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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Elisabeth Paulsen (Leipzig, Insel-Verlag)
mich stärker gefesselt. Es sind Impressionen,
meist in regellosen Versen, ohne bestimmte
Reime. Nichts Weiches, Schmiegsames; viele
Härten und Rauheiten. Was Elisabeth
Paulsen sagt, ist nicht immer neu oder wichtig,
aber sie sagt es unmittelbar, skupellos. Nun
liegt auch in dieser Art zweifellos ein Fehler
und eine Gefahr: ein Kunstwerk verlangt Ab-
rundung, "Fülle und Ganzheit", wie Otto
Ludwig sagt. Unter diesem Gesichtspunkte
findet man vielleicht nicht eine vollwertige
Gabe, aber viel persönliche Wendungen,
manches packende Gleichnis -- und damit
muß man sich eben begnügen. Gewiß ein
lauer Trost; aber diese Unebenheiten besagen
mir im Grunde doch mehr als glatte, ge¬
schickt geformte Nichtigkeiten. Erika von
Watzdorf-Bachoff könnte man noch am ehesten
eine Künstlerin nennen. Sie weiß, abgeklärte,
vornehm zarte Gedichte zu schaffen, die von
innerem Leben durchpulst sind. "Zwischen
Frühling "ut Herbst" (Berlin, Cotta) betitelt
sich ihre erste, etwas zu umfangreiche Samm¬
lung. Hier zeigt sich noch manches minder
Gelungene; aber daneben stehen Prächtige,
geschlossene, fast restlos befriedigende Stücke.
Nicht immer gelingt ihr das treffende Wort;
viel zusammengesetzte Adjektivs verraten eine
leise Verlegenheit, ein Tasten und Suchen.
Hier und da glaube ich auch eine Freude an
einer erlesenen Zeile zu entdecken, aus der
erst nachträglich ein Gedicht erwachsen ist.
All das sage ich nicht lediglich des Tadels
willen, sondern weil mir das Buch wirklich
Freude gegeben hat und mich länger bei der
Lektüre verweilen ließ. Von Reife und
wachsendem Erlebnis kündet die zweite Samm¬
lung "Das Jahr" (Weimar, Gustav Kiepen¬
heuer), die ich hier bereits mit lobenden
Worten anzeigen durfte und die in zweiter,
vermehrter Auslage vorliegt. Ich zitiere als
Probe:

[Spaltenumbruch]

So blank und frisch nach jedem Regen¬
schauer.

Sie trotzen keck und fest dem Sturm
aus Norden,

Noch darf ich ihre Pracht mein eigen
nennen,

Die kleinste Beere lockt mit frohem
Brennen . . .

Und meine Blicke sind zwei Vögel worden,
Zwei wilde Vögel, die den Hunger kennen.

"Erste Ernte" von Wilhelm Dübel (Ber¬
lin, Egon Fleischel). Ich kann mich kurz
fassen. Glatte, geschmackvolle, wenig persön¬
liche Verse. Ansätze zu selbständigem Gestalten
("Aufziehendes Gewitter"), aber noch keine
bezwingende, innerlich kräftige Kunst. Das¬
selbe gilt von Otto Krillcs "Stillen Buch"
(Berlin, Egon Fleischel). Ich fand darin nur
ein Gedicht, "Die Magd", das mich fesselte.
Gewiß zeigt sich auch hier Talent, das soll
keineswegs verkannt werden; doch Talent
allein vermag nicht zu genügen, wenn die
Eigenart mangelt. Albert H. Rausch gibt
in seinen "Vigilien" (Berlin, E. Fleischel)
ebenso blutleere, lebensferne, blasse Verse, wie
Otto Freiherr von Taube in seinen "Neuen
Gedichten" (Leipzig, Insel-Verlag). Stefan
George, Hofmannsthal in kühler Nachahmung.
Und schließlich sei hier noch Georg I. Plotke
genannt mit seinem Bande "Zur Mutter"
(Dresden, Karl Meißner), der gegen seine
frühere Sammlung, die ich in einen? Referat
erwähnte, zweifellos einen Fortschrit bedeutet,
ohne mich jedoch völlig zu überzeugen, so
Feines er im einzelnen auch bergen mag.
Unbewegt und fremd legte ich ihn aus der
Hand; er ließ keine Erinnerung in mir zurück.

