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Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr.

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großen Versammlung beigewohnt, worin man mit Leidenschaft gegen das Spanier¬
inn: zu Ehren von Katalonien geredet hatte. Große Plakate an den Wänden
hatten die Abschaffung der Stierkämpfe verlangt, und fast wäre die Versamm¬
lung in offenem Streit zwischen Kataloniern und Nichtkataloniern zu Ende
gegangen.

Auch diese Herren, mit denen wir sprachen, versicherten uns, wie sehr sie
die spanische Brutalität der Stierkämpfe verachteten, und immer wieder zwischen
ihren Worten leuchtete die Liebe und der Stolz auf ihre katalonische Heimat
auf. Und gerade schob der eine die zweihunderlunddreißigste Platte in seinen
Apparat, auf der er eine neue Form des tausendgestaltigen Montserrat fest¬
halten wollte.

Er ist etwas wie ein Nationalheiligtum, dieser seltsame Berg. Der größte
Dichter Kataloniens hat ihm ein ganzes Buch gewidmet, worin er in kata-
lonischer, nicht spanischer, d. h. kastillanischer Sprache, seine Sagen und Legenden
poetisch gestaltet hat. Mossen Jacinto Verdaguer heißt dieser Dichter, und ich
setze eine Probe seiner Dichtung hier her, die zugleich eine Probe seiner kata¬
lanischen Muttersprache ist, welche dem Provenzalischen näher steht als dem
Kastillanischen. Man wird, wenn man andere romanische Sprachen kennt, den
Sinn verstehen können:

Es war Abend, als wir heimkehrten. Wieder standen wir am Bahnhof
von Montrisol und sahen hinüber, wo über dem Abgrund des Llobregat das
phantastisch-titanische Gebilde des heiligen Berges aufragte. Die Sonne war
längst im Westen hinabgestiegen, nur noch ihr Abglanz färbte den ganzen
Himmel hinter dem zackigen Berge mit schimmerndem Gold, daß dieser sich
abhob von strahlendem Hintergrund wie byzantische Heilige vom Gold¬
grund alter Gemälde. Seine Sandsteintürme schienen dunkler, tiefer, von ge¬
heimnisvoll mattem Blau, das in dunkles Violett hinüberspielte vor dem Orange
des Abendhimmels.

Wir standen lange und sahen hinein in die mystische Pracht dieser von der
Dämmerung zu grandioser Einfachheit der Farben und Formen umgestalteten
Landschaft. Nichts als der phantastische Umriß des seltsamen Berges, der in
dunkler Erdenmasse hineinragte in die himmlische Klarheit, war mehr übrig
und doch gerade in dieser Gestalt uns mehr denn je als der heilige Berg
erscheinend.


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großen Versammlung beigewohnt, worin man mit Leidenschaft gegen das Spanier¬
inn: zu Ehren von Katalonien geredet hatte. Große Plakate an den Wänden
hatten die Abschaffung der Stierkämpfe verlangt, und fast wäre die Versamm¬
lung in offenem Streit zwischen Kataloniern und Nichtkataloniern zu Ende
gegangen.

Auch diese Herren, mit denen wir sprachen, versicherten uns, wie sehr sie
die spanische Brutalität der Stierkämpfe verachteten, und immer wieder zwischen
ihren Worten leuchtete die Liebe und der Stolz auf ihre katalonische Heimat
auf. Und gerade schob der eine die zweihunderlunddreißigste Platte in seinen
Apparat, auf der er eine neue Form des tausendgestaltigen Montserrat fest¬
halten wollte.

