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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

zugeben. Denn auch die Politik besaß ihn,
und zwar nicht als einen der Phrase er¬
gebenen Parteimann, vielmehr als einen
Praktisch Tätigen, einen Tatvollender. Von
1878 bis 1893 ist Oechelhäuser, als Mitglied
der nationalliberalen Partei, Reichstcigs-
abgcordneter. Die Reform der Aktiengesetz¬
gebung und die Urheberschaft des Reichs¬
gesetzes betreffend die Gesellschaften mit be¬
schränkter Haftung werden als seine Weile
ausgegeben. Daneben ist er, in einer Zeit
sozialpolitischer Anfänge, entschiedener Wort¬
führer für soziale Reformen. "Was für den
Arbeiter geschieht, soll auch durch ihn ge¬
schehen," ist eines seiner treffendsten Worte.
Deutschlands junge koloniale Verhältnisse
umfaßt er mit weihin treffendem Blick, ist
Mitschöpfer der Deutsch-Ostafrikanischen Ge¬
sellschaft, selber Gründer einer Plantage in
Kamerun HOechelhausen bei Jsongo) und
eifriger Befürworter der ostafrikanischen
Zentrnleisenbahn, deren erste Strecke nach
seinem 1902 erfolgten Tode vom Reichstage
genehmigt wurde.

Was ist eS nun um das Verhältnis dieses
Tatenreichen zu Shakespeare? Oechelhäuser
hat in einem Manuskript gebliebenen Bande
"Lebenseruinerungen" selber erzählt, wie er
zu seinein Lieblingsdichter gekommen sei.
Dem achtjährigen Knaben fallen eines Tages
zufällig ein Paar Bände Shakespeare in die
Hände, die er "sofort und wiede>holt" ver¬
schlingt -- "wenn auch noch alles Verständnis
fehlte," wie er hinzufügt. Aber da er das
Wort Shakespeare mit Ehrfurcht aussprechen
hört, hält er sich an den großen Mann Als
Zwanzigjähriger philosophiert er in Briefen
an die Schwester bereits über "Sein oder
Nichtsein", und die Theatervorstellungen, die
er in Berlin, Königsberg und in England
öfters sieht, regen ihn zu weiteren! Eindringen
mächtig an. Aber das "eigentliche Ein¬
dringen" fällt erst in die reifen Mannesjahre
zwischen dreißig und vieizig, "wo ich", wie
Oechelhäuser erzählt, "die einzelnen herauf¬
kommenden Stücke der mit deutschen Noten
versehenen englischen Texlausgnbs von
Nie. Delius durchzustudieren begann; sie
wurden jahrelang meine Begleiter auf Reisen
und die Gegenstände eifrigen Studiums auf
Meinen tagelangem Eiseubahnsahrten. Hieran

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schloß sich die Kenntnisnahme der bedeutendsten
Kommentatoren, und immer lebhafter nahm
ich an Unterhaltungen, Diskussionen und Vor¬
lesungen teil."

Als sich die gebildete Welt dann 1863
auf die Dreihundcrtjahrfeier von Shakespeares
Geburt für 1864 rüstete, trat Oechelhäuser
mit einem(als Manuskript gedruckten) Bändchen
"Ideen zur Gründung einer Deutschen
Shakespeare-Gesellschaft" auf den Plan. Das
Schriftchen ist noch heute interessant, weil es
erkennen läßt, wie anders sich die Gesellschaft
in ihres Begründers Kopfe malte als sie
später geworden ist. Ganz Deutschland sollte
mit einem Netz von Zweigvereinen über¬
spannen werden, die sich zu einem machtvollen
Kulturbunde in eins schlossen. Aus Angehörigen
aller Stände sollte dieser Bund zusammen¬
gesetzt sein, die Frauen sollten grundsätzlich
und zahlreich mithineingezogen werden, denn
"das Vorurteil, als handele es sich um die
Stiftung eines exklusiven Gelehrtenvcreins,"
sollte nicht aufkommen. Vor allem aber, und
hier erkennt man den Falkenblick des Prakti¬
schen Mannes, der aus lebendige Wirkungen
aus ist -- vor allein sollte die Bühne, sollten
die Künstler der Bühne mit im Bunde sein,
da eine gute Darstellung Shakespeares "für
den größten Teil der Hörer das einzige Mittel
bietet, zu einem tieferen Verständnis des
Dichters hinzugelangen." . . . "Wie es zu
Shakespeares Zeiten war, so ist es noch heute:
die durchschlagende Wirkung seiner Werke auf
Bildung und Sitte des Volkes kann im großen
und ganzen nur mit Hilfe der Bühne er¬
reicht werden."