Und nun will ich endlich Erfreulicheres
berichten. Vor mir liegen die nachgelassenen
Gedichte von Ernst Gott "Im bittern
Menschenlaut" (Berlin, Egon Fleischel).
Wir erfahren aus dem Vorwort, daß der
fünfundzwanzigjährige Grazer Student seinem
Leben selbst ein Ziel gesetzt hat. Man ist
heutzutage gern bereit, solch junge, durch
Freitod verstorbene Dichter zu überschätzen.
Auch hier nutz man bedenken, daß Gott erst
am Anfang seiner Laufbahn stand, wenn
man nicht unbillig urteilen will. Seine Verse
scheinen nicht aus literarischem Ehrgeiz er-

[Ende Spaltensatz]
Vogelbeeren
Verlöscht der Sonne herbstliches Ver¬
golden --
Und rings das weite Land in tiefer
Trauer.
Doch glänzen über meiner Gartenmauer
Der Eberesche rote Beerendolden

Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Elisabeth Paulsen (Leipzig, Insel-Verlag)
mich stärker gefesselt. Es sind Impressionen,
meist in regellosen Versen, ohne bestimmte
Reime. Nichts Weiches, Schmiegsames; viele
Härten und Rauheiten. Was Elisabeth
Paulsen sagt, ist nicht immer neu oder wichtig,
aber sie sagt es unmittelbar, skupellos. Nun
liegt auch in dieser Art zweifellos ein Fehler
und eine Gefahr: ein Kunstwerk verlangt Ab-
rundung, „Fülle und Ganzheit", wie Otto
Ludwig sagt. Unter diesem Gesichtspunkte
findet man vielleicht nicht eine vollwertige
Gabe, aber viel persönliche Wendungen,
manches packende Gleichnis — und damit
muß man sich eben begnügen. Gewiß ein
lauer Trost; aber diese Unebenheiten besagen
mir im Grunde doch mehr als glatte, ge¬
schickt geformte Nichtigkeiten. Erika von
Watzdorf-Bachoff könnte man noch am ehesten
eine Künstlerin nennen. Sie weiß, abgeklärte,
vornehm zarte Gedichte zu schaffen, die von
innerem Leben durchpulst sind. „Zwischen
Frühling »ut Herbst" (Berlin, Cotta) betitelt
sich ihre erste, etwas zu umfangreiche Samm¬
lung. Hier zeigt sich noch manches minder
Gelungene; aber daneben stehen Prächtige,
geschlossene, fast restlos befriedigende Stücke.
Nicht immer gelingt ihr das treffende Wort;
viel zusammengesetzte Adjektivs verraten eine
leise Verlegenheit, ein Tasten und Suchen.
Hier und da glaube ich auch eine Freude an
einer erlesenen Zeile zu entdecken, aus der
erst nachträglich ein Gedicht erwachsen ist.
All das sage ich nicht lediglich des Tadels
willen, sondern weil mir das Buch wirklich
Freude gegeben hat und mich länger bei der
Lektüre verweilen ließ. Von Reife und
wachsendem Erlebnis kündet die zweite Samm¬
lung „Das Jahr" (Weimar, Gustav Kiepen¬
heuer), die ich hier bereits mit lobenden
Worten anzeigen durfte und die in zweiter,
vermehrter Auslage vorliegt. Ich zitiere als
Probe:

[Spaltenumbruch]

So blank und frisch nach jedem Regen¬
schauer.

