Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Streiflichter auf das deutsch-ungarische Problem

ländischen Deutschen im Stich gelassen hätten. Was ist Wahres an diesem
Vorwurf?

Gerade wir Reichsdeutschen, die wir nicht unmittelbar in dem Streit selbst
stehen, haben dabei vielleicht den Vorzug, daß wir -- lediglich infolge der
größeren Distanz -- die Dinge klarer, sozusagen staubfreier, sehen können als
diejenigen, welche diese Meinungsverschiedenheiten durchzufechten haben.

Die Gründe dafür, daß die sächsische Gruppe es ablehnt, den deutschen
Brüdern in Südungarn, den "Schwaben", irgendwelche Hilfe zu leisten, sind
kurz zusammengefaßt in dem Mißtrauensvotum, das dem Abgeordneten Kopony
bald nach jener Sitzung von seinen eigenen Wählern erteilt wurde*). Es sind
in der Hauptsache diese: 1. "Die großen Massen der Banater Schwaben sind
national noch indifferent. Von bewußtem Deutschtum ist bei vielen keine Spur.
Es wird noch viele Jahrhunderte dauern, bis man von einem wirklich erwachten
Deutschtum in Ungarn wird sprechen können"; 2. "Die bei den Banater Schwaben
einsetzende, beginnende politische Organisation bewegt sich entschieden in opposi¬
tioneller Richtung"; 3. Bei den führenden madjarischen Staatsmännern stellt
sich "die größte Nervosität ein, sobald die politische Organisation der Deutschen
Ungarns in Frage kommt". Wollten die Sachsen den Schwaben wirklich bei¬
stehen, so würden sie sich die rücksichtslosen Angriffe der madjarischen Regierung
zuziehen und ihre eigenen Kulturgüter aufs Spiel setzen, ohne den anderen
Deutschen Ungarns damit genützt zu haben. Das heißt: die einzig richtige
sächsische Politik ist die Wahrnehmung der eigenen, der sächsischen Interessen;
die Sachsen müssen die Schwaben sich selbst überlassen.

Gegen diese Argumentation läßt sich meines Erachtens Stichhaltiges nicht
einwenden. Die sächsischen Abgeordneten, welche Mitglieder der Regierungs¬
partei sind, können sich politisch nicht mit einer Oppositionspartei einlassen.

Aber auch die Argumente, welche Kopony und die Schwaben gegen diese
Politik in das Feld führen, sind trotzdem nicht ohne weiteres von der Hand zu
weisen; auch Kopony und die Schwaben vertreten berechtigte Interessen. Da
ist zuerst die außerordentliche Notlage hervorzuheben, in welcher sich die Schwaben
befinden: sie haben, ebenso wie alle übrigen Deutschen in Ungarn, außerhalb
Siebenbürgens ihre deutschen Gemeindeschulen verloren und statt dessen madjarische
und madjarisierende Staatsschulen erhalten; ihr Nachwuchs lernt nicht mehr
ordentlich deutsch, ihre "Intelligenz" wendet großenteils dem Deutschtum
den Rücken. Sie sehen, daß die Sachsen sich in besserer Lage befinden und
halten es für selbstverständlich, daß die Sachsen ihnen dazu verhelfen müßten,
wieder zu deutschen Schulen zu kommen. Sie übersehen aber, daß die Sachsen
ihre Schulen selbst erhalten -- sie kosten ihnen von altersher recht viel Geld
-- als Einrichtungen der Kirche, und daß dies die einzige Form ist, in der
die Nationalitäten in Ungarn sich Schulen mit eigener Sprache, in denen das



*) Deutsch-ungarischer Volksfreund (Temesvar), 17. April 1914.
Streiflichter auf das deutsch-ungarische Problem

ländischen Deutschen im Stich gelassen hätten. Was ist Wahres an diesem
Vorwurf?

Gerade wir Reichsdeutschen, die wir nicht unmittelbar in dem Streit selbst
stehen, haben dabei vielleicht den Vorzug, daß wir — lediglich infolge der
größeren Distanz — die Dinge klarer, sozusagen staubfreier, sehen können als
diejenigen, welche diese Meinungsverschiedenheiten durchzufechten haben.

Die Gründe dafür, daß die sächsische Gruppe es ablehnt, den deutschen
Brüdern in Südungarn, den „Schwaben", irgendwelche Hilfe zu leisten, sind
kurz zusammengefaßt in dem Mißtrauensvotum, das dem Abgeordneten Kopony
bald nach jener Sitzung von seinen eigenen Wählern erteilt wurde*). Es sind
in der Hauptsache diese: 1. „Die großen Massen der Banater Schwaben sind
national noch indifferent. Von bewußtem Deutschtum ist bei vielen keine Spur.
Es wird noch viele Jahrhunderte dauern, bis man von einem wirklich erwachten
Deutschtum in Ungarn wird sprechen können"; 2. „Die bei den Banater Schwaben
einsetzende, beginnende politische Organisation bewegt sich entschieden in opposi¬
tioneller Richtung"; 3. Bei den führenden madjarischen Staatsmännern stellt
sich „die größte Nervosität ein, sobald die politische Organisation der Deutschen
Ungarns in Frage kommt". Wollten die Sachsen den Schwaben wirklich bei¬
stehen, so würden sie sich die rücksichtslosen Angriffe der madjarischen Regierung
zuziehen und ihre eigenen Kulturgüter aufs Spiel setzen, ohne den anderen
Deutschen Ungarns damit genützt zu haben. Das heißt: die einzig richtige
sächsische Politik ist die Wahrnehmung der eigenen, der sächsischen Interessen;
die Sachsen müssen die Schwaben sich selbst überlassen.