Er ist etwas wie ein Nationalheiligtum, dieser seltsame Berg. Der größte
Dichter Kataloniens hat ihm ein ganzes Buch gewidmet, worin er in kata-
lonischer, nicht spanischer, d. h. kastillanischer Sprache, seine Sagen und Legenden
poetisch gestaltet hat. Mossen Jacinto Verdaguer heißt dieser Dichter, und ich
setze eine Probe seiner Dichtung hier her, die zugleich eine Probe seiner kata¬
lanischen Muttersprache ist, welche dem Provenzalischen näher steht als dem
Kastillanischen. Man wird, wenn man andere romanische Sprachen kennt, den
Sinn verstehen können:

Es war Abend, als wir heimkehrten. Wieder standen wir am Bahnhof
von Montrisol und sahen hinüber, wo über dem Abgrund des Llobregat das
phantastisch-titanische Gebilde des heiligen Berges aufragte. Die Sonne war
längst im Westen hinabgestiegen, nur noch ihr Abglanz färbte den ganzen
Himmel hinter dem zackigen Berge mit schimmerndem Gold, daß dieser sich
abhob von strahlendem Hintergrund wie byzantische Heilige vom Gold¬
grund alter Gemälde. Seine Sandsteintürme schienen dunkler, tiefer, von ge¬
heimnisvoll mattem Blau, das in dunkles Violett hinüberspielte vor dem Orange
des Abendhimmels.

Wir standen lange und sahen hinein in die mystische Pracht dieser von der
Dämmerung zu grandioser Einfachheit der Farben und Formen umgestalteten
Landschaft. Nichts als der phantastische Umriß des seltsamen Berges, der in
dunkler Erdenmasse hineinragte in die himmlische Klarheit, war mehr übrig
und doch gerade in dieser Gestalt uns mehr denn je als der heilige Berg
erscheinend.


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[0290] Line Wanderung zur Gralsburg großen Versammlung beigewohnt, worin man mit Leidenschaft gegen das Spanier¬ inn: zu Ehren von Katalonien geredet hatte. Große Plakate an den Wänden hatten die Abschaffung der Stierkämpfe verlangt, und fast wäre die Versamm¬ lung in offenem Streit zwischen Kataloniern und Nichtkataloniern zu Ende gegangen. Auch diese Herren, mit denen wir sprachen, versicherten uns, wie sehr sie die spanische Brutalität der Stierkämpfe verachteten, und immer wieder zwischen ihren Worten leuchtete die Liebe und der Stolz auf ihre katalonische Heimat auf. Und gerade schob der eine die zweihunderlunddreißigste Platte in seinen Apparat, auf der er eine neue Form des tausendgestaltigen Montserrat fest¬ halten wollte. Er ist etwas wie ein Nationalheiligtum, dieser seltsame Berg. Der größte Dichter Kataloniens hat ihm ein ganzes Buch gewidmet, worin er in kata- lonischer, nicht spanischer, d. h. kastillanischer Sprache, seine Sagen und Legenden poetisch gestaltet hat. Mossen Jacinto Verdaguer heißt dieser Dichter, und ich setze eine Probe seiner Dichtung hier her, die zugleich eine Probe seiner kata¬ lanischen Muttersprache ist, welche dem Provenzalischen näher steht als dem Kastillanischen. Man wird, wenn man andere romanische Sprachen kennt, den Sinn verstehen können: Es war Abend, als wir heimkehrten. Wieder standen wir am Bahnhof von Montrisol und sahen hinüber, wo über dem Abgrund des Llobregat das phantastisch-titanische Gebilde des heiligen Berges aufragte. Die Sonne war längst im Westen hinabgestiegen, nur noch ihr Abglanz färbte den ganzen Himmel hinter dem zackigen Berge mit schimmerndem Gold, daß dieser sich abhob von strahlendem Hintergrund wie byzantische Heilige vom Gold¬ grund alter Gemälde. Seine Sandsteintürme schienen dunkler, tiefer, von ge¬ heimnisvoll mattem Blau, das in dunkles Violett hinüberspielte vor dem Orange des Abendhimmels. Wir standen lange und sahen hinein in die mystische Pracht dieser von der Dämmerung zu grandioser Einfachheit der Farben und Formen umgestalteten Landschaft. Nichts als der phantastische Umriß des seltsamen Berges, der in dunkler Erdenmasse hineinragte in die himmlische Klarheit, war mehr übrig und doch gerade in dieser Gestalt uns mehr denn je als der heilige Berg erscheinend.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 73, 1914, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341899_328099/290>, abgerufen am 21.06.2024.