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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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"Freideutsche Jugendkultur"

auf ewig ablehnen müssen. . . ." "Die Maske des Erwachsenen heißt.Erfahrung/.
Sie ist ausdruckslos, undurchdringlich, die immer gleiche. Alles hat dieser
Erwachsene schon erlebt: Jugend, Ideale, Hoffnungen, das Weib. Es war alles
Illusion. Was sollen wir ihm erwidern? Wir erfuhren noch nichts. Aber
wir wollen versuchen, die Maske zu heben. Was hat dieser Erwachsene erfahren?
Die Sinnlosigkeit des Lebens. Der Philister macht seine Erfahrung; das ist
die ewig Eine der Geistlosigkeit. Aber die neue Jugend will diese Erfahrung
nicht machen, sie will den Geist erleben, nicht die Geistlosigkeit, sie will den
Glauben an den Geist nicht durch die Erfahrungen des Philisters sich rauben
lassen, eben dadurch wird sie eine neue Jugend, mehr noch die Bahnbrecherin
einer neuen Menschheit. In der Jugend problematisiert -- und verjüngt --
sich immer die ganze Kultur. Wartet nur, bis ihr älter werdet, ihr werdet
dann über manches noch anders denken, sagen die Alten, ohne zu begreifen,
daß dieses ,Noch nicht anders denken' gerade der unendliche Vorrang, die
kosmische Mission der Jugend ist. Dachte die Jugend schon, wie reife Menschen
tun, es wäre schlecht um die Erneuerung der Welt bestellt. ... Es ist der
Jugend bewußt geworden, daß in ihr die ganze Menschheit unterdrückt wird,
und daß in ihr die Menschheit leidet; und für diese Erkenntnis, die eindeutig
die Ziele der Jugend bestimmt, soll die neue Jugend arbeiten." So begründet
einer der Fähigsten den beginnenden Jugendkulturkampf. Man sieht, an Selbst¬
bewußtsein -- "Jugendprotzentum" hat es ein liberaler Kritiker genannt --
mangelt es dieser Emanzipationsbewegung der Halbflüggen nicht, bezeugt doch auch
Wyneken es ihr: "Es kann wohl sein, daß es gegenwärtig überhaupt keine
Jugend gibt. Woher sollte sie auch kommen? Inmitten der heutigen Verhält¬
nisse, die alle auf das vorzeitige Altmachen der Jugend hinauslaufen, müßte,
wer sich jugendliches Empfinden bewahrt, ja schon geradezu schöpferisch beanlagt
sein. Und dennoch, es gibt Jugend; mindestens fängt es wieder an, Jugend
zu geben....." "Die Jugend ist auf dem Wege, eine Macht zu werden."
Und mit diesem Drange der äußeren und inneren Befreiung von überkommenen
Autoritäten geht ein Radikalismus einher, der auch überzeugten Freunden der
Bewegung, wieNatorp-Marburg, Pöhlmann-Nürnberg, H.A.Krüger-Hannover,
die Bremse in die Hand drückt. Denn es unterliegt keinem Zweifel, daß, wenn
dieser mitunter geradezu zum Anarchismus sich überschlagende Radikalismus die
Oberhand bekommen oder sie dauernd behalten sollte, das den sicheren Unter¬
gang der Jugendbewegung bedeuten würde. Haus, Schule und Staat sind --
Gott sei Dank -- noch drei mächtige, notwendig gegebene und unerläßliche
Naturkräfte, die vor einer aufständigen, sich selbst vermessenden Jugend nicht
abdanken, die sich vielmehr mit der vereinten Wucht ihrer dreifachen Autorität
ihr entgegenwerfen würden, um sehr bald mit ihr fertig zu werden. Und
dann dürfte nicht bloß manche ikarische Schwinge geknickt, sondern auch manch
gesunder Keim und zukunftskräftiger Ansatz zerbrochen sein.

(Schluß folgt)


„Freideutsche Jugendkultur"