Gegen diese Argumentation läßt sich meines Erachtens Stichhaltiges nicht
einwenden. Die sächsischen Abgeordneten, welche Mitglieder der Regierungs¬
partei sind, können sich politisch nicht mit einer Oppositionspartei einlassen.

Aber auch die Argumente, welche Kopony und die Schwaben gegen diese
Politik in das Feld führen, sind trotzdem nicht ohne weiteres von der Hand zu
weisen; auch Kopony und die Schwaben vertreten berechtigte Interessen. Da
ist zuerst die außerordentliche Notlage hervorzuheben, in welcher sich die Schwaben
befinden: sie haben, ebenso wie alle übrigen Deutschen in Ungarn, außerhalb
Siebenbürgens ihre deutschen Gemeindeschulen verloren und statt dessen madjarische
und madjarisierende Staatsschulen erhalten; ihr Nachwuchs lernt nicht mehr
ordentlich deutsch, ihre „Intelligenz" wendet großenteils dem Deutschtum
den Rücken. Sie sehen, daß die Sachsen sich in besserer Lage befinden und
halten es für selbstverständlich, daß die Sachsen ihnen dazu verhelfen müßten,
wieder zu deutschen Schulen zu kommen. Sie übersehen aber, daß die Sachsen
ihre Schulen selbst erhalten — sie kosten ihnen von altersher recht viel Geld
— als Einrichtungen der Kirche, und daß dies die einzige Form ist, in der
die Nationalitäten in Ungarn sich Schulen mit eigener Sprache, in denen das