Sie trotzen keck und fest dem Sturm
aus Norden,

Noch darf ich ihre Pracht mein eigen
nennen,

Die kleinste Beere lockt mit frohem
Brennen . . .

Und meine Blicke sind zwei Vögel worden,
Zwei wilde Vögel, die den Hunger kennen.

„Erste Ernte" von Wilhelm Dübel (Ber¬
lin, Egon Fleischel). Ich kann mich kurz
fassen. Glatte, geschmackvolle, wenig persön¬
liche Verse. Ansätze zu selbständigem Gestalten
(„Aufziehendes Gewitter"), aber noch keine
bezwingende, innerlich kräftige Kunst. Das¬
selbe gilt von Otto Krillcs „Stillen Buch"
(Berlin, Egon Fleischel). Ich fand darin nur
ein Gedicht, „Die Magd", das mich fesselte.
Gewiß zeigt sich auch hier Talent, das soll
keineswegs verkannt werden; doch Talent
allein vermag nicht zu genügen, wenn die
Eigenart mangelt. Albert H. Rausch gibt
in seinen „Vigilien" (Berlin, E. Fleischel)
ebenso blutleere, lebensferne, blasse Verse, wie
Otto Freiherr von Taube in seinen „Neuen
Gedichten" (Leipzig, Insel-Verlag). Stefan
George, Hofmannsthal in kühler Nachahmung.
Und schließlich sei hier noch Georg I. Plotke
genannt mit seinem Bande „Zur Mutter"
(Dresden, Karl Meißner), der gegen seine
frühere Sammlung, die ich in einen? Referat
erwähnte, zweifellos einen Fortschrit bedeutet,
ohne mich jedoch völlig zu überzeugen, so
Feines er im einzelnen auch bergen mag.
Unbewegt und fremd legte ich ihn aus der
Hand; er ließ keine Erinnerung in mir zurück.

Und nun will ich endlich Erfreulicheres
berichten. Vor mir liegen die nachgelassenen
Gedichte von Ernst Gott „Im bittern
Menschenlaut" (Berlin, Egon Fleischel).
Wir erfahren aus dem Vorwort, daß der
fünfundzwanzigjährige Grazer Student seinem
Leben selbst ein Ziel gesetzt hat. Man ist
heutzutage gern bereit, solch junge, durch
Freitod verstorbene Dichter zu überschätzen.
Auch hier nutz man bedenken, daß Gott erst
am Anfang seiner Laufbahn stand, wenn
man nicht unbillig urteilen will. Seine Verse
scheinen nicht aus literarischem Ehrgeiz er-

[Ende Spaltensatz]
Vogelbeeren
Verlöscht der Sonne herbstliches Ver¬
golden —
Und rings das weite Land in tiefer
Trauer.
Doch glänzen über meiner Gartenmauer
Der Eberesche rote Beerendolden