Als die Shakespeare-Gesellschaft später
dennoch der große Gelehrtenverein wurde, dein
die Erforschung von Text und Wort Hauptsache
war, da hat Oechelhäuscrs ursprünglicher
Instinkt für das Lebenzcugende im Dichter
die Verbindungen mit dem Leben auf mannig¬
faltigste Weise aufrecht zu eihalten gesucht.
Er ist einer der fruchtbarsten Bühnenbearbeiter
Shakespeares geworden, und wenn sein Be¬
streben, die "allzu nackten Darstellungen des
niederen Lebens" unseres wirklichkeitsfrvhen
Dramatikers einer "verfeinerten" Zeit anzu¬
passen, auch nicht mehr verstanden wird von
uns Nachgclwrenen, die wir nicht ohne Ge¬
winn durch die Schule des Naturalismus

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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zugeben. Denn auch die Politik besaß ihn,
und zwar nicht als einen der Phrase er¬
gebenen Parteimann, vielmehr als einen
Praktisch Tätigen, einen Tatvollender. Von
1878 bis 1893 ist Oechelhäuser, als Mitglied
der nationalliberalen Partei, Reichstcigs-
abgcordneter. Die Reform der Aktiengesetz¬
gebung und die Urheberschaft des Reichs¬
gesetzes betreffend die Gesellschaften mit be¬
schränkter Haftung werden als seine Weile
ausgegeben. Daneben ist er, in einer Zeit
sozialpolitischer Anfänge, entschiedener Wort¬
führer für soziale Reformen. „Was für den
Arbeiter geschieht, soll auch durch ihn ge¬
schehen," ist eines seiner treffendsten Worte.
Deutschlands junge koloniale Verhältnisse
umfaßt er mit weihin treffendem Blick, ist
Mitschöpfer der Deutsch-Ostafrikanischen Ge¬
sellschaft, selber Gründer einer Plantage in
Kamerun HOechelhausen bei Jsongo) und
eifriger Befürworter der ostafrikanischen
Zentrnleisenbahn, deren erste Strecke nach
seinem 1902 erfolgten Tode vom Reichstage
genehmigt wurde.

Was ist eS nun um das Verhältnis dieses
Tatenreichen zu Shakespeare? Oechelhäuser
hat in einem Manuskript gebliebenen Bande
„Lebenseruinerungen" selber erzählt, wie er
zu seinein Lieblingsdichter gekommen sei.
Dem achtjährigen Knaben fallen eines Tages
zufällig ein Paar Bände Shakespeare in die
Hände, die er „sofort und wiede>holt" ver¬
schlingt — „wenn auch noch alles Verständnis
fehlte," wie er hinzufügt. Aber da er das
Wort Shakespeare mit Ehrfurcht aussprechen
hört, hält er sich an den großen Mann Als
Zwanzigjähriger philosophiert er in Briefen
an die Schwester bereits über „Sein oder
Nichtsein", und die Theatervorstellungen, die
er in Berlin, Königsberg und in England
öfters sieht, regen ihn zu weiteren! Eindringen
mächtig an. Aber das „eigentliche Ein¬
dringen" fällt erst in die reifen Mannesjahre
zwischen dreißig und vieizig, „wo ich", wie
Oechelhäuser erzählt, „die einzelnen herauf¬
kommenden Stücke der mit deutschen Noten
versehenen englischen Texlausgnbs von
Nie. Delius durchzustudieren begann; sie
wurden jahrelang meine Begleiter auf Reisen
und die Gegenstände eifrigen Studiums auf
Meinen tagelangem Eiseubahnsahrten. Hieran

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schloß sich die Kenntnisnahme der bedeutendsten
Kommentatoren, und immer lebhafter nahm
ich an Unterhaltungen, Diskussionen und Vor¬
lesungen teil."