*) Deutsch-ungarischer Volksfreund (Temesvar), 17. April 1914.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0306" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/328406"/>
          <fw type="header" place="top"> Streiflichter auf das deutsch-ungarische Problem</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1278" prev="#ID_1277"> ländischen Deutschen im Stich gelassen hätten. Was ist Wahres an diesem<lb/>
Vorwurf?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1279"> Gerade wir Reichsdeutschen, die wir nicht unmittelbar in dem Streit selbst<lb/>
stehen, haben dabei vielleicht den Vorzug, daß wir &#x2014; lediglich infolge der<lb/>
größeren Distanz &#x2014; die Dinge klarer, sozusagen staubfreier, sehen können als<lb/>
diejenigen, welche diese Meinungsverschiedenheiten durchzufechten haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1280"> Die Gründe dafür, daß die sächsische Gruppe es ablehnt, den deutschen<lb/>
Brüdern in Südungarn, den &#x201E;Schwaben", irgendwelche Hilfe zu leisten, sind<lb/>
kurz zusammengefaßt in dem Mißtrauensvotum, das dem Abgeordneten Kopony<lb/>
bald nach jener Sitzung von seinen eigenen Wählern erteilt wurde*). Es sind<lb/>
in der Hauptsache diese: 1. &#x201E;Die großen Massen der Banater Schwaben sind<lb/>
national noch indifferent. Von bewußtem Deutschtum ist bei vielen keine Spur.<lb/>
Es wird noch viele Jahrhunderte dauern, bis man von einem wirklich erwachten<lb/>
Deutschtum in Ungarn wird sprechen können"; 2. &#x201E;Die bei den Banater Schwaben<lb/>
einsetzende, beginnende politische Organisation bewegt sich entschieden in opposi¬<lb/>
tioneller Richtung"; 3. Bei den führenden madjarischen Staatsmännern stellt<lb/>
sich &#x201E;die größte Nervosität ein, sobald die politische Organisation der Deutschen<lb/>
Ungarns in Frage kommt". Wollten die Sachsen den Schwaben wirklich bei¬<lb/>
stehen, so würden sie sich die rücksichtslosen Angriffe der madjarischen Regierung<lb/>
zuziehen und ihre eigenen Kulturgüter aufs Spiel setzen, ohne den anderen<lb/>
Deutschen Ungarns damit genützt zu haben. Das heißt: die einzig richtige<lb/>
sächsische Politik ist die Wahrnehmung der eigenen, der sächsischen Interessen;<lb/>
die Sachsen müssen die Schwaben sich selbst überlassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1281"> Gegen diese Argumentation läßt sich meines Erachtens Stichhaltiges nicht<lb/>
einwenden. Die sächsischen Abgeordneten, welche Mitglieder der Regierungs¬<lb/>
partei sind, können sich politisch nicht mit einer Oppositionspartei einlassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1282" next="#ID_1283"> Aber auch die Argumente, welche Kopony und die Schwaben gegen diese<lb/>
Politik in das Feld führen, sind trotzdem nicht ohne weiteres von der Hand zu<lb/>
weisen; auch Kopony und die Schwaben vertreten berechtigte Interessen. Da<lb/>
ist zuerst die außerordentliche Notlage hervorzuheben, in welcher sich die Schwaben<lb/>
befinden: sie haben, ebenso wie alle übrigen Deutschen in Ungarn, außerhalb<lb/>
Siebenbürgens ihre deutschen Gemeindeschulen verloren und statt dessen madjarische<lb/>
und madjarisierende Staatsschulen erhalten; ihr Nachwuchs lernt nicht mehr<lb/>
ordentlich deutsch, ihre &#x201E;Intelligenz" wendet großenteils dem Deutschtum<lb/>
den Rücken. Sie sehen, daß die Sachsen sich in besserer Lage befinden und<lb/>
halten es für selbstverständlich, daß die Sachsen ihnen dazu verhelfen müßten,<lb/>
wieder zu deutschen Schulen zu kommen. Sie übersehen aber, daß die Sachsen<lb/>
ihre Schulen selbst erhalten &#x2014; sie kosten ihnen von altersher recht viel Geld<lb/>
&#x2014; als Einrichtungen der Kirche, und daß dies die einzige Form ist, in der<lb/>
die Nationalitäten in Ungarn sich Schulen mit eigener Sprache, in denen das</p><lb/>
          <note xml:id="FID_42" place="foot"> *) Deutsch-ungarischer Volksfreund (Temesvar), 17. April 1914.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0306] Streiflichter auf das deutsch-ungarische Problem ländischen Deutschen im Stich gelassen hätten. Was ist Wahres an diesem Vorwurf? Gerade wir Reichsdeutschen, die wir nicht unmittelbar in dem Streit selbst stehen, haben dabei vielleicht den Vorzug, daß wir — lediglich infolge der größeren Distanz — die Dinge klarer, sozusagen staubfreier, sehen können als diejenigen, welche diese Meinungsverschiedenheiten durchzufechten haben. Die Gründe dafür, daß die sächsische Gruppe es ablehnt, den deutschen Brüdern in Südungarn, den „Schwaben", irgendwelche Hilfe zu leisten, sind kurz zusammengefaßt in dem Mißtrauensvotum, das dem Abgeordneten Kopony bald nach jener Sitzung von seinen eigenen Wählern erteilt wurde*). Es sind in der Hauptsache diese: 1. „Die großen Massen der Banater Schwaben sind national noch indifferent. Von bewußtem Deutschtum ist bei vielen keine Spur. Es wird noch viele Jahrhunderte dauern, bis man von einem wirklich erwachten Deutschtum in Ungarn wird sprechen können"; 2. „Die bei den Banater Schwaben einsetzende, beginnende politische Organisation bewegt sich entschieden in opposi¬ tioneller Richtung"; 3. Bei den führenden madjarischen Staatsmännern stellt sich „die größte Nervosität ein, sobald die politische Organisation der Deutschen Ungarns in Frage kommt". Wollten die Sachsen den Schwaben wirklich bei¬ stehen, so würden sie sich die rücksichtslosen Angriffe der madjarischen Regierung zuziehen und ihre eigenen Kulturgüter aufs Spiel setzen, ohne den anderen Deutschen Ungarns damit genützt zu haben. Das heißt: die einzig richtige sächsische Politik ist die Wahrnehmung der eigenen, der sächsischen Interessen; die Sachsen müssen die Schwaben sich selbst überlassen. Gegen diese Argumentation läßt sich meines Erachtens Stichhaltiges nicht einwenden. Die sächsischen Abgeordneten, welche Mitglieder der Regierungs¬ partei sind, können sich politisch nicht mit einer Oppositionspartei einlassen. Aber auch die Argumente, welche Kopony und die Schwaben gegen diese Politik in das Feld führen, sind trotzdem nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen; auch Kopony und die Schwaben vertreten berechtigte Interessen. Da ist zuerst die außerordentliche Notlage hervorzuheben, in welcher sich die Schwaben befinden: sie haben, ebenso wie alle übrigen Deutschen in Ungarn, außerhalb Siebenbürgens ihre deutschen Gemeindeschulen verloren und statt dessen madjarische und madjarisierende Staatsschulen erhalten; ihr Nachwuchs lernt nicht mehr ordentlich deutsch, ihre „Intelligenz" wendet großenteils dem Deutschtum den Rücken. Sie sehen, daß die Sachsen sich in besserer Lage befinden und halten es für selbstverständlich, daß die Sachsen ihnen dazu verhelfen müßten, wieder zu deutschen Schulen zu kommen. Sie übersehen aber, daß die Sachsen ihre Schulen selbst erhalten — sie kosten ihnen von altersher recht viel Geld — als Einrichtungen der Kirche, und daß dies die einzige Form ist, in der die Nationalitäten in Ungarn sich Schulen mit eigener Sprache, in denen das *) Deutsch-ungarischer Volksfreund (Temesvar), 17. April 1914.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/306
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/306>, abgerufen am 27.06.2024.