auf ewig ablehnen müssen. . . ." „Die Maske des Erwachsenen heißt.Erfahrung/.
Sie ist ausdruckslos, undurchdringlich, die immer gleiche. Alles hat dieser
Erwachsene schon erlebt: Jugend, Ideale, Hoffnungen, das Weib. Es war alles
Illusion. Was sollen wir ihm erwidern? Wir erfuhren noch nichts. Aber
wir wollen versuchen, die Maske zu heben. Was hat dieser Erwachsene erfahren?
Die Sinnlosigkeit des Lebens. Der Philister macht seine Erfahrung; das ist
die ewig Eine der Geistlosigkeit. Aber die neue Jugend will diese Erfahrung
nicht machen, sie will den Geist erleben, nicht die Geistlosigkeit, sie will den
Glauben an den Geist nicht durch die Erfahrungen des Philisters sich rauben
lassen, eben dadurch wird sie eine neue Jugend, mehr noch die Bahnbrecherin
einer neuen Menschheit. In der Jugend problematisiert — und verjüngt —
sich immer die ganze Kultur. Wartet nur, bis ihr älter werdet, ihr werdet
dann über manches noch anders denken, sagen die Alten, ohne zu begreifen,
daß dieses ,Noch nicht anders denken' gerade der unendliche Vorrang, die
kosmische Mission der Jugend ist. Dachte die Jugend schon, wie reife Menschen
tun, es wäre schlecht um die Erneuerung der Welt bestellt. ... Es ist der
Jugend bewußt geworden, daß in ihr die ganze Menschheit unterdrückt wird,
und daß in ihr die Menschheit leidet; und für diese Erkenntnis, die eindeutig
die Ziele der Jugend bestimmt, soll die neue Jugend arbeiten." So begründet
einer der Fähigsten den beginnenden Jugendkulturkampf. Man sieht, an Selbst¬
bewußtsein — „Jugendprotzentum" hat es ein liberaler Kritiker genannt —
mangelt es dieser Emanzipationsbewegung der Halbflüggen nicht, bezeugt doch auch
Wyneken es ihr: „Es kann wohl sein, daß es gegenwärtig überhaupt keine
Jugend gibt. Woher sollte sie auch kommen? Inmitten der heutigen Verhält¬
nisse, die alle auf das vorzeitige Altmachen der Jugend hinauslaufen, müßte,
wer sich jugendliches Empfinden bewahrt, ja schon geradezu schöpferisch beanlagt
sein. Und dennoch, es gibt Jugend; mindestens fängt es wieder an, Jugend
zu geben....." „Die Jugend ist auf dem Wege, eine Macht zu werden."
Und mit diesem Drange der äußeren und inneren Befreiung von überkommenen
Autoritäten geht ein Radikalismus einher, der auch überzeugten Freunden der
Bewegung, wieNatorp-Marburg, Pöhlmann-Nürnberg, H.A.Krüger-Hannover,
die Bremse in die Hand drückt. Denn es unterliegt keinem Zweifel, daß, wenn
dieser mitunter geradezu zum Anarchismus sich überschlagende Radikalismus die
Oberhand bekommen oder sie dauernd behalten sollte, das den sicheren Unter¬
gang der Jugendbewegung bedeuten würde. Haus, Schule und Staat sind —
Gott sei Dank — noch drei mächtige, notwendig gegebene und unerläßliche
Naturkräfte, die vor einer aufständigen, sich selbst vermessenden Jugend nicht
abdanken, die sich vielmehr mit der vereinten Wucht ihrer dreifachen Autorität
ihr entgegenwerfen würden, um sehr bald mit ihr fertig zu werden. Und
dann dürfte nicht bloß manche ikarische Schwinge geknickt, sondern auch manch
gesunder Keim und zukunftskräftiger Ansatz zerbrochen sein.

(Schluß folgt)


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[0369] „Freideutsche Jugendkultur" auf ewig ablehnen müssen. . . ." „Die Maske des Erwachsenen heißt.Erfahrung/. Sie ist ausdruckslos, undurchdringlich, die immer gleiche. Alles hat dieser Erwachsene schon erlebt: Jugend, Ideale, Hoffnungen, das Weib. Es war alles Illusion. Was sollen wir ihm erwidern? Wir erfuhren noch nichts. Aber wir wollen versuchen, die Maske zu heben. Was hat dieser Erwachsene erfahren? Die Sinnlosigkeit des Lebens. Der Philister macht seine Erfahrung; das ist die ewig Eine der Geistlosigkeit. Aber die neue Jugend will diese Erfahrung nicht machen, sie will den Geist erleben, nicht die Geistlosigkeit, sie will den Glauben an den Geist nicht durch die Erfahrungen des Philisters sich rauben lassen, eben dadurch wird sie eine neue Jugend, mehr noch die Bahnbrecherin einer neuen Menschheit. In der Jugend problematisiert — und verjüngt — sich immer die ganze Kultur. Wartet nur, bis ihr älter werdet, ihr werdet dann über manches noch anders denken, sagen die Alten, ohne zu begreifen, daß dieses ,Noch nicht anders denken' gerade der unendliche Vorrang, die kosmische Mission der Jugend ist. Dachte die Jugend schon, wie reife Menschen tun, es wäre schlecht um die Erneuerung der Welt bestellt. ... Es ist der Jugend bewußt geworden, daß in ihr die ganze Menschheit unterdrückt wird, und daß in ihr die Menschheit leidet; und für diese Erkenntnis, die eindeutig die Ziele der Jugend bestimmt, soll die neue Jugend arbeiten." So begründet einer der Fähigsten den beginnenden Jugendkulturkampf. Man sieht, an Selbst¬ bewußtsein — „Jugendprotzentum" hat es ein liberaler Kritiker genannt — mangelt es dieser Emanzipationsbewegung der Halbflüggen nicht, bezeugt doch auch Wyneken es ihr: „Es kann wohl sein, daß es gegenwärtig überhaupt keine Jugend gibt. Woher sollte sie auch kommen? Inmitten der heutigen Verhält¬ nisse, die alle auf das vorzeitige Altmachen der Jugend hinauslaufen, müßte, wer sich jugendliches Empfinden bewahrt, ja schon geradezu schöpferisch beanlagt sein. Und dennoch, es gibt Jugend; mindestens fängt es wieder an, Jugend zu geben....." „Die Jugend ist auf dem Wege, eine Macht zu werden." Und mit diesem Drange der äußeren und inneren Befreiung von überkommenen Autoritäten geht ein Radikalismus einher, der auch überzeugten Freunden der Bewegung, wieNatorp-Marburg, Pöhlmann-Nürnberg, H.A.Krüger-Hannover, die Bremse in die Hand drückt. Denn es unterliegt keinem Zweifel, daß, wenn dieser mitunter geradezu zum Anarchismus sich überschlagende Radikalismus die Oberhand bekommen oder sie dauernd behalten sollte, das den sicheren Unter¬ gang der Jugendbewegung bedeuten würde. Haus, Schule und Staat sind — Gott sei Dank — noch drei mächtige, notwendig gegebene und unerläßliche Naturkräfte, die vor einer aufständigen, sich selbst vermessenden Jugend nicht abdanken, die sich vielmehr mit der vereinten Wucht ihrer dreifachen Autorität ihr entgegenwerfen würden, um sehr bald mit ihr fertig zu werden. Und dann dürfte nicht bloß manche ikarische Schwinge geknickt, sondern auch manch gesunder Keim und zukunftskräftiger Ansatz zerbrochen sein. (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/369>, abgerufen am 21.06.2024.