedichten" (Leipzig, Haessels
Verlag». Auch er liebt gereimte Verspaare,
auch er schreibt kräftige Balladen oder schlichte
Legenden. Aber er besitzt noch etwas mehr:
einen kecken, krausen Humor. Man lese „Die
Kinder der Muße" oder den „Sturm". Seine
Verden sind von ungewöhnlicher Plastik, er
scheut nicht vor Provinzialismen zurück; er
sieht frei umher, und überall findet er Mythen
und frische, unverbrauchte Schönheit. Gewiß
erreicht er Meyers monumentale, knappe

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[0393] Maßgebliches und Unmaßgebliches trachten wird. Es fehlt ihnen eine gewisse Klarheit und Frische; sinnend reicht das Alter der Jugend die Hand; ein Scheideblick, ein Abschied vom Sommer. Nun wird reifer, ertragreicher, gütiger Herbst . . . Frauen¬ schicksale kündet uns A. de Nori» in seinen „Madonnen" (Leipzig, L. Staackmann), ver¬ steckte, zehrende Leiden und Enttäuschungen. Er weiß zu fesseln und mitunter zu er¬ greifen; trotz aller Realistik schlingen sich doch geheime, zarte Schilderungen voll reiner Lyrik durch diese herben, grausamen Versnovellen. Man betrachte daraufhin den Anfang des fünften und der beiden letzten Stücke. Hinter diesem Buche steht ein gütiger, verstehender Dichter, dem das Menschenherz in seinen Qualen vertraut und teuer ist. Breitaus- lndende Verse und umfängliche Schilderungen gibt Ernst Tendler in dem „Ausbruch" (Leipzig, Verlag der Weißen Bücher). Etwas von Walt Whitman lebt in seinen Strophen, ein kräftiges Allgefühl, ein weites Umfangen aller Dinge. Nicht immer sind seine Bilder treffend, unmittelbar; aber daneben stehen Prächtige Gleichnisse. Hier redet einer, der wirklich etwas zu sagen hat, der abseits der Heerstraße schreitet; nicht in fremder, kühler Ferne, sondern suchend, verlangend, werbend. Ich gestehe, daß die langgestreckten Verse manchmal er¬ müden und auch unnötige Füllworle auf¬ weisen; im ganzen freilich überwiegt der günstige Eindruck und bleibt. Über Paul Zech konnte ich schon früher manches Gute sagen. Sein letztes Buch „Die eiserne Brücke" (Leipzig, Verlag der Weißen Bücher) offenbart einen schönen Fortschritt. Er ist kräftiger, bedeutsamer, erdfester geworden. Vielleicht knüpft er an VerhaerenS „l^Sö i?Is.- manclos" an; er liebt gleichfalls das Sonett, wenn er es auch freier formt; er sucht im Geringsten den bleibenden, fortpflanzenden Wert. Eine Gefahr allerdings muß Zech umgehen: er ist allzustark darauf bedacht, nach Vergleichen zu spüren; so verflüchtigt sich das Gegenständliche leicht ins Gegenstandlose. Kann eine Novembernacht die Atemzüge „ver- steinen"?" Ist es nicht sehr gewagt, von „grünbeliderten" Fenstern zu reden? Und so könnte ich noch mancherlei, meiner Ansicht nach Verfehltes anführen. Aber ich glaube, diese Irrtümer erwachsen nur aus allzudrän¬ gender Kraft, der man leicht den Damm der Besonnenheit entgegenstellen kann. Paul Zech ist kühn und freudig, und darum ist er eine Verheißung. Dein schwellenden Frühling wird ein reifender Sommer folgen. Ich freue mich, ihm als kräftig Aufsteigendem begegnet zu sein! Eine Überraschung bot mir das Buch „Im Feld und Firnelicht" von Fridolin Hofer (Kempten und München, Köselsche Buchhand¬ lung). Hier weht freie, kühne, labende Lust. Reiches Pleinair. Ich begrüße einen Starken, einen Frohen I All diese Lieder sind erlebt. Wieviel treffende, wundervolle Bilder! Hier ein kurzes Beispiel: Schildwache Mit Verworfnein Mittnachtspuke Fegt der Föhn durch das Gefild. War's nicht, ob ein Schwerthieb mele? Aus zerfetzter Wolkenluke Klemme ein Berg den Weißen Schild. Oder man lese „Novembertag", „spätes Pflügen", „Glühende Asche", „In Gärung", „Heimlicher Zauber". Hofer ist Schweizer; in seinen echten, schönen Gedichten liegt „das große stille Leuchten" Conrad Ferdinand Meyers. Ich sage: nehmt und lest! An C. F. Meyer gemahnt auch Adolf Frey in seinen „Gedichten" (Leipzig, Haessels Verlag». Auch er liebt gereimte Verspaare, auch er schreibt kräftige Balladen oder schlichte Legenden. Aber er besitzt noch etwas mehr: einen kecken, krausen Humor. Man lese „Die Kinder der Muße" oder den „Sturm". Seine Verden sind von ungewöhnlicher Plastik, er scheut nicht vor Provinzialismen zurück; er sieht frei umher, und überall findet er Mythen und frische, unverbrauchte Schönheit. Gewiß erreicht er Meyers monumentale, knappe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/393>, abgerufen am 21.06.2024.