Als sich die gebildete Welt dann 1863
auf die Dreihundcrtjahrfeier von Shakespeares
Geburt für 1864 rüstete, trat Oechelhäuser
mit einem(als Manuskript gedruckten) Bändchen
„Ideen zur Gründung einer Deutschen
Shakespeare-Gesellschaft" auf den Plan. Das
Schriftchen ist noch heute interessant, weil es
erkennen läßt, wie anders sich die Gesellschaft
in ihres Begründers Kopfe malte als sie
später geworden ist. Ganz Deutschland sollte
mit einem Netz von Zweigvereinen über¬
spannen werden, die sich zu einem machtvollen
Kulturbunde in eins schlossen. Aus Angehörigen
aller Stände sollte dieser Bund zusammen¬
gesetzt sein, die Frauen sollten grundsätzlich
und zahlreich mithineingezogen werden, denn
„das Vorurteil, als handele es sich um die
Stiftung eines exklusiven Gelehrtenvcreins,"
sollte nicht aufkommen. Vor allem aber, und
hier erkennt man den Falkenblick des Prakti¬
schen Mannes, der aus lebendige Wirkungen
aus ist — vor allein sollte die Bühne, sollten
die Künstler der Bühne mit im Bunde sein,
da eine gute Darstellung Shakespeares „für
den größten Teil der Hörer das einzige Mittel
bietet, zu einem tieferen Verständnis des
Dichters hinzugelangen." . . . „Wie es zu
Shakespeares Zeiten war, so ist es noch heute:
die durchschlagende Wirkung seiner Werke auf
Bildung und Sitte des Volkes kann im großen
und ganzen nur mit Hilfe der Bühne er¬
reicht werden."

Als die Shakespeare-Gesellschaft später
dennoch der große Gelehrtenverein wurde, dein
die Erforschung von Text und Wort Hauptsache
war, da hat Oechelhäuscrs ursprünglicher
Instinkt für das Lebenzcugende im Dichter
die Verbindungen mit dem Leben auf mannig¬
faltigste Weise aufrecht zu eihalten gesucht.
Er ist einer der fruchtbarsten Bühnenbearbeiter
Shakespeares geworden, und wenn sein Be¬
streben, die „allzu nackten Darstellungen des
niederen Lebens" unseres wirklichkeitsfrvhen
Dramatikers einer „verfeinerten" Zeit anzu¬
passen, auch nicht mehr verstanden wird von
uns Nachgclwrenen, die wir nicht ohne Ge¬
winn durch die Schule des Naturalismus