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[0391] Maßgebliches und Unmaßgebliches Elisabeth Paulsen (Leipzig, Insel-Verlag) mich stärker gefesselt. Es sind Impressionen, meist in regellosen Versen, ohne bestimmte Reime. Nichts Weiches, Schmiegsames; viele Härten und Rauheiten. Was Elisabeth Paulsen sagt, ist nicht immer neu oder wichtig, aber sie sagt es unmittelbar, skupellos. Nun liegt auch in dieser Art zweifellos ein Fehler und eine Gefahr: ein Kunstwerk verlangt Ab- rundung, „Fülle und Ganzheit", wie Otto Ludwig sagt. Unter diesem Gesichtspunkte findet man vielleicht nicht eine vollwertige Gabe, aber viel persönliche Wendungen, manches packende Gleichnis — und damit muß man sich eben begnügen. Gewiß ein lauer Trost; aber diese Unebenheiten besagen mir im Grunde doch mehr als glatte, ge¬ schickt geformte Nichtigkeiten. Erika von Watzdorf-Bachoff könnte man noch am ehesten eine Künstlerin nennen. Sie weiß, abgeklärte, vornehm zarte Gedichte zu schaffen, die von innerem Leben durchpulst sind. „Zwischen Frühling »ut Herbst" (Berlin, Cotta) betitelt sich ihre erste, etwas zu umfangreiche Samm¬ lung. Hier zeigt sich noch manches minder Gelungene; aber daneben stehen Prächtige, geschlossene, fast restlos befriedigende Stücke. Nicht immer gelingt ihr das treffende Wort; viel zusammengesetzte Adjektivs verraten eine leise Verlegenheit, ein Tasten und Suchen. Hier und da glaube ich auch eine Freude an einer erlesenen Zeile zu entdecken, aus der erst nachträglich ein Gedicht erwachsen ist. All das sage ich nicht lediglich des Tadels willen, sondern weil mir das Buch wirklich Freude gegeben hat und mich länger bei der Lektüre verweilen ließ. Von Reife und wachsendem Erlebnis kündet die zweite Samm¬ lung „Das Jahr" (Weimar, Gustav Kiepen¬ heuer), die ich hier bereits mit lobenden Worten anzeigen durfte und die in zweiter, vermehrter Auslage vorliegt. Ich zitiere als Probe: So blank und frisch nach jedem Regen¬ schauer. Sie trotzen keck und fest dem Sturm aus Norden, Noch darf ich ihre Pracht mein eigen nennen, Die kleinste Beere lockt mit frohem Brennen . . . Und meine Blicke sind zwei Vögel worden, Zwei wilde Vögel, die den Hunger kennen. „Erste Ernte" von Wilhelm Dübel (Ber¬ lin, Egon Fleischel). Ich kann mich kurz fassen. Glatte, geschmackvolle, wenig persön¬ liche Verse. Ansätze zu selbständigem Gestalten („Aufziehendes Gewitter"), aber noch keine bezwingende, innerlich kräftige Kunst. Das¬ selbe gilt von Otto Krillcs „Stillen Buch" (Berlin, Egon Fleischel). Ich fand darin nur ein Gedicht, „Die Magd", das mich fesselte. Gewiß zeigt sich auch hier Talent, das soll keineswegs verkannt werden; doch Talent allein vermag nicht zu genügen, wenn die Eigenart mangelt. Albert H. Rausch gibt in seinen „Vigilien" (Berlin, E. Fleischel) ebenso blutleere, lebensferne, blasse Verse, wie Otto Freiherr von Taube in seinen „Neuen Gedichten" (Leipzig, Insel-Verlag). Stefan George, Hofmannsthal in kühler Nachahmung. Und schließlich sei hier noch Georg I. Plotke genannt mit seinem Bande „Zur Mutter" (Dresden, Karl Meißner), der gegen seine frühere Sammlung, die ich in einen? Referat erwähnte, zweifellos einen Fortschrit bedeutet, ohne mich jedoch völlig zu überzeugen, so Feines er im einzelnen auch bergen mag. Unbewegt und fremd legte ich ihn aus der Hand; er ließ keine Erinnerung in mir zurück. Und nun will ich endlich Erfreulicheres berichten. Vor mir liegen die nachgelassenen Gedichte von Ernst Gott „Im bittern Menschenlaut" (Berlin, Egon Fleischel). Wir erfahren aus dem Vorwort, daß der fünfundzwanzigjährige Grazer Student seinem Leben selbst ein Ziel gesetzt hat. Man ist heutzutage gern bereit, solch junge, durch Freitod verstorbene Dichter zu überschätzen. Auch hier nutz man bedenken, daß Gott erst am Anfang seiner Laufbahn stand, wenn man nicht unbillig urteilen will. Seine Verse scheinen nicht aus literarischem Ehrgeiz er- Vogelbeeren Verlöscht der Sonne herbstliches Ver¬ golden — Und rings das weite Land in tiefer Trauer. Doch glänzen über meiner Gartenmauer Der Eberesche rote Beerendolden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/391>, abgerufen am 21.06.2024.