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[0345] Maßgebliches und Unmaßgebliches zugeben. Denn auch die Politik besaß ihn, und zwar nicht als einen der Phrase er¬ gebenen Parteimann, vielmehr als einen Praktisch Tätigen, einen Tatvollender. Von 1878 bis 1893 ist Oechelhäuser, als Mitglied der nationalliberalen Partei, Reichstcigs- abgcordneter. Die Reform der Aktiengesetz¬ gebung und die Urheberschaft des Reichs¬ gesetzes betreffend die Gesellschaften mit be¬ schränkter Haftung werden als seine Weile ausgegeben. Daneben ist er, in einer Zeit sozialpolitischer Anfänge, entschiedener Wort¬ führer für soziale Reformen. „Was für den Arbeiter geschieht, soll auch durch ihn ge¬ schehen," ist eines seiner treffendsten Worte. Deutschlands junge koloniale Verhältnisse umfaßt er mit weihin treffendem Blick, ist Mitschöpfer der Deutsch-Ostafrikanischen Ge¬ sellschaft, selber Gründer einer Plantage in Kamerun HOechelhausen bei Jsongo) und eifriger Befürworter der ostafrikanischen Zentrnleisenbahn, deren erste Strecke nach seinem 1902 erfolgten Tode vom Reichstage genehmigt wurde. Was ist eS nun um das Verhältnis dieses Tatenreichen zu Shakespeare? Oechelhäuser hat in einem Manuskript gebliebenen Bande „Lebenseruinerungen" selber erzählt, wie er zu seinein Lieblingsdichter gekommen sei. Dem achtjährigen Knaben fallen eines Tages zufällig ein Paar Bände Shakespeare in die Hände, die er „sofort und wiede>holt" ver¬ schlingt — „wenn auch noch alles Verständnis fehlte," wie er hinzufügt. Aber da er das Wort Shakespeare mit Ehrfurcht aussprechen hört, hält er sich an den großen Mann Als Zwanzigjähriger philosophiert er in Briefen an die Schwester bereits über „Sein oder Nichtsein", und die Theatervorstellungen, die er in Berlin, Königsberg und in England öfters sieht, regen ihn zu weiteren! Eindringen mächtig an. Aber das „eigentliche Ein¬ dringen" fällt erst in die reifen Mannesjahre zwischen dreißig und vieizig, „wo ich", wie Oechelhäuser erzählt, „die einzelnen herauf¬ kommenden Stücke der mit deutschen Noten versehenen englischen Texlausgnbs von Nie. Delius durchzustudieren begann; sie wurden jahrelang meine Begleiter auf Reisen und die Gegenstände eifrigen Studiums auf Meinen tagelangem Eiseubahnsahrten. Hieran schloß sich die Kenntnisnahme der bedeutendsten Kommentatoren, und immer lebhafter nahm ich an Unterhaltungen, Diskussionen und Vor¬ lesungen teil." Als sich die gebildete Welt dann 1863 auf die Dreihundcrtjahrfeier von Shakespeares Geburt für 1864 rüstete, trat Oechelhäuser mit einem(als Manuskript gedruckten) Bändchen „Ideen zur Gründung einer Deutschen Shakespeare-Gesellschaft" auf den Plan. Das Schriftchen ist noch heute interessant, weil es erkennen läßt, wie anders sich die Gesellschaft in ihres Begründers Kopfe malte als sie später geworden ist. Ganz Deutschland sollte mit einem Netz von Zweigvereinen über¬ spannen werden, die sich zu einem machtvollen Kulturbunde in eins schlossen. Aus Angehörigen aller Stände sollte dieser Bund zusammen¬ gesetzt sein, die Frauen sollten grundsätzlich und zahlreich mithineingezogen werden, denn „das Vorurteil, als handele es sich um die Stiftung eines exklusiven Gelehrtenvcreins," sollte nicht aufkommen. Vor allem aber, und hier erkennt man den Falkenblick des Prakti¬ schen Mannes, der aus lebendige Wirkungen aus ist — vor allein sollte die Bühne, sollten die Künstler der Bühne mit im Bunde sein, da eine gute Darstellung Shakespeares „für den größten Teil der Hörer das einzige Mittel bietet, zu einem tieferen Verständnis des Dichters hinzugelangen." . . . „Wie es zu Shakespeares Zeiten war, so ist es noch heute: die durchschlagende Wirkung seiner Werke auf Bildung und Sitte des Volkes kann im großen und ganzen nur mit Hilfe der Bühne er¬ reicht werden." Als die Shakespeare-Gesellschaft später dennoch der große Gelehrtenverein wurde, dein die Erforschung von Text und Wort Hauptsache war, da hat Oechelhäuscrs ursprünglicher Instinkt für das Lebenzcugende im Dichter die Verbindungen mit dem Leben auf mannig¬ faltigste Weise aufrecht zu eihalten gesucht. Er ist einer der fruchtbarsten Bühnenbearbeiter Shakespeares geworden, und wenn sein Be¬ streben, die „allzu nackten Darstellungen des niederen Lebens" unseres wirklichkeitsfrvhen Dramatikers einer „verfeinerten" Zeit anzu¬ passen, auch nicht mehr verstanden wird von uns Nachgclwrenen, die wir nicht ohne Ge¬ winn durch die Schule des Naturalismus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/345>, abgerufen am 27.06.